BLAULICHT
Überführt ein Stundenzettel den Rewe-Räuber?
Marienheide – Verteidigung beantragt Gang-Analyse des Angeklagten - Gericht setzt dem 45-Jährigen ein Ultimatum für ein Geständnis - Polizist berichtet, dass der Wipperfürther tief in der oberbergischen Rauschgiftszene verwurzelt gewesen sein soll.
Von Peter Notbohm
Den Raubüberfall auf den Rewe-Markt in Eringshausen (Hessen), nahe Wetzlar, am 18. Dezember des vergangenen Jahres hat Murat D. (Anm.d.Red.: Name geändert) bereits gestanden (OA berichtete). Doch hat er auch den Rewe-Markt in Marienheide-Schemmen am 12. September des vergangenen Jahres überfallen? Der Oberstaatsanwalt forderte am vierten Verhandlungstag im Prozess um die beiden brutalen Raubüberfälle (OA berichtete), dass der 45-jährige Angeklagte aus Wipperfürth langsam Farbe bekennen müsse: „Wir haben keine Äußerungen von ihm zu den Vorfällen in Marienheide und befinden uns in einem Schwebezustand.“ Die Indizienkette spreche bislang gegen Murat D., meint er.
Auch die 18. Großen Strafkammer am Landgericht Köln hat dem Angeklagten nun ein Ultimatum gesetzt. Bis Mitte nächster Woche gab der Vorsitzende Richter Volker Köhler ihm Zeit, sich Gedanken zu seiner weiteren Verteidigungsstrategie zu machen. Anschließend gilt das Angebot einer Strafobergrenze von sechs Jahren und sechs Monaten nicht mehr. Murat D. reagierte emotional: „Ich bin kurz davor zu sagen, dass ich es war, nur um es hinter mir zu haben. Ich war es aber nicht!“
Er stehe zu seinem Fehler, den er mit dem Raubüberfall in Hessen begangen habe und habe den Ermittlern auch wie gefordert den Namen seines Mittäters verraten. „Aber wie soll ich die Sache in Marienheide zugeben, wenn ich sie nicht gemacht habe“, wütete er vor Gericht. Weitergekommen ist die Polizei bei der Identifizierung des Komplizen bislang nicht. Es soll sich um einen zuletzt in Meinerzhagen lebenden Mann handeln. Das Problem für die Ermittler: Alle Hinweise des Angeklagten führten bislang ins Leere. Die Beamten fanden in den Handys des 45-Jährigen noch nicht einmal das Synonym, unter dem er seinen Komplizen abgespeichert haben will.
Die Verteidigung beantragte am Montag derweil ein weiteres Gutachten, um Murat D. zu entlasten. Eine Gang-Analyse in einem Labor der Sporthochschule Köln soll beweisen, dass es sich bei dem Täter auf den Aufzeichnungen der Überwachungskameras in den Supermärkten nicht um den Angeklagten handelt. Zuvor hatte Prof. Dr. Wolfgang Potthast vom Institut für Biomechanik und Orthopädie ein Gutachten abgegeben, dass es sich bei den beiden Männern auf den Videobildern „wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich“ um dieselben Täter handelt.
Das machte er vor allem an Bewegungsmustern und Auffälligkeiten wie O- und X-Beinen fest. Mit 100-prozentiger Sicherheit ließe sich die Identität aber nicht feststellen, da die Täter lange Kleidung und Masken getragen hatten und auch meist gebückt gefilmt worden waren. Sein Institut soll nun bis Ende Oktober die detaillierte Labor-Untersuchung durchführen. „Es kann Merkmale geben, die Ausschlusskriterien wären“, so der Gutachter.
So bleiben der Staatsanwaltschaft vorerst nur Indizien: Dazu zählt auch ein Arbeitsstundennachweis des Angeklagten, den dessen ehemaliger Arbeitgeber vorgelegt hat. Sein früherer Vorgesetzter beschrieb Murat D. als äußerst verlässlichen Mitarbeiter, der zwar gesundheitliche Probleme gehabt habe, aber „am Limit seines Körperlichen gearbeitet hat“.
Derzeit gehen die Ermittler davon aus, dass der Wipperfürther sich nach beiden Raubüberfällen in die Türkei abgesetzt hat. In der Zeit nach dem Überfall auf den Markt in Schemmen war der 45-Jährige demnach zunächst krankgemeldet und anschließend für anderthalb Monate in unbezahltem Urlaub. Was angesichts der Geldprobleme, die der Mann hatte, beim Oberstaatsanwalt für Verwunderung sorgte. Nur einen Tag nach der Tat in Hessen saß er in einem Flieger in die Türkei. Das zeigten Auswertungen von Chatnachrichten. Die Ermittler fanden demnach unzählige Buchungen auf seinem Handy.
Das war aber längst nicht alles, wie ein Kriminalhauptkommissar vor Gericht berichtete. Im Rahmen der Festnahme durch ein SEK-Team habe die Polizei mehrere gefälschte türkische Ausweise, Waffen, Drogen und mehrere Handys (darunter eins aus einem Betrugsfall) gefunden. Zudem ein Buch über Raubüberfälle.
Besonders interessant waren aber auch die Inhalte auf den Handys: Dort fanden sich Hinweise auf Kinderpornografie, Urkundenfälschungen und Verstöße gegen das Waffengesetz. Des Weiteren Kontakte zum Who des Who des oberbergischen Rauschgiftmilieus und der Rockerszene. „Er scheint in diesem kriminellen Milieu sehr stark verwurzelt zu sein“, so der Kriminalhauptkommissar.
Der Prozess wird fortgesetzt. Das Gericht hat bereits zwei weitere Verhandlungstermine bis Ende Oktober angesetzt.
ARTIKEL TEILEN