BLAULICHT
Altenpfleger vor Gericht: Freiheitsberaubung aus Fürsorge
Waldbröl/Reichshof - 56-jähriger Altenpfleger hatte demenzkranke Frau in ihrem Zimmer eingesperrt - Zeugen berichten von katastrophalen Zuständen in der Einrichtung.
Von Peter Notbohm
Was wiegt schwerer? Das Recht eines demenzkranken Menschen auf sein Selbstbestimmungsrecht oder doch sein Recht auf körperliche Unversehrtheit? Mit dieser schwierigen Frage musste sich nun das Amtsgericht Waldbröl beschäftigen. Angeklagt wegen Freiheitsberaubung war Bernd D. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert), ein 56-jähriger Altenpfleger aus Eitorf. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, im Herbst 2019 Magda K., eine hochgradig demente Bewohnerin eines Reichshofer Alten- und Pflegeheims, früh morgens für etwa zwei Stunden in ihrem Zimmer eingesperrt zu haben. Die Frau war später vom Frühdienst verletzt auf ihrem Bett gefunden worden.
Vor allem zeigte der Fall eins: Die völlige Überlastung und den Kostendruck des deutschen Gesundheitssystems schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Er habe damals Nachtdienst gehabt, erinnerte sich Bernd D. noch gut an die Nacht – wie immer sei er allein für zwei Wohnbereiche auf den beiden Etagen verantwortlich gewesen. Magda K. sei in jener Nacht extrem unruhig gewesen. Die Frau galt als aktive Läuferin in Kombination mit hohem Sturzrisiko. „Sie hatte zehn bis 15 Sturzprotokolle jede Woche“, berichtete der Altenpfleger. Tagsüber sei die Frau daher auf richterlichen Beschluss an einen Rollstuhl fixiert worden, sagte später eine Zeugin aus.
Um 5:20 Uhr habe er den Wohnbereich 1, auf dem auch Magda K. lag, versorgt gehabt. Weil er Sorge gehabt habe, dass die Frau in das nicht abschließbare Treppenhaus laufen und dort schwer stürzen könnte, während er sich in der zweiten Etage im Wohnbereich 2 befindet, habe er sie bewusst eingeschlossen. Dabei habe er auch den tödlich verlaufenen Unfall eines Bewohners einen Monat zuvor im Hinterkopf gehabt.
„Mir war vollkommen klar, dass es sich dabei um eine Freiheitsberaubung handelt. Aber ich wollte die Frau vor dem Treppenhaus schützen und habe in diesem Moment einfach so entschieden“, sagte der 56-Jährige. Auch eine Zeugin sagte aus, dass sich das Pflegepersonal immer wieder zumindest für Klingelmatten ausgesprochen hätte, mit den Vorschlägen bei der Geschäftsführung aber stets auf taube Ohren gestoßen sei: „Wenn man in der Nachtschicht im oberen Wohnbereich war, gab es keinen Plan B. Die Menschen hätten unten jederzeit rausgekonnt. Man hat einfach auf das Beste gehofft.“
Warum Bernd D. im oberen Wohnbereich deutlich länger als sonst gebraucht habe, daran konnte er sich nicht mehr erinnern, im Stress habe er dann schlicht vergessen, die Tür zum Zimmer von Magda K. wieder aufzuschließen. Gefunden wurde sie schließlich vom Frühdienst: In apathischen Zustand, über dem Bettgitter liegend und mit einer blutenden Platzwunde am linken Auge. Von der damaligen Heimleitung soll es eine Abmahnung gegeben haben, die aber von der Geschäftsführung zerrissen worden sei, berichteten mehrere Zeugen. Der Heimleiter habe daraufhin gekündigt.
Publik war der Fall erst später geworden, weil gegen Bernd D. Vorwürfe wegen Misshandlung Schutzbefohlener aufgekommen waren und er daraufhin entlassen wurde. Alle Zeugen berichteten davon, dass viele Heimbewohner immer wieder von einem „bösen Mann in der Nacht“ gesprochen hätten. Über den Vorfall könne sie nichts sagen, sie habe ihn nur von mehreren Mitarbeiterinnen geschildert bekommen, sagte die Nachfolgerin des Heimleiters, die kein gutes Haar am damaligen Zustand der mittlerweile geschlossenen Pflegeeinrichtung ließ. „Das Haus war in einem katastrophalen Zustand. Das kann ihnen auch die Heimaufsicht des Oberbergischen Kreises bestätigten. Viele Bewohner waren mangelernährt, zudem sind immer wieder Medikamente verschwunden“, berichtete sie in ihrer Aussage.
Nach Beratung mit Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger des Eitorfers stellte Richter Maximilian Holthausen das Verfahren schließlich gegen Zahlung von 1.000 Euro an das Kinderhospiz in Olpe ein. Zwar habe Bernd D. sich einer Freiheitsberaubung durchaus schuldig gemacht, „aber ich glaube ihnen, dass sie das aus Gründen des Gesundheitsschutzes gemacht haben“, so Holthausen.
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