BLAULICHT

„Dieser Nazisch… geht gar nicht“

ls; 19.04.2024, 15:15 Uhr
BLAULICHT

„Dieser Nazisch… geht gar nicht“

ls; 19.04.2024, 15:15 Uhr
Gummersbach - Rechtsgesinnter Angeklagter kam vor dem Amtsgericht trotz etlicher Vorstrafen mit einer Geldstrafe davon.

Von Leif Schmittgen

 

Es war ein Prozess der Wiedersprüche vor dem Gummersbacher Schöffengericht: Die politische Gesinnung des Angeklagten Thomas W. (Anm. d. Red.: Name geändert) sorgte nicht nur beim Vorsitzenden Richter Ulrich Neef mehrfach für Kopfschütteln, auch sein Verteidiger riss erstaunt die Augen auf, als er erfuhr, dass der 37-Jährige am ganzen Körper mit Hakenkreuzen und weiteren verbotenen Emblemen tätowiert ist. Äußerlich verwahrlost und mit Jutebeutel vor Gericht erschienen, trug der Angeklagte eine gepflegte Markenjacke, die seine politische Einstellung geschickt verdeckte.

 

Deswegen aber musste sich der Obdachlose gar nicht verantworten. Im Mai des vergangenen Jahres soll er - unter Drogen-, Medikamenten- und Alkoholeinfluss - im Supermarkt des Gummersbacher Einkaufszentrums Forum eine Flasche Schnaps im Wert von knapp 15 Euro geklaut und versucht haben, damit zu flüchten. Verfolgt wurde er von zwei aufmerksamen Verkäufern bis zum Parkhaus des Forums. Bis hierher sind die Schilderungen aller Beteiligter gleich, auch Thomas W. räumte die Vorwürfe freimütig ein.

 

Dann soll der Angeklagte mit der Schnapsflasche auf die Verkäufer losgegangen sein, heißt es in der Anklageschrift. Beide konnten sich allerdings nicht mehr an einen Angriff erinnern. „Wir haben ihn bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten und er hat sich passiv gegen unsere Maßnahme gewehrt“, so der Mitarbeiter. Sein Kompagnon hatte behauptet, dass nicht er, sondern eben jener Kollege sowie ein mysteriöser dritter Mann - der nirgends in den Vermehmungsprotokollen auftaucht - angegriffen worden seien. „Der bestätigt uns das, was wir ihn fragen“, resümierte Neef die aus seiner Sicht wenig glaubhafte Aussage des zweiten Verkäufers.

 

Licht ins Dunkel konnte auch die Aussage einer Polizistin nicht bringen. Sie hatte wegen Nachfragen zum Tatablauf und Unklarheiten von der Wache aus nochmals im Supermarkt anrufen müssen, um das Protokoll zu vervollständigen. Sie und ein weiterer Beamter mussten sich vor Ort allerdings vom Angeklagten mit übelster Rechtspropaganda beschimpfen lassen. „Dieser Nazisch… geht gar nicht, auch wenn sie vermutlich ein armer Mensch sind“, hatte Neef deutliche Worte in Richtung Thomas W. gerichtet und wirkte gar ein Stück weit verärgert. „Schade, dass das nicht angeklagt wurde. Schauen Sie doch mal in die Akte“, sagte der Richter mit Blick zur Staatsanwältin.

 

Diese hatte wegen räuberischen Diebstahls, einfachen Diebstahls und dreier Hausfriedenbrüche - W. hatte mehrere Betretungsverbote ignoriert - eine Haftstrafe von acht Monaten gefordert. Was auch mit dem schier endlos wirkenden Vorstrafenregister des Angeklagten zusammenhing. Neef musste das Verlesen des Registerauszugs mehrmals unterbrechen, um sich einen Überblick der zahlreichen parallel durchgeführten Straftaten von W. zu machen.

 

Er hatte bereits etliche Jahre im Knast gesessen, Betrug, Bedrohung, Körperverletzung, Waffen- und Drogenbesitz sind nur einige der Delikte. Der Verteidiger plädierte für eine sechsmonatige Haftstrafe auf Bewährung mit der Begründung, dass sich sein Mandant derzeit freiwillig in einer Marienheider Entzugsklinik befinde. „Ich kenne ihn seit Jahren und weiß, dass die Entzugsmaßnahme für ihn ein großer Schritt ist“, setzte der Rechtsanwalt den Lebenswandel des Angeklagten in Relation.

 

Ähnlich sah es das Schöffengericht. Neef verurteilte W. zu einer Geldstrafe von 600 Euro und blieb damit deutlich unter den Forderungen. Der Angeklagte - während der Verhandlung mehrmals eingenickt - verließ mit einem knappen „Danke“ den Saal.

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