BLAULICHT

„Allein wäre sie aus der Situation nicht mehr herausgekommen“

ks; 20.06.2024, 15:00 Uhr
Foto: Archiv.
BLAULICHT

„Allein wäre sie aus der Situation nicht mehr herausgekommen“

ks; 20.06.2024, 15:00 Uhr
Waldbröl – Im Februar 2021 wollten zwei Männer einer Seniorin hochpreisige Bildbände verkaufen – Nun mussten sie am Amtsgericht Waldbröl wegen Betrug, Nötigung und Wucher auf der Anklagebank Platz nehmen.

„Ich war nachher so fertig. Ich hätte unterschrieben.“ Laut einer Gummersbacher Kriminalkommissarin soll das eine Waldbrölerin gesagt haben, nachdem sie am 17. Februar 2021 in ihrer Wohnung an der Hochstraße von zwei Männern aufgesucht worden sein soll. Zweck des Besuches: die damals 93-Jährige habe dem Kauf von hochpreisigen Büchern zustimmen sollen. Am Dienstag wurde über den Fall am Amtsgericht Waldbröl verhandelt. Selbst aussagen konnte die Dame vor Gericht nicht mehr, sie ist inzwischen verstorben.

 

Auf der Anklagebank Platz nehmen mussten Vincent A. (29) aus Ziegendorf in Mecklenburg-Vorpommern sowie Fahri H. (34) aus Moers (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Berufstätig seien die beiden derzeit nicht, würden Bürgergeld beziehen. Angeklagt wurden sie wegen Betrug, Nötigung und Wucher. Treibende Kraft soll Vincent A. gewesen sein, Fahri H. habe das Vorgehen erlernen sollen und bei dem versuchten Betrug geholfen haben. Laut Staatsanwaltschaft sollen die beiden als Außendienstmitarbeiter aufgetreten sein, der Dame unterstellt haben, sich zwei mit Gold bearbeitete Bildbände bestellt zu haben. Eine derartige Bestellung soll es aber nicht gegeben haben, wovon die Angeklagten gewusst hätten.

 

Vincent A. und Fahri H. selbst äußerten sich nicht zu den Anschuldigungen, ließen ihre Anwälte sprechen. Beide seien vor Ort gewesen, von einer Firma mit Sitz in Nürnberg zu der Frau geschickt worden und hätten mit ihr über eine bereits getätigte Buchbestellung sprechen sollen. Dass Vincent A. gewusst habe, dass die Dame kein derartiges Buch bestellt haben soll, sei eine Vermutung der Staatsanwaltschaft. Die Firma, für die der 29-Jährige tätig gewesen sein soll, ist seit 2020 im Handelsregister eingetragen. Ihr Zweck: insbesondere mit Büchern und Kunstwaren zu handeln. Eine dazugehörige Website und Telefonnummer sind im Internet allerdings nicht zu finden.

 

Aufgefallen sei das Geschehen damals einer Nachbarin (OA berichtete), die auch die Polizei verständigt habe. Dass sich in der Dämmerung und zur Corona-Zeit zwei fremde Männer an dem Haus aufhielten, sei der 46-Jährigen komisch vorgekommen. Sie habe deshalb zunächst ihre Tochter hinzugeholt. Die 93-Jährige soll unter Druck gesetzt worden sein und gesagt haben, dass sie nichts unterschrieben habe, nichts in Auftrag gegeben habe und nichts mehr kaufen wolle. „Sie hat sich gewehrt“, schilderte die 46-Jährige. „Aber wenn die Sache noch länger gegangen wäre, hätte sie alles gemacht, damit die Männer gehen. Sie war verzweifelt.“

 

Als die Polizei hinzugekommen sei, sollen die beiden Männer bei der 93-Jährigen am Esstisch gesessen haben. „Es sollte ein Kaufvertrag geschlossen werden. Das konnten wir gerade noch so verhindern“, sagte eine Polizistin aus. Der Preis, um den es dabei ging, habe die Beamten schockiert. Bilder oder Bücher hätten die beiden Männer bei ihrem Verkaufsgespräch nicht dabeigehabt. Auch ein telefonisches Gespräch mit der Geschäftsführerin der Nürnberger Firma sei nicht möglich gewesen. Den Beamten sei der Verdacht des Betruges gekommen, sodass sie die beiden Männer daraufhin festgenommen hätten.

 

Der 93-Jährigen sei gesagt worden, dass sie bereits einen Kaufvertrag unterschrieben habe, es aber eine neue Firma gebe und sie deshalb einen neuen Vertrag unterschreiben müsse. „Sie war mitgenommen und hat sich geärgert, in diese Situation gekommen zu sein. Allein wäre sie aus der Situation nicht mehr herausgekommen“, sagte die Kriminalkommissarin, die im Nachgang mit der Dame gesprochen hat. Vor Weihnachten soll die Seniorin ein Buch im Wert von 2.000 Euro gekauft haben. Am 17. Februar soll es dann um weitere 3.000 Euro gegangen sein.

 

Ob es zuvor tatsächlich einen Kaufvertrag gab und welchen Wert die Bücher damals hatten, sei dem Anwalt von Vincent A. zufolge bislang noch nicht ermittelt worden. Er meint, dass die Dame ein 3er-Set bestellt habe, ihr aber erst ein Buch geliefert worden sein soll. Diskutiert wurde außerdem – ob ihres hohen Alters – über die Verlässlichkeit der Aussagen der 93-Jährigen. Doch Nachbarinnen und Polizisten hatten keinen Zweifel an den Angaben der Dame, beschrieben sie als „orientiert“ und „klar“.

 

Richter, Staatsanwalt und Verteidiger hätten den Prozess am Dienstag eigentlich gerne zu Ende gebracht – doch dazu kam es nicht. Fahri H. soll an dem 17. Februar 2021 seinen ersten Tag bei der Firma gehabt haben. „Das war so eine Art Schnuppertag. Er hat vor Ort kein Wort gesprochen“, sagte dessen Anwalt. Die Zeugenaussagen lieferten keine anderen Erkenntnisse. Obwohl dieser – als einziger der beiden Angeklagten – bereits über einige Einträge im Bundeszentralregister verfüge, unter anderem wegen Betrug, Körperverletzung und Diebstahl, wurde das Verfahren gegen den 34-Jährigen eingestellt.

 

Wie die Verhandlung für Vincent A. ausgeht, ist derzeit noch unklar. Dessen Anwalt schlug dem Gericht vor, das Verfahren gegen seinen Mandanten gegen die Zahlung von 500 Euro einzustellen. Richter Haase war damit nicht d'accord. Nun sollen die Geschäftsführerin und ein Mitarbeiter der Nürnberger Firma ausfindig gemacht und zum Sachverhalt befragt werden.

 

Der Prozess wird am 9. Juli fortgesetzt.

WERBUNG