BLAULICHT

„Das Benzin tropfte an ihren Haaren herunter“

lw; 01.08.2022, 14:57 Uhr
BLAULICHT

„Das Benzin tropfte an ihren Haaren herunter“

lw; 01.08.2022, 14:57 Uhr
Oberberg – Zweiter Verhandlungstag am Landgericht Bonn gegen einen 54-Jährigen, der sich wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verantworten muss.

Von Lars Weber

 

Was geschah genau am 27. Dezember 2021 in der Morsbacher Ortschaft Ellingen? Nach dem Prozessauftakt in der vergangenen Woche, bei dem der Angeklagte geschwiegen hatte (OA berichtete), sollte der Fortsetzungstermin am heutigen Montag am Landgericht Bonn weitere Fragen beantworten. Geladen war heute neben den Nachbarn auch die geschädigte Rebecca J. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Sie soll an diesem Tag kurz nach Heiligabend von ihrem Ex-Partner Jean L. mit Benzin überschüttet worden sein. Als der Versuch, sie anzuzünden misslang, soll er das Haus der 44-Jährigen angezündet haben, in dem sich zu diesem Zeitpunkt noch die vier Pflegekinder der Frau aufhielten. Der 54-jährige Angeklagte muss sich unter anderem wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verantworten.

 

Im Gegensatz zu Jean L., mit dem sie zwölf Jahre lang liiert war und auch ein gemeinsames Kind hat, schwieg Rebecca J. am zweiten Verhandlungstag nicht. Rund eine Stunde lang stellte sie sich den Fragen des Schwurgerichts. Die Aussage fand allerdings nach einem Antrag der Nebenklage unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Besonders die Privatsphäre der vier Kinder zwischen vier und 17 Jahren solle dadurch geschützt werden.

 

Weshalb Jean L. an diesem Tag genau bei Rebecca J. zu Besuch war, obwohl sie seit rund einem Jahr kein Paar mehr waren? Warum die beiden in Streit gerieten? Wie dieser Streit so eskalierte, dass der aus Togo stammende Mann den mit Benzin gefüllten Kanister aus dem Auto holte? All diese Fragen blieben dadurch zumindest öffentlich unbeantwortet.

 

Einen Einblick in die Vorkommnisse am 27. Dezember gab es durch die Aussage der Nachbarn trotzdem. Sie erinnerten sich zudem daran, wie es war, mehr als zehn Jahre lang direkt gegenüber von dem Angeklagten und seiner Partnerin zu leben. Das Haus war einst das Elternhaus des 74-jährigen Nachbarn, später verkaufte seine Familie das Haus an Rebecca J. Der Angeklagte sei in den Kauf nicht involviert gewesen.

 

In der ersten Zeit, nachdem das Paar in das Haus eingezogen war, habe man sich gut verstanden, sagte das Rentner-Ehepaar. Dann zerstritten sie sich mit Rebecca J. und Jean L.. Grund dafür waren nachbarschaftliche Reibereien, unter anderem ging es um Grundstücksfragen. Je schlechter das Verhältnis wurde, desto mehr zeigte auch der Angeklagte eine andere Seite von sich. Es habe Beleidigungen gegeben, Drohungen und einige weitere Vorkommnisse, die teils auch zur Anzeige gebracht worden seien, sagte die 73-jährige Morsbacherin. In der Folge sprachen sie über Jahre hinweg kein Wort miteinander. Dementsprechend hatten sie keine Kenntnisse darüber, wie die Beziehung zwischen Rebecca J. und Jean L. sich darstellte. Sie bekamen auch erst im Nachhinein mit, dass der 54-Jährige ausgezogen war.

 

Am Tag der Tat machte sich der 74-Jährige gerade bereit, zu einem Freund zu gehen, als die Klingel der Haustür ging. Der Anblick irritierte ihn kurz, dann schaltete der Rentner schnell. Ihm entgegen kam Rebecca J., nur mit einer Unterhose bekleidet. „Sie hat geschrien: ‚Hilfe, er will mich anzünden!‘ und das Benzin tropfte ihr an den Haaren herunter“, erinnerte er sich. Laut der weiteren Aussage der Rentnerin, die sie nach diesem Tag der Polizei gab, habe der Mann geschrien: „Ich war zwölf Jahre für sie da!“

 

Die 44-Jährige sei dann schnell in den Hausflur geflüchtet, wo sie einen Bademantel von ihrer Nachbarin bekam, damit sie sich bedecken konnte. Der 74-Jährige sah indes laut seiner Aussage Jean L., der den Benzinkanister noch in der Hand hielt und so tat, als ob er daraus trinke. „Mach, dass du wegkommst“, habe er geschrien.

 

Gemeinsam riefen sie die Polizei und beobachteten, wie Jean L. um sein ehemaliges Zuhause herumschlich. Kurz darauf hörte die 73-jährige Nachbarin einen lauten Knall, vermutlich die klirrende Wohnzimmerscheibe, die der Angeklagte mit einem Stein eingeschlagen haben soll. Als nächstes nahmen sie die Funken des Feuers wahr und der Sohn der beiden rief umgehend die Feuerwehr. Ein Mitglied der Feuerwehr aus dem Ort sei als erstes vor Ort gewesen und habe sofort die Kinder aus dem brennenden Haus geholt. Er habe auch den Angeklagten festgehalten, bis die Polizei kurze Zeit später eintraf.

 

Die Kinder und Rebecca J. blieben über Nacht bei ihren Nachbarn. Die 73-Jährige sprach dabei noch mit der Geschädigten über das gerade Erlebte. Aber weshalb sie gestritten hatten, das wusste die Rentnerin auch nicht. Rebecca J. habe ihr aber gesagt, dass sie die Steine und den Benzinkanister schon vorher im Kofferraum des Wagens wahrgenommen habe und dies ihr „komisch“ vorgekommen sei.

 

Nach den Nachbarn betraten noch Rebecca J. und die älteste Pflegetochter den Zeugenstand, die ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagte. Zumindest während der Schilderungen seiner ehemaligen Nachbarn saß Jean L. teilnahmslos neben seinem Anwalt und fixierte die Wand hinter den Richtern um den Vorsitzenden Klaus Reinhoff. Zu einer Regung ließ er sich nicht hinreißen. Drei Verhandlungstage stehen noch aus. Unter anderem soll ein psychiatrisches Gutachten die Schuldfähigkeit des 54-Jährigen klären. Mit einem Urteil ist Mitte August zu rechnen.

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