BLAULICHT

Acht Tage nach Geburt der Tochter: Drogendealer soll ins Gefängnis

lw; 16.10.2023, 17:00 Uhr
Archivfoto: Lars Weber.
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Acht Tage nach Geburt der Tochter: Drogendealer soll ins Gefängnis

lw; 16.10.2023, 17:00 Uhr
Waldbröl – 32-Jähriger musste sich wegen Handels mit Drogen verantworten – Vorgeworfene Taten lagen am Ende seiner Bewährungszeit.

Von Lars Weber

 

Sein viertes Kind ist erst acht Tage alt. Doch wenn das Urteil gegen Tim N. (Anm.d.Red.: Namen geändert) rechtskräftig werden sollte, wird der 32-Jährige mehr als ein Jahr aus dem Leben seiner Tochter aus dem Gefängnis verfolgen müssen. Denn Tim N. ist heute von dem Schöffengericht um den vorsitzenden Richter Carsten Becker am Amtsgericht Waldbröl wegen des Handelns mit einer nicht geringen Menge Drogen und des Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden. Für eine Bewährungsstrafe reichte es nicht mehr. Die Taten, für die der Angeklagte nun vor Gericht erscheinen musste, geschahen im letzten halben Jahr der Bewährungszeit der Verurteilung von vor drei Jahren. Ein Hintertürchen ließ Richter Becker aber noch offen.

 

In der Gemeinde Reichshof wurde die Polizei über den Zeugen Ingo U.  aufmerksam auf den Angeklagten. Dieser soll Tim N. laut Anklage der Staatsanwaltschaft am 31. Januar diesen Jahres 200 Gramm Marihuana überreicht haben, dass der Angeklagte für geschätzte sieben Euro das Gramm weiterverkauft haben soll. Nur einen Tag später soll der 32-Jährige erneut 200 Gramm bei Ingo U. bestellt haben. Diese Menge wurde aber bei dem Zeugen sichergestellt, zu einer Übergabe kam es nicht mehr. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Anfang Juni wurden schließlich typisches Verpackungsmaterial, Spuren von Drogen und auch sieben junge Cannabispflanzen gefunden.

 

Über seine Verteidigerin räumte Tim N. sofort ein, dass der Tatvorwurf an sich stimmen würde. Allerdings habe er nicht alles weiterverkauft – er habe das Marihuana auch für sich selbst benötigt. „Zwei Jahre war er frei von Drogen“, sagte die Rechtsanwältin. Doch nachdem er seinen Job verloren habe, habe er wieder angefangen. Er schätzt, dass er zwei Drittel selbst konsumiert habe. Anderes Marihuana hätte er auf Wunsch seiner Frau verbrennen müssen. Sie sei streng gegen alles, was mit den Drogen zusammenhängt. Mit ihr hat er bereits ein weiteres zweijähriges Kind. Inzwischen sei er wieder clean – „seit vier Wochen“.

 

Die Verteidigerin und der Angeklagte gaben an, dass Ingo U. ein sogenannter Bunkerhalter war: Er verwahrte die Drogen für Tim N., weil der 34-Jährige unauffälliger sei und bei der Polizei unbekannt. Benötigte der Angeklagte etwas, meldete er sich bei dem Mann, der gesondert verfolgt wird. Sein Prozess steht im November an. Heute machte er von seinem Recht gebraucht, die Aussage zu verweigern. Deshalb konnte er auch nichts dazu sagen, weshalb Tim N. gleich einen Tag nach der einen Großbestellung direkt die nächsten 200 Gramm benötigte. Verteidigerin und der 32-Jährige mutmaßten, dass dies mit der Verbrenn-Aktion für die Ehefrau zusammenhängen könnte. „Er weiß es aber nicht mehr.“

 

Einzige andere Zeugin war eine Polizeibeamtin, die bei der Wohnungsdurchsuchung mit dabei und mit weiteren Ermittlungen betraut war. Die Kriminaloberkommissarin erzählte von der gefundenen Feinwaage, dem Verpackungsmaterial wie Folienschweißbeutel oder Druckverschlusstüten im Keller sowie dortigen Drogenrückständen auf dem Fußboden. Im Garten wurde die Polizei auf die Cannabispflanzen aufmerksam, die direkt neben anderen Gemüsepflanzen wuchsen. Zur Tarnung vor seiner Frau, sagte der Angeklagte. Vor allem die Auswertung der Handys von Ingo U. hätte die Rolle von Tim N. gezeigt, sie habe ihn „zweifelsfrei“ identifiziert. So habe er Ingo U. beispielsweise am Morgen des 1. Februar gebeten, „so wie gestern“ zu liefern.

 

Tim N. sei nun bereit für eine ambulante Therapie, sagte seine Verteidigerin. „Er hat verstanden, dass er es doch nicht allein schafft, von den Drogen loszukommen.“ Seine Frau, seine Kinder – insgesamt sind es vier –, seine neue Arbeitsstelle, all dies sei seine Motivation. Die Selbsterkenntnis hätte unter anderen Vorzeichen vielleicht ausgereicht, um das Gericht milde zu stimmen. Doch Richter Becker und die Schöffen konnten die Vorstrafen nicht ignorieren. Am schwersten wog dabei eine Verurteilung vor dem Landgericht Köln aus dem Sommer 2020, damals ging es um bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln. Sechs weitere Angeklagte gab es. Und da Tim N. eine relativ kleine Rolle gespielt haben soll, gab es „nur“ eine Bewährungsstrafe. Die Bewährung ist in diesem Sommer ausgelaufen. Die vorgeworfenen Taten befinden sich aber noch im Bewährungszeitraum.

 

„Kurz gezuckt“ habe die Staatsanwaltschaft aufgrund der ordentlichen Lebensumstände des Angeklagten zum jetzigen Zeitpunkt, ob eine zweite Bewährungsstrafe nicht doch möglich sei. Letztlich forderte sie aber eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren ohne diese Möglichkeit. „Sie machen sich was vor“, sagte die Staatsanwaltschaft zum Angeklagten. Sie sehe keine Chance, dass Tim N. ohne eine empfindliche Gefängnisstrafe die Kurve bekommt. „Er braucht Unterstützung, mein Mandant würde allen Auflagen nachkommen“, versuchte die Verteidigerin, noch für eine Bewährung zu werben – ohne Erfolg.

 

Ein Jahr und drei Monate soll Tim N. nach Ansicht des Schöffengerichts ins Gefängnis. Die Anklagepunkte sah es als erwiesen an. Für eine abermalige Bewährung habe nicht ausgereicht, was der Angeklagte dem Gericht angeboten habe. Immerhin ein Geständnis, aber keine Abstinenznachweise, keine Therapietermine – mit solchen Zeichen könne er aber gegebenenfalls vor dem Berufungsrichter punkten, so Becker. Außerdem möglich sei auch Therapie statt Strafe, also ein stationärer Aufenthalt in speziellen Kliniken für mehrere Monate. Dies könne noch ein Weg sein, ohne Gefängnis auszukommen. Eine Woche hat Tim N. nun Zeit, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

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