BLAULICHT

Engelskirchener Raubüberfall: Lange Haftstrafe und Sicherungsverwahrung gefordert

pn; 05.09.2022, 21:00 Uhr
Foto: Peter Notbohm --- Auf den 49-jährigen mutmaßlichen Täter könnte eine lange Haftstrafe zukommen.
BLAULICHT

Engelskirchener Raubüberfall: Lange Haftstrafe und Sicherungsverwahrung gefordert

pn; 05.09.2022, 21:00 Uhr
Engelskirchen/Köln – Angeklagter bricht sein Schweigen und wirft der deutschen Justiz staatlich organisierten Drogenhandel vor – Staatsanwaltschaft will 49-Jährigen nie wieder auf freiem Fuß sehen.

Von Peter Notbohm

 

Elf Jahre und sechs Monate wegen besonders schweren Raubes, dazu die Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Geht es nach der Staatsanwaltschaft wird Anatoli J. (Anm.d.Red.: Name geändert) nie wieder auf freien Fuß kommen. Sie sieht den 49-jährigen Russen vor allem aufgrund der gefundenen DNA-Spuren als überführt an, am 18. Januar des vergangenen Jahres mit zwei weiteren Männern als Hermes-Postboten verkleidet ein Ehepaar (damals 53 und 54) in Engelskirchen-Hollenberg brutal überfallen und ausgeraubt zu haben. Die Beute hatte nach einem Gutachten über 115.000 Euro betragen.

 

Staatsanwalt sieht in Angeklagtem Gefahr für die Allgemeinheit

 

„Selbst mit sehr viel gutem Willen fällt mir nichts ein, was man zu ihren Gunsten in den Raum stellen könnte“, begründete die Staatsanwältin das hohe Strafmaß. Neben seinen beiden Vorstrafen wegen räuberischer Erpressung, (Haftstrafen von 4,5 und 8,5 Jahren), der hohen Beute sowie der Brutalität des Angriffs unter dem die beiden Opfern bis heute leiden, war es vor allem die Tatsache, dass der Mann bereits 50 Tage nach seiner Haftentlassung wieder straffällig geworden war.

 

Der 49-Jährige sei laut einem Gutachten ein Persönlichkeitstäter und eine Gefahr für die Allgemeinheit, führte die Juristin weiter aus: „Der einzige Ansatz wäre eine Therapie, aber hier erscheint die Bereitschaft des Angeklagten äußerst fraglich.“ Neben der Haftstrafe beantragte die Staatsanwaltschaft zudem die Einziehung der erbeuteten Summe sowie die Aufrechterhaltung des Haftbefehls, da sich der Russe aufgrund seines ungeklärten Aufenthaltsstatus jederzeit leicht absetzen könne.

 

Zeugen geben Auskunft über Höhe der Beute

 

Vor dem Plädoyer hatte das Gericht noch zwei Zeugen vernommen. Zunächst einen Gummersbacher Versicherungsmakler, der mit dem überfallenen Ehepaar befreundet ist und 2019 deren Hausratversicherung angeglichen hatte. Der Angeklagte hatte am vorangegangenen Prozesstag behauptet, dass es sich um einen groß angelegten Versicherungsbetrug handle, nachdem der Wert mehrerer Goldbarren und -münzen nicht belegbar gewesen sei. Der Versicherungsmakler sagte aus, dass er auf die Höhe der Schadenssumme aber überhaupt keinen Einfluss gehabt habe: „Ich war bei der Aufnahme zwar dabei, aber das Gespräch wurde komplett vom Regulierer geführt.“

 

Den hatte das Gericht ebenfalls geladen. Er berichtete der Kammer detailliert, wie ein solcher Versicherungsfall behandelt wird und worauf es bei der Schadensaufstellung ankommt. So bevorzuge er Originalzertifikate gegenüber Kaufbelegen. Zudem erklärte er, dass gewisse Wertgegenstände wie Rolex-Uhren mit zunehmendem Alter immer wertvoller werden. An den Angaben des überfallenen Ehepaars habe er keinerlei Zweifel gehegt: „Die Werte waren teilweise sogar unter dem Mindestwert angesetzt und am Ende entscheidet auch immer der Versicherer, was er ersetzt. Darüber bekomme ich nicht einmal eine Information.“

 

Angeklagter bricht sein Schweigen und stellt abstruse Strafanzeige gegen deutsche Justiz

 

Mit diesen Aussagen wollte die Vorsitzende Richterin Bettina Schattow die Hauptverhandlung eigentlich für beendet erklären, hatte dabei aber die Rechnung ohne Anatoli J. gemacht. „Ab heute rede ich, sie können mir Fragen stellen“, überraschte er alle Anwesenden. Zunächst widersprach er dem Gutachten einer Sachverständigen, die ihn gegen seinen Willen begutachtet habe und dabei mit keiner Zeile auf seine Spielsucht eingegangen sei. Zudem widerspreche das Gutachten, in dem er in den psychopathischen Bereich eingeordnet werde, einem früheren Gutachten über ihn. „Ich bin nicht entmündigt, man hätte mich fragen können und nicht meinen Anwalt“, ätzte der Mann. Zudem betonte er, dass das überfallene Ehepaar, ihn vor Gericht nicht habe identifizieren können, obwohl der Ehemann ausgesagt hatte, einem der Täter (mutmaßlich der Angeklagte) im Kampf die Maske vom Gesicht gerissen zu haben.

 

Die Richterin musste man für ihre Engelsgeduld beinahe schon bewundern, denn anschließend wurde es richtig skurril: Anatoli J. stellte einen Strafantrag gegen die deutsche Justiz. Mit dem 2006 verabschiedeten Methadonprogramm betreibe die Justiz einen staatlich regulierten Drogenhandel in allen Gefängnissen, behauptete er. Von den bundesweit 62.000 Gefängnisinsassen seien etwa 90 Prozent durch dieses Programm auf Kosten der Steuerzahler drogenabhängig gemacht worden. „Man wird in dieses Programm regelrecht gezwungen und die Resozialisierung ist damit schwierig.“ Er lebe in der JVA in ständiger Angst infiziert oder angegriffen zu werden. „Die Staatsanwaltschaft macht seit 16 Jahren die Augen zu. Woher soll ich wissen, dass sie nicht korrupt sind“, schloss er seine Ausführungen, nachdem die Vorsitzende ihm erklärt hatte, dass man die Anzeige an die Staatsanwaltschaft weiterleiten werde, sie das laufende Verfahren aber nicht betreffen würde.

 

Zudem machte Anatoli J. nun auch Angaben zur eigenen Person. Er sei 1998 widerwillig nach Deutschland gekommen, weil seine erste Ehefrau mit der gemeinsamen Tochter (heute 28) hierhergezogen sei. Eigentlich habe er Pilot in der russischen Armee werden wollen. In Deutschland habe ihn dann aber nur die eingereichte Scheidung erwartet. Auch eine zweite Ehe mit einem weiteren Kind (18) scheiterte nach acht Jahren. Während seiner Haftstrafen lernte er seine heutige Lebensgefährtin kennen, mit der er zwei Kinder (4 und 7) hat - mit ihnen skype er auch regelmäßig. Zum Tatvorwurf selbst äußerte sich dagegen nicht: „Ich habe schon bei der Haftprüfung gesagt, dass ich unschuldig bin. Was soll ich mehr sagen? Die Polizei hat vielleicht einfach nur bei Google geguckt, wo mein Telefon war.“

 

Das Verfahren wird am Dienstagmittag mit dem Plädoyer der beiden Strafverteidiger fortgesetzt. Das Urteil wird für voraussichtlich Donnerstag erwartet.

 

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