BLAULICHT

Gutachter: „Angeklagte kann nicht lügen“

lw; 31.01.2024, 19:05 Uhr
Symbolfoto: OA.
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Gutachter: „Angeklagte kann nicht lügen“

lw; 31.01.2024, 19:05 Uhr
Waldbröl - 37-Jährige soll in einem Supermarkt gestohlen und einen Mitarbeiter geschlagen haben – Schuldunfähigkeit nachgewiesen.

Von Lars Weber

 

Hausfriedensbruch, Diebstahl und Körperverletzung: Dies sind die Vorwürfe, weshalb sich heute die 37-jährige Kathrin P. (Anm.d.Red: Name geändert) am Amtsgericht Waldbröl verantworten musste. Bereits vor einigen Monaten war die Frau vor Gericht erschienen. Nach einem Unfall vor rund 20 Jahren hat die Frau mit einigen Einschränkungen zu leben, weshalb Richterin Laura Lax das Verfahren damals schnell auf Eis legte, damit ein Gutachten die Schuldfähigkeit von Kathrin P. klären kann. Nun kamen die Beteiligten wieder zusammen. Und erneut ging es schnell. Das Gutachten war eindeutig – und sehr bemerkenswert. Am Ende stand der Freispruch für die 37-Jährige.

 

Sämtliche vorgeworfene Delikte spielten sich in der Filiale eines Supermarkts in Nümbrecht zwischen September 2022 und Januar 2023 ab. Dort hat die Angeklagte eigentlich ein Hausverbot, schon das Betreten ist ihr also nicht erlaubt. Und trotzdem soll sie im Tatzeitraum acht Mal gegen dieses Verbot verstoßen haben, wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage verlas. In fünf dieser Fälle blieb es jedoch nicht dabei, sondern Kathrin P. habe die Gelegenheit genutzt, um Zigaretten oder vor allem Alkohol in ihre Tasche zu stecken, ohne später zu bezahlen, so der Vorwurf. Dabei griff sie zu Dosenbier, Sekt oder Spirituosen.

 

Einmal soll dabei die Situation dabei eskaliert sein, als die 37-Jährige in den Laden zurückkehrte. Bei einer Konfrontation durch einen Mitarbeiter soll sie um sich geschlagen und den Mann am Oberschenkel getroffen haben.

 

Schon in der Anklageschrift hieß es, dass Kathrin P. erheblich vermindert schuldfähig sein könnte. Seit einem Unfall sitzt die Angeklagte im Rollstuhl und hat auch kognitive Einschränkungen, so fällt ihr zum Beispiel das Sprechen schwer. Hinzu kommt eine nicht weiter diagnostizierte Form der Alkoholsucht. Trotzdem hatte sich die in einer Pflegeeinrichtung lebende Frau beim ersten Termin so gut es ihr möglich war erklärt. Von ihrer Aussage damals wich sie auch heute nicht ab. Geschlagen habe sie nicht, sagte sie nochmal. Den Diebstahl räumte sie aber ein. Sie habe das ihr zustehende Taschengeld im Rahmen der Sozialhilfe im Heim nicht erhalten, brachte sie damals als Grund für die Taten vor. Schon bei dem ersten Termin war indes unklar, ob Kathrin P. tatsächlich verstanden hat, dass sie in dem Laden ein Hausverbot hat.

 

Das ausführliche psychiatrische Gutachten gab dazu und auch zu anderen Fragen einige Antworten. „Ich war sehr beeindruckt von der Untersuchung“, schickte der Gutachter vorweg. Diese habe in der Pflegeeinrichtung stattgefunden, dort, wo sich die Angeklagte wohl fühlt. Bei dem Unfall, der zu einer massiven Schädigung bei ihr geführt habe, sei sie 18 Jahre alt gewesen. Lange habe sie im Koma gelegen. Als sie erwachte, habe sie zunächst nur noch das Wort „Nein“ sagen können. Nach und nach hat sie Fähigkeiten wiedererlangt. Einige hirnorganische Schädigungen sind geblieben, zudem ist sie halbseitig gelähmt, hat die erwähnte Sprachstörung, und ist außerdem auf einer Seite taub und blind. Die Sehfähigkeit sei auch auf der anderen Seite eingeschränkt. Und doch: „Sie malt fantastische Bilder“, so der Gutachter, teils fast fotorealistisch.

 

An manche Dinge könne sie sich explizit gut erinnern, auch an die Taten im Supermarkt. Anderes kann sie nicht verbal mitteilen. Schriftliche Anweisungen, wie zum Beispiel das Hausverbot, könne sie kaum verarbeiten. Vieles läuft bei ihr im Gehirn über das Gefühl. Fühlt sie sich gut, wird sie abgeholt, versteht sie Zusammenhänge.

 

Zugleich überflügeln die Emotionen ihr generell vorhandenes Wissen, was richtig und falsch ist. „Massive Gefühle führen zu Handlungen, die ihrem Wesen nicht entsprechen.“ Bei den Diebstählen habe sie sich ungerecht behandelt gefühlt und gemeint, es stehe ihr zu, dieses Unrecht auszugleichen. Ein anderer Effekt: „Das Abstraktionsvermögen ist gestört, sie kann keine Schutzbehauptung aufstellen.“ Mit anderen Worten: „Die Angeklagte kann nicht lügen“.

 

In der Einrichtung habe man ihr das Hausverbot inzwischen vermitteln können, auch die Probleme mit ihrem Taschengeld seien angegangen worden. Weiter scheint es, als ob sie ihren Hang zum Alkohol mit einfachen Abmachungen mit der Einrichtung in den Griff bekommen habe, so der Gutachter. Generell hätte es vielleicht gar nicht zum Prozess kommen müssen, wenn die Leitung des Lebensmittelgeschäfts den Kontakt zur Pflegeeinrichtung gesucht hätte. Bei den Taten sei sie schuldunfähig gewesen.

 

Dementsprechend zügig war die Verhandlung anschließend beendet. Staatsanwaltschaft und Verteidigung beantragten einen Freispruch, dem Richterin Lax nachkam.

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