KULTUR

„FREMD SEIN“ auf Schloss Homburg

ks; 26.10.2022, 10:46 Uhr
KULTUR

„FREMD SEIN“ auf Schloss Homburg

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ks; 26.10.2022, 10:46 Uhr
Nümbrecht – Escape-Rooms in der Neuen Orangerie – Ausstellung mit Urexemplaren von Max Beckmann – Anmeldungen für Gruppen sind noch möglich.

Sich in das Leben eines Geflüchteten hineinzuversetzen ist leichter gesagt als getan. Wirklich nachzuempfinden, wie es ist, das eigene Zuhause aufzugeben, nur noch das zu besitzen, was der eigene Körper trägt, die Heimat zu verlassen und in einem fremden Land mit einer womöglich unbekannten Sprache anzukommen – das können womöglich nur Menschen, die einst selbst fliehen mussten. Einen kleinen, aber sehr realitätsnahen Eindruck bekommen Interessierte nun auf eine äußerst ungewöhnliche Weise auf Schloss Homburg vermittelt: dort wurde Anfang dieser Woche in der Neuen Orangerie ein Escape-Room eröffnet.

 

[Die Spieler durchlaufen zunächst eine Registrierung in „Fremdistan“.]

 

Seit Montag haben sich im Rahmen des Großprojektes „FREMD SEIN“ bereits zahlreiche Schüler durch die aufwendig errichtete Location gespielt – und sich darüber hinaus mit Werken von Max Beckmann auseinandergesetzt, dessen Zeichnungen ergänzend zu den beiden Escape-Rooms in dem Schloss ausgestellt werden. „Wir haben für die Ausstellung nach einem Maler gesucht, der selbst Erfahrungen in der Fremde hat“, sagte Kuratorin Dr. Birgit Langhanke im Rahmen eines gestrigen Pressetermins. Beckmann galt unter den Nationalsozialisten als „entarteter“ Künstler, war zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. 1937 ging er zusammen mit seiner Frau nach Amsterdam ins Exil; nach Deutschland kehrte er nie mehr zurück.

 

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Die Idee zu einem derartigen Escape-Room ist nicht neu. „Wir haben uns im Team des Museums schon länger vorgenommen, uns mit der musealen Königsdisziplin auseinanderzusetzen – also mit den 15- bis 25-Jährigen“, erklärte Kulturamtsleiter Steffen Müller. Sich darüber zu beklagen, dass diese Zielgruppe kaum ins Museum komme, sei der falsche Weg. Stattdessen sei es nötig, ein attraktives Angebot zu schaffen, das auch bei jüngeren Menschen die Lust aufs Museum wecke – idealerweise verbunden mit einem tiefgründigen Thema und einer nachhaltigen Aussage.

 

Vor rund einem Jahr seien die Mitarbeiter des Kulturamtes auf das Escape-Room-Projekt „UNbekanntes UNbehagen“ der Flüchtlingshilfe Bonn gestoßen, das ein Theaterregisseur zusammen mit Geflüchteten konzipiert habe. „Den Escape-Room haben wir in drei unterschiedlichen Konstellationen durchgespielt und festgestellt, dass Vieles davon genau das ist, was wir suchen“, führte Müller aus. Für das Großprojekt „FREMD SEIN“ sei das bestehende Grundkonzept im oberbergischen Kulturamt weiterentwickelt worden. So habe das 15-köpfige Team um Müller die Räumlichkeiten verändert und selbstständig gebaut sowie technische Variationen ergänzt.

 

[Im Spielleiterbüro überwacht das Team die Gruppen in „Fremdistan“ und hält Kontakt.]

 

Die Besucher gelangen in die „Republic of Fremdistan“. Im ersten Raum werden sie auf dem Amt registriert, anschließend begeben sie sich in eine U-Bahn-Station. Das Ziel: ihre Zwischenunterkunft zu finden, endlich anzukommen. „Wir sind sehr froh, dass wir zwei gleichberechtigte Säulen haben“, sagte Müller über das umfangreiche Projekt. Einerseits könnten sich die Besucher diesem gesellschaftlich relevanten und äußerst aktuellem Thema spielerisch nähern, andererseits werde der Einstieg über die Kunst geboten.

 

Für das Projekt hat die Staatsgalerie Stuttgart dem Museum auf Schloss Homburg 27 Werke von Max Beckmann zur Verfügung gestellt. „Das sind Urexemplare. Da ist sich die Forschung einig“, sagte Langhanke, die bis 2016 selbst an ebenjener Staatsgalerie tätig war. Die Heimat zu verlassen und im Exil leben zu müssen habe den deutschen Künstler belastet – nicht nur finanziell, sondern auch psychisch. Umso wichtiger sei es für ihn gewesen, eine Aufgabe zu haben.

 

[Kuratorin Dr. Birgit Langhanke bietet den Schülern einen kreativen Einstieg, bevor sie mit den Jugendlichen in die Ausstellung geht.]

 

1941 habe Beckmann von Georg Hartmann, dem Inhaber der Bauerschen Schriftgießerei in Frankfurt, einen Auftrag erhalten: die Illustration der Offenbarung des Johannes. In Zeiten des Krieges und der Vernichtung habe sich der Maler an seinem Glauben festgehalten, der Erlösungsgedanke ließ ihn hoffen. Diese Hoffnung sei in allen 27 gezeigten Exemplaren erkennbar. Besonders hervor hob die Kuratorin die Zeichnung Nummer 25: ein Selbstportrait, das darüber hinaus nicht nur Gott als Engel sowie das Meer als Beckmanns Symbol für Hoffnung zeigt, sondern auch ein tröstendes Motiv beinhaltet.

 

Rainer Gottschlich, Leiter des Kaufmännischen Berufskollegs des Oberbergischen Kreises, begleitete am Dienstag seine Schüler aus der Klasse HHU2 zum Schloss und zeigte sich ob des Großprojektes beeindruckt. „Wir haben rund 150 Schüler mit einer Fluchterfahrung, die genau das erlebt haben“, so Gottschlich. Miteinander zu sprechen und füreinander Verständnis zu entwickeln sei essentiell. Wichtig sei Müller dabei, dass das Projekt keinen belehrenden Auftrag beinhalte, sondern sensibilisieren solle – um so das Verständnis füreinander in ein zunehmendes Selbstverständnis umzuwandeln.

 

[Rainer Gottschlich (r.), Schulleiter des Kaufmännischen Berufskollegs des Oberbergischen Kreises, tauschte sich mit Steffen Müller über die gesellschaftlichen Hintergründe des Projekts aus.]

 

Insgesamt werden 17 Klassen des Kaufmännischen Berufskollegs in den kommenden Wochen an dem Großprojekt teilnehmen, ebenso wie Schüler des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Wiehl sowie des Homburgischen Gymnasiums Nümbrecht. Angemeldet sich außerdem die rund 30 Auszubildenden des Kreises sowie Mitarbeiter des Jugendamtes, der Ausländerbehörde sowie dem Sozial- und dem Ordnungsamt.

 

Andrea Favella, Klassensprecher der HHU2, und sein Stellvertreter Raul Misici hatten sichtlich Spaß an dem ungewöhnlichen Museumserlebnis. Dass die im Escape-Room erzählte Geschichte sehr realitätsnah sei, bestätigte Favella aufgrund jüngster Erfahrungen, die der Schüler mit ukrainischen Geflüchteten gemacht habe. Zusammen mit seinen Freunden habe er sich in seiner Freizeit engagiert, wollte helfen. Nach dem rund vierstündigen Programm brachte Misici die Kernaussage des Großprojektes „FREMD SEIN“ auf den Punkt: „Es ist wichtig zu helfen, wenn man helfen kann.“

 

[Das Projekt-Team besteht unter anderem aus (v.l.) Kuratorin Dr. Birgit Langhanke, Robert Puppel, Miriam Rouenhoff, Paul Kostial, Kulturamtsleiter Steffen Müller, Shirin Medyouni und Thorsten Müller.]

 

Anmeldung und Kosten

 

Ob seitens weiterer Schulen, Vereinen, Organisationen, Unternehmen oder auch privat zusammengefunden: Anmeldungen für die Buchung der Escape-Rooms können per Mail an schloss-homburg@obk.de gesendet werden. Die Escape-Rooms werden bis zum 15. Januar 2023 in der Neuen Orangerie aufgebaut sein, die Slots an den Vormittagen sind bereits bis in die erste Dezemberwoche ausgebucht. Ab Mitte November sollen die Escape-Rooms auch samstags bespielt werden können.

 

Die 27 Werke von Max Beckmanns „Apokalypse“ werden für insgesamt 90 Tage im Schloss Homburg ausgestellt. Die Ausstellung ist für alle Besucher offen. Für die Bespielung der Escape-Rooms und dem Besuch der Ausstellung gilt der normale Museumstarif: 3,50 Euro pro Schüler, Erwachsene zahlen 6 Euro pro Person.

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