BLAULICHT
17 Messerstiche in Reichshof: Täter muss für sieben Jahre in Haft
Reichshof/Bonn - Während ein 28-Jähriger nach dem Urteil am Landgericht Bonn lange in Haft muss, kam der 25-jährige Mittäter mit einer Bewährungsstrafe davon - Richter hält flammendes Plädoyer gegen Messer in der Öffentlichkeit.
Von Peter Notbohm
Er kam wegen der Hochzeit seines Bruders nach Deutschland, nun wird er lange Zeit in Haft sitzen. Insgesamt 17-mal hat Esat I. (Anm.d.Red.:Alle Namen geändert) in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober des vergangenen Jahres mit einem Messer auf einen 36-jährigen Reichshofer vor dessen Haus in Brüchermühle eingestochen. Sein Opfer konnte nur dank des beherzten Eingreifens eines Nachbarn und einer Not-OP gerettet werden. Ein Stich hatte die Lunge verletzt, es bestand Lebensgefahr. Am Montag hat das Landgericht Bonn nun das Urteil verkündet. Vom Vorwurf des versuchten Mordes (OA berichtete) blieb am Ende des fünftägigen Prozesses nichts übrig.
Ein Schwurgericht der 4. Großen Strafkammer verurteilte den in Bulgarien lebenden Syrer (28) zu einer Haftstrafe von sieben Jahren wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Heimtückisches Handeln wollten die Richter hingegen nicht bejahen. Nicht ins Gefängnis muss der Mitangeklagte Saad J. (25), ein in Gummersbach lebender Syrer. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Klaus Reinhoff verurteilte ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe. Er hatte das Opfer während der Tat festgehalten. Zudem wurden dem Opfer insgesamt 15.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich acht und zwei Jahre Haft gefordert.
[Die Vorwürfe wegen versuchten Mordes gegen einen 25-jährigen Gummersbacher wurden fallen gelassen. Wegen gefährlicher Körperverletzung wurde er aber zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.]
„Es gab keine Ausnutzung einer Arg- und Wehrlosigkeit“, begründete Reinhoff. In Richtung des Messerstechers fand er klare Worte: „Sie hatten den Impuls zuzuschlagen. Wer 17-mal in den Körper eines Menschen einsticht, ist nicht von Feinfühligkeit beseelt.“ Auch seine Entschuldigung kaufte die Kammer dem 28-Jährigen nicht ab. Diese sei ohne Empathie und ohne jedes Bedauern gewesen. Überhaupt streute der Vorsitzende Richter während seiner rund 30-minütigen Urteilsverkündung immer wieder seine Abneigung gegen Messer in der Öffentlichkeit ein.
„Bei fast jeder Streitigkeit haben wir inzwischen Messer. Jeder meint inzwischen damit rumlaufen zu müssen. Was ist das? Wo sind wir hier? Das muss mal gesagt werden“, polterte Reinhoff. Früher seien Messer nur zum Schneiden von Äpfeln oder dem Erlegen von Wild mit sich getragen worden. „Wer heute ein Messer hat und wenig Äpfel isst und wenig Wild erlegt, der hat anderes damit im Sinn. Ein Messer ersetzt inzwischen 1.000 Worte“, so der Richter weiter.
Letztlich war die Kammer davon überzeugt, dass die beiden Angeklagten zunächst bei Freunden in Waldbröl gefeiert hatten. Es wurden Trachten für eine Hochzeit anprobiert, Karten gespielt und auch ein wenig Alkohol getrunken – allerdings nicht übermäßig. In den frühen Morgenstunden sei man dann nach Reichshof zum Bruder von Esat I. gefahren. Vor dessen Haustür sei es zu dem verhängnisvollen Aufeinandertreffen mit dem späteren Opfer gekommen; er hielt die beiden Unbekannten scheinbar für potenzielle Einbrecher.
Es entwickelte sich ein Streit zwischen den beiden Männern und dem 36-Jährigen, den der Richter durch sein Bodybuilding und seine Tätigkeit als Türsteher als „Kante, mit der man sich eigentlich nicht anlegen will“, bezeichnete. Gerade deshalb waren die Richter überzeugt, dass Saad J. bei der Schlägerei mitgemischt und den Reichshofer am rechten Arm festgehalten und auch mindestens einmal selbst zugeschlagen hat. Dafür sprachen auch drei Messerstiche, die unmittelbar beieinanderlagen. „Die sind nur zu erklären, wenn ein Mensch fixiert wird“, so Reinhoff.
Dass der Reichshofer zunächst nichts von den Stichen gemerkt habe, sondern dachte, dass auf ihn eingeschlagen wurde, ist aus Sicht der Kammer ein weitverbreitetes Phänomen: „Die Opfer merken die Stiche erst, wenn sie an sich heruntergucken und das Blut sehen.“ Dass der lebensrettende Nachbar, der sich zunächst nur in seiner Nachtruhe gestört gesehen hatte, sofort mit eisernen Baseballschläger bewaffnet auf die Szenerie zulief, kommentierte der Vorsitzende bissig: „Das mag an der Landschaft dort liegen. Man will ja keine Prügel kriegen.“ Trotzdem dankte er dem Mann noch einmal ausdrücklich für seine Zivilcourage, „denn sonst säße das Opfer heute nicht hier“.
Aber auch an den 36-Jährigen Reichshofer richtete der Vorsitzende angesichts der gegen ihn im Raum stehenden Schweigegeld-Vorwürfe (OA berichtete) deutliche Worte. Mutmaßlich sollen ihm 20.000 Euro dafür geboten worden sein, dass er vor Gericht eine andere Version der Dinge erzählt. Der Mann hatte dies vehement bestritten. Die Staatsanwältin hatte im Rahmen der Plädoyers angedeutet, dass auf ihn nun eigenes Verfahren wegen Falschaussage warten könnte.
Dass die Kammer sich bei ihrem Urteil allein auf die Aussagen bei der Polizei stütze und nicht auf die Aussagen vor Gericht sei ungewöhnlich, sagte auch Reinhoff: „Aber es war Quatsch, was sie uns hier erzählt haben. Das passte nicht zusammen.“ Vielmehr sei man überzeugt gewesen, dass sich die Messerstecherei genauso abgespielt hat, wie es zunächst gegenüber Polizei und Ärzten geschildert wurde.
Während Esat I. in Haft bleibt und nach dem Verbüßen seiner Strafe wohl abgeschoben wird, verließ Saad J. den Gerichtssaal erstmals ohne Handschellen. Reinhoff: „Wir haben die positive Hoffnung, dass sie das nicht nochmal machen werden.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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