BLAULICHT

Drogenkrieg? – Lange Haftstrafen nach tödlicher Messerattacke

pn; 13.06.2024, 13:50 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Für siebeneinhalb und sechs Jahre müssen zwei Männer (hier mit ihren Verteidigern) aus Radevormwald hinter Gitter, nachdem sie einen 19-Jährigen erstochen haben.
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Drogenkrieg? – Lange Haftstrafen nach tödlicher Messerattacke

pn; 13.06.2024, 13:50 Uhr
Radevormwald/Köln – Urteil am Landgericht Köln - Ein 20-Jähriger und ein 23-Jähriger aus Radevormwald müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis – 19-Jährigen vermutlich wegen Vorherrschaft um Drogenszene erstochen.

Von Peter Notbohm

 

Warum es in den frühen Morgenstunden des 27. August des vergangenen Jahres im Anschluss an die öffentliche Veranstaltung ‚Radevormwald karibisch‘ zu einer tödlichen Messerattacke auf einen 19-Jährigen in der Nähe des Sparkassen-Kreisverkehrs in Radevormwald gekommen ist (OA berichtete), darüber konnte die 4. Große Strafkammer am Landgericht Köln unter dem Vorsitz von Richter Ansgar Meimberg auch nach acht Verhandlungstagen (OA berichtete) nur spekulieren. Vermutungen hinsichtlich eines ausgeuferten Drogenkrieges in Radevormwald gab es zwar, trotzdem musste die Kammer letztlich von einer Spontantat ausgehen. Was die Richter allerdings sicher wussten: Wer die Täter waren.

 

Bachodur C. und Faris A. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) wurden am Mittwoch zu langen Haftstrafen verurteilt. Der 20-jährige Bachodur C. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Zudem muss er an die beiden Nebenkläger jeweils 15.000 Euro Hinterbliebenengeld zahlen. Der 23-jährige Faris A. muss wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung für sechs Jahre hinter Gitter. Das Urteil gegen die beiden Männer aus Radevormwald ist noch nicht rechtskräftig.

 

Ursprünglich hatte das Urteil bereits vor zwei Wochen fallen sollen (OA berichtete). Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft hatte die Kammer allerdings noch einen rechtlichen Hinweis für erforderlich gehalten und das Verfahren wiedereröffnet, um das Gutachten einer Rechtsmedizinerin einzuholen. Sie sollte klären, ob Faris A. wegen eines vollendeten Totschlags oder nur wegen des Versuchs zu bestrafen ist. „Für Laien schwierig nachzuvollziehen, aus juristischer Sicht mussten wir aber klären, ob ihm der Tod des Opfers zugerechnet werden kann“, erklärte Meimberg.

 

Das Ergebnis des Gutachtens: Bereits der erste Messerstich in einer Gasse zwischen zwei Häusern in der Kaiserstraße in die Leistenregion des 19-Jährigen war tödlich: Hier verlaufen im Oberschenkel die größten Blutgefäße des Körpers. Beide wurden stark beschädigt, das Messer war 8,5 Zentimeter eingedrungen. „Derartige Verletzungen sind außerhalb einer Klinik quasi unmöglich zu stillen“, sagte die Rechtsmedizinerin. „Selbst als Notarzt mit jahrelanger Erfahrung kann man nur versuchen, etwas abzudrücken. Dass man ein Leben noch retten kann, dafür besteht nur eine ganz geringe Wahrscheinlichkeit.“

 

Das Opfer hatte nach dem ersten brutalen Stich noch versucht zu flüchten. Die beiden Täter waren ihm aber gefolgt und hatten im Bereich des Kreisverkehrs erneut zugestochen – diesmal mit voller Wucht in die Brust. Hierbei wurde ein Rippe durchtrennt und der linke Lungenflügel verletzt. Notärzte kämpften noch um das Leben des 19-Jährigen, er verstarb aber an Ort und Stelle.

 

Das Gericht bewertete diesen zweiten Stich aus juristischer Sicht als untauglichen Versuch, da der Sterbeprozess bereits durch den ersten Stich eingeleitet worden war. Für Faris A., der in beiden Fällen das Opfer festgehalten hatte, während Bachodur C. das Messer führte, war diese Einordnung wichtig, da er damit nicht wegen eines vollendeten Totschlags verurteilt werden konnte. Aus Sicht der Richter hatte der 23-Jährige bis zur ersten Attacke noch nichts von den Tötungsabsichten seines Freundes gewusst.

 

Bis zuletzt hatten die Anwälte der Nebenkläger darum gekämpft, dass die Tat als Mord eingestuft wird (sie forderten Haftstrafen von nicht unter zehn Jahren) und die Kammer zum Abschluss noch einmal mit zahlreichen Anträgen torpediert. Unter anderem wurde die Freundin von Faris A. noch in den Zeugenstand gerufen. Dem Gericht fehlten für Mord letztlich aber die Beweise. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen in Höhe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten beantragt. Die Verteidigung auf ein „gerechtes Urteil“ (Bachodur C.) und eine Haftstrafe von vier Jahren (Faris A.) plädiert. In seinem letzten Wort zeigte der 20-jährige Messerstecher Reue: „Ich kann mich nur zutiefst entschuldigen. Ich habe falsch gehandelt.“

 

Die beiden Verurteilten nahmen das Urteil vollkommen unterschiedlich auf. Während Bachodur C. an den Lippen des Richters hing und jedes Wort quasi in sich aufsog, starrte Faris A. fast durchgängig ins Leere. Ausführlich ging Richter Meimberg auf die Tat ein und was das Gericht ermitteln konnte: Beide Täter seien zur Tatzeit vermindert schuldfähig gewesen, da sie in den Stunden vor der Tat Cannabis und Kokain konsumiert hatten. Er sprach von einer erheblichen Brutalität der Messerstiche („Beide Verletzungen waren für sich genommen lebensgefährlich“).

 

Im Vorfeld hatten sich das spätere Opfer und die beiden Täter - eigentlich langjährige Freunde - bereits zu einer Schlägerei verabredet, um einen Streit um einen ausgeraubten Freund der beiden Radevormwalder zu klären. Dieses Treffen fand aber nie statt. Erst Stunden später waren beide Gruppen wieder in der Nähe eines Parkdecks aufeinandergetroffen, wo die Situation letztlich in Form einer Schlägerei und der tödlichen Messerstiche eskalierte.

 

Dass Bachodur C. letztlich trotz Jugendstrafrechts und einer „nicht auszuschließenden Provokation durch das Opfer“ die höhere Haftstrafe erhielt, lag auch an seinem Nachtatverhalten. Nicht nur habe er Bekannte zum Drogenverkauf aufgefordert, um seine Flucht zu finanzieren. In abgehörten Telefonaten brüstete er sich zudem damit, dass nun jeder wisse, wer der Patron bzw. Boss in Radevormwald sei. Erst zwei Wochen vor der Messerattacke hatte er einen Jugendarrest wegen Drogenhandels abgesessen.

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