BLAULICHT

Gutachten über Gummersbacher Messerangreifer: „Unbehandelt sind weitere Taten zu erwarten“

pn; 07.10.2024, 22:30 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Am Dienstag wird das Urteil im Prozess um die Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt erwartet.
BLAULICHT

Gutachten über Gummersbacher Messerangreifer: „Unbehandelt sind weitere Taten zu erwarten“

pn; 07.10.2024, 22:30 Uhr
Gummersbach - Ein Psychose sieht die Gutachterin nicht, empfiehlt aufgrund einer psychischen Erkrankung aber eine Unterbringung in einer Forensik.

Von Peter Notbohm

 

Der Prozess um die Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt biegt auf die Zielgerade ein. Am Montag ging es vor der 18. Großen Strafkammer am Landgericht Köln um die Frage, wie der Angeklagte Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert) tickt und ob von ihm weiterhin Gefahr ausgeht. Fast zwei Stunden ließ sich die psychiatrische Sachverständige Dr. Anette Korte hierzu ein und stellte die Ergebnisse ihres Gutachtens vor. Das Ergebnis befriedigte allerdings vor allem die Verteidigung um Rechtsanwalt Udo Klemt kaum.

 

Dass der 30-jährige Gummersbacher die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat, ist nach zwei Prozessen am Amtsgericht und am Landgericht Köln inzwischen auch ohne Urteil so gut wie nachgewiesen. Selbst die Verteidigung spricht inzwischen nur noch von Tatsachen. Der Mann soll, nachdem er in einem Supermarkt mehrere Bierdosen gestohlen hat, nach einer längeren Verfolgung einen Polizisten mit einem Teppichmesser angegriffen haben. Die Beamten eröffneten daraufhin das Feuer und trafen ihn mehrfach. Er verlor mehrere Finger. Das Video von den Schüssen ging viral.

 

Die Frage, um die es in dem Prozess nur noch geht: Muss Alex H. in ein Gefängnis oder in eine psychiatrischen Krankenhaus? Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann u.a. schweren gefährlichen Diebstahl, Widerstand gegen die Polizei sowie gefährliche Körperverletzung vor.

 

Ihr Gutachten stützte Korte vor allem auf die Zeugenaussagen beider Prozesse sowie mehrere ärztliche Berichte. Eine direkte Exploration habe der Angeklagte trotz vorheriger Zusage im vergangenen Jahr abgelehnt, hieß es von der Gutachterin. So kam es auch, dass Dr. Korte in ihrem Gutachten sehr häufig im Konjunktiv blieb und auch nur von Möglichkeiten sprach.

 

Trotzdem kam sie zu eindeutigen Ergebnissen. Unbehandelt seien von Alex H. weitere Taten zu erwarten. Er habe eine gestörte Wahrnehmung der sozialen Realität und sehe nicht ein, dass er psychisch krank sei. Es gebe einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Taten und seiner Aggressivität sowie seiner Impulsivität. Zudem sah Dr. Korte deutliche Hinweise auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Anteilen. „Er lebt ohne Verantwortungsübernahme und reagiert mit Gewalt auf Kränkungen“, sprach die Gutachterin von einem gestörten Selbstwertgefühl bei dem Angeklagten.

 

Sie erkenne einen roten Faden, der sich durch Leben des 30-Jährigen ziehen würde. Alex H. habe demnach schon in frühen Kindheitstagen erste Anzeichen einer Aufmerksamkeitsstörung gezeigt. Bereits mehrfach war er in Kliniken untergebracht. Behandlungen seien allerdings stets abgebrochen worden, auch Versuche einer Unterbringung in einer therapeutischen Wohneinrichtung seien gescheitert. „Er sieht sich als Opfer. Schuld sind immer die anderen“, so die Gutachterin.

 

Für ihn seien Konflikte „Machtspielchen“, bei denen er sich durchsetzen muss: „Das stabilisiert ihn. Er muss das Gefühl haben, die Oberhand zu haben.“ Mit diesen „wiederkehrenden Handlungsverläufen“ erklärte Korte auch die Schläge gegen die Mitarbeiterin aus dem Supermarkt, den Steinwurf auf seinen Vermieter sowie die Attacke auf die Polizisten am Backwerk.

 

Dass Alex H. paranoid halluzinatorisch oder gar wahnhaft gehandelt habe, wollte die Gutachterin hingegen ausdrücklich nicht diagnostizieren. Es gebe zwar psychotische Episoden, diese seien aus ihrer Sicht aber nicht tatbezogen. Dafür sei das Handeln des 30-Jährigen zu gesteuert gewesen: „Er kann immer noch auf äußere Einflüsse reagieren und Sicherungsmaßnahmen treffen.“ Auch eine mögliche Suchterkrankung sei unklar geblieben, da der Gummersbacher keine Entzugssymptome zeige.

 

Rechtsanwalt Udo Klemt löcherte die Gutachterin anschließend mit zahlreichen Fragen, nannte ihre Diagnosen teilweise spekulativ. Mit seiner Beharrlichkeit entlockte er der Gutachterin schließlich aber doch eine Aussage: Dass Alex H. bei der Attacke auf die Polizisten schuldunfähig gehandelt habe, könne sie nicht ausschließen.

 

Am Dienstag wird es ein weiteres Gutachten geben: Ein Experte soll Angaben zur Gefährlichkeitsprognose machen, ob Alex H. mit seinen verkrüpelten Händen überhaupt noch in der Lage ist, ein Messer zu führen. Anschließend werden die Plädoyers erwartet. Auch das Urteil soll fallen.

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