BLAULICHT

Geständnis im Gummersbacher Mordprozess: Einblicke in eine bizarre Gedankenwelt

pn; 27.08.2024, 16:55 Uhr
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Foto: Peter Notbohm ---- Am Freitag soll das Urteil im Mordprozess um eine tödliche Messerattacke am Gummersbacher Busbahnhof fallen. Dem 22-jährigen Angeklagten (hier mit seinem Verteidiger) droht eine lebenslange Haftstrafe.
BLAULICHT

Geständnis im Gummersbacher Mordprozess: Einblicke in eine bizarre Gedankenwelt

pn; 27.08.2024, 16:55 Uhr
Gummersbach – Der 22-jährige Angeklagte hat die Messer-Attacke zugegeben, will aber aus Angst um sein Leben gehandelt haben – Gutachter sieht keine Gründe für eine Schuldunfähigkeit, obwohl der Reichshofer mit kruden und rassistischen Geschichten vor Gericht aufwartet.

Von Peter Notbohm

 

Wende im Prozess um die tödliche Messerattacke am Gummersbacher Busbahnhof (OA berichtete). Nachdem Mario C. (Anm.d.Red.: Name geändert) bereits vergangene Woche zum Ende des dritten Verhandlungstages dem Druck der bislang vorgelegten Beweise nicht mehr standhalten konnte und ein Geständnis abgelegt hatte, hat sein Verteidiger dieses nun am Dienstagvormittag in einer Einlassung noch einmal präzisiert. Die Tat gibt der Angeklagte zwar zu, will aber aus Angst gehandelt haben.

 

Demnach habe es am 29. Februar im Bereich des abgelegenen Bushäuschens, wo sich die Gummersbacher Trinker- und Drogenszene regelmäßig versammelt, gleich mehrere Aufeinandertreffen des 22-jährigen Angeklagten mit dem späteren Opfer gegeben, man habe sogar zusammen geraucht. Schon Minuten vor der Tat sollen beide Männer hinter das Häuschen gegangen zu sein. Dabei soll Mario C. mehrfach beleidigt und bedroht worden sein. „Er hat in seine Hosentasche gegriffen und gefragt, ob ich jetzt sterben will“, schilderte der Rechtsanwalt die Erzählungen seines Mandanten.

 

Klappmesser soll dem Opfer aus der Hosentasche gefallen sein

 

Er habe die Drohung aufgrund eines Vorfalls in der Silvesternacht 2021, als er mit einem Nunchaku attackiert worden sei, ernst genommen. Doch dem 24-jährigen späteren Opfer sei bei einer Bewegung ein Klappmesser unbemerkt aus der Tasche gefallen. Dieses habe er dann aufgehoben. Anschließend habe er weiter auf seinen Dealer warten wollen, sei aber vor dem Häuschen weiter beleidigt und bedroht worden, dabei auch von drei weiteren Männern umringt worden. Schließlich habe der 24-Jährige ihn erneut aufgefordert, hinter das Bushäuschen zu gehen. Dort soll er sich mit den Worten „Ich bringe dich um“ umgedreht und in seine Tasche gegriffen haben. „Aus Angst vor einem weiteren Messer“ habe der 22-Jährige dann selbst das Messer aufgeklappt und in den Hals zugestochen.

 

Der Vorsitzende Richter Peter Koerfers, der den Angeklagten schon zum Prozessauftakt ein Geständnis nahegelegt hatte (OA berichtete), hatte anschließend nicht wenige Fragen. U.a., warum Mario C. überhaupt geblieben sei, wenn er von vier Personen derart bedroht werde. Die Antwort: „Ich wollte auf meinen Dealer warten, der hatte besseres Gras.“ Eine weitere Frage: „Erklären sie mir, warum sie hinter das Häuschen mitgehen, wenn sie so massiv angegangen werden.“ Er habe gucken wollen, was ihn dort erwartete, sagte der Angeklagte: „Nachdem die drei anderen weggegangen waren, habe ich mich so gefühlt, dass mir dort nichts passieren kann.“

 

Tatwaffe in Busch entsorgt

 

Er habe unbedingt wissen wollen, warum er beleidigt und bedroht werde und warum er sich nicht frei an dem Bushäuschen bewegen können solle. Antworten habe er nicht erhalten, es sei zu der hektischen Bewegung gekommen, die ihn dazu veranlasst habe, selbst zum Messer zu greifen. Dies sorgte beim Richter angesichts der Videoaufnahmen der Tat für Stirnrunzeln: „Die Bewegung geht von ihnen aus.“ Der Angeklagte sprach von „Selbstschutz“: „Man konnte nicht wissen, was er in der Hand hielt. Es hätte ein weiteres Klappmesser oder ein Schraubenzieher sein können.“ Gesehen habe er dergleichen aber nicht, gab Mario C. zu. Nachdem das Blut aus dem Hals des 24-Jährigen geschossen sei, sei er nur noch gerannt. Das Messer habe er später in einem Busch entsorgt.

 

Eigentlich wollte sich das Gericht weitere entsprechende Videosequenzen aus den Überwachungskameras am Busbahnhof ansehen, hier versagte nach wenigen Clips allerdings die Technik. Auch IT-Spezialisten des Landgerichts konnten nicht weiterhelfen. Dies soll nun am Freitag nachgeholt werden.

 

Angeklagter rauchte bis zu sieben Gramm Cannabis pro Tag

 

Stattdessen gab es einen Einblick in die bizarre Gedankenwelt von Mario C., der bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten und Straftaten gegen das Waffenrecht vorbestraft ist. Der 22-Jährige sprach über seine Kindheit und beantworte Fragen dazu, wie er als Jugendlicher in den Drogensumpf abgerutscht ist. Bis zu sieben Gramm Cannabis täglich habe er geraucht, dazu zahlreiche Drogen wie Pep, Kokain, Crack oder MDMA mehr oder weniger regelmäßig konsumiert. Ein Versuch, in der Klinik in Marienheide unterzukommen, sei gescheitert, weil man ihn auf eine sechsmonatige Warteliste verwiesen habe.

 

All dies endete damit, dass seine Eltern sogar ein Kontaktverbot gegen ihren gewaltbereiten Sohn erließen. Seiner damals schwangeren Mutter hatte er in einem Streit sogar in den Bauch geschlagen und getreten (OA berichtete). Er sei damals bei Freunden untergekommen, habe phasenweise auch im Wald schlafen müssen. Dabei habe er sich öfters verfolgt gefühlt. „Ich bin häufig abgezogen worden, vielleicht waren es auch die Taliban oder der Dschihad“, sagte er heute.

 

Wirre und rassistische Thesen zu Verbrechen in Gummersbach und Waldbröl

 

Auch anschließend verstrickte er sich auf Nachfragen des Richters, der sich am Protokoll eines psychiatrischen Gutachtens entlangarbeitete, in seltsam krude und rassistische Bemerkungen: „Man muss diese Erfahrungen selbst machen. Wenn diese Araber aus dem Persischen Reich nicht im Bus mitgenommen werden, rufen sie ‚der IS bringt dich um.“ Er wisse von mindestens zehn bis 15 Fällen. Noch wirrer wurden seine Ausführungen beim Thema Nahtod-Erfahrungen. Er berichtete von Dealern, die ihm Drogenschulden anhängen wollten. Dafür sei er monatelang mit Schlagstöcken und Pistolen bedroht worden. Das sei auch der Grund, warum er sich Messer, eine Machete und eine Gaspistole angeschafft habe.

 

Anders als in seinem Heimatort in Reichshof habe er sich in Waldbröl nicht mehr frei bewegen können: „Da laufen wirklich schwere Straftäter rum und man wird von sieben Leuten umzingelt. Das ist dann wie ein Hundefight.“ Wer es in Waldbröl als Krimineller nicht schaffe, gehe nach Gummersbach. „Das sind alles Leute aus dem Persischen Reich, die in Gummersbach eine Kleine-Mädchen-Prostitution betreiben. Dort werden viele Mädchen als verloren gemeldet, die dann am Bahnhof wieder auftauchen und ihre Drogensucht als Prostituierte abarbeiten.“

 

Gutachter sieht keine Gründe für eine Schuldunfähigkeit

 

Dazu berichtete er von inneren Stimmen, die ihn schon seit der Kindheit vor gefährlichen Situationen warnen würden. Er nannte es „Telepathie, auf die jeder zugreifen kann. Ich habe dafür kein besonderes Talent“. Der psychiatrische Gutachter sah trotz dieser Aussagen aber keine Gründe, die Schuldfähigkeit von Mario C. anzuzweifeln. Zwar bestehe bei dem Angeklagten eine Cannabisabhängigkeit und es gebe Ansätze für eine Persönlichkeitsstörung, seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit seien bei der Tat allerdings nicht vermindert gewesen.

 

Dafür spreche vor allem das gezielte Handeln nach der Tat, sagte der Facharzt für Psychotherapie. Der 22-Jährige habe gezielt mit einem Stich den Hals attackiert, anschließend bewusst durch einen Haarschnitt und eine Rasur sein Aussehen verändert und auch das telefonische Einwirken auf Zeugen sowie das Wegwerfen des Messers sei ein „sehr gezieltes Taktieren“ gewesen.

 

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt, dann soll auch die Plädoyers gehalten werden und ein Urteil fallen. Mario C. droht eine lebenslange Haftstrafe.

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