BLAULICHT
Karnevalsschlägerei: Erinnerungslücken Alaaf!
Waldbröl – Zwei Männern wurde gefährliche Körperverletzung vorgeworfen – Aus ihrer Sicht waren sie aber die Opfer – Verteidigung wittert einseitige Ermittlungen.
Von Lars Weber
Erst wurde im Denklinger Festzelt zünftig Karneval gefeiert, dann flogen im Ort die Fäuste: Um eine Prügelei am 19. Februar vergangenen Jahres ist es am Mittwoch am Amtsgericht Waldbröl gegangen. Dass es dabei ordentlich zur Sache gegangen sein muss, schien ob der attestierten Verletzungen bei den Beteiligten fast der einzig klar festzustellende Umstand zu sein. Aber wer als erstes zugeschlagen hat? Und warum? Und wer hier Opfer und Täter gewesen sein soll? Das ließ sich für die Vorsitzende Richterin Laura Lax nicht rekonstruieren. Einerseits erschien das vermeintliche Opfer erst gar nicht, noch dazu unentschuldigt. Andererseits waren die Erinnerungslücken der Anwesenden schlicht zu groß. Und noch dazu witterte die Verteidigung einseitige Ermittlungen seitens der Polizei.
Dabei hörte sich die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft noch an wie eine klare Angelegenheit. Sie warf den beiden Afghanen Diar I. und Jawad O. (Anm.d.Red.: Namen geändert) gefährliche Körperverletzung vor. Die beiden Frisöre sollen am Volksbank-Parkplatz auf zwei Männer getroffen sein, es soll Provokationen gegeben haben – so soll Diar I. das vermeintliche Opfer am Hintern angefasst haben –, dann soll es zur Schlägerei gekommen sein. Dabei sollen der 23-jährige Diar I. und der 28-jährige Jawad O. beide auf einen der beiden Männer eingeprügelt haben – diverse Wunden am Kopf seien die Folge gewesen. Auch der andere Mann soll einen Schlag kassiert haben.
Udo Klemt, Rechtsanwalt von Jawad O., begann seine Verteidigung: „Das sind Frisöre, die hauen keine anderen Leute.“ Er bemängelte sogleich die „wuselige“ Akte, man habe Stunden benötigt, um mit den Angeklagten zusammen den Vorfall zu verstehen. Die Provokation – die Hand am Hintern – sei „Kokolores“: „Daran haben die Mandanten kein Interesse“. Aus Sicht der Verteidigung sei folgendes passiert: Die beiden Freunde seien nach dem Zeltbesuch auf dem Weg zum Auto einer Freundin gewesen, die sie mitnehmen wollte. Jawad O. habe ein paar Meter Vorsprung auf Diar I. gehabt. Als der 28-Jährige sich umgedreht habe, sei sein Kumpel schon von zwei Personen traktiert worden. Als er dazwischen gehen wollte, habe er von einer anderen Person einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen.
Das Ergebnis der Prügelei: Diar I. hatte eine Gesichtsfraktur erlitten, „übelste Schlagverletzungen“, wie Klemt betonte, was in den Akten kaum berücksichtigt worden sei. Es sei von der Polizei nur „einseitig gegen zwei Ausländer ermittelt“ worden. „So entstehen solche Anklagen.“
Auf die Nachfrage, warum Diar I. eine Frau in einem Auto gefragt haben soll, ob diese sie mitnehmen könnte, obwohl sie doch eigentlich bereits eine Fahrerin parat hatten, konnten die Freunde nicht so recht antworten. „Ich habe keine Erinnerung daran, dass ich das gefragt habe. Könnte aber sein, dass ich gefragt habe“, sagte Diar I.. Er sei einfach zu besoffen gewesen. Auch warum ein Gespräch mit dem anderen Mann aggressiv geworden sei, wusste er nicht mehr. Auch Jawad O. konnte hierzu nichts sagen, da er erst hinzugekommen sei, als die Prügelei schon im Gange war.
Aufschlussreich hätte die Aussage des vermeintlichen Hauptopfers sein können. Er erschien jedoch nicht zum Prozess und hatte sich auch nicht entschuldigt.
Dafür war der Mann am Amtsgericht, der ihn damals zur Karnevalsparty begleitet hatte. Sein Freund – „wir sehen uns aber nur selten“ – hätte zwei Männer am Ausgang des Zelts verdächtigt, dass sie ihnen die Geldbörsen wegnehmen wollten. Sie seien aber an ihnen vorbei gegangen. Am Parkplatz war dann "ein Durcheinander" entstanden. Wer wen geschlagen hat? Ob die Angeklagten etwas damit zu tun hatten? „Ich habe null Erinnerungen.“
Viel besser wurde es anschließend nicht bei der Vernehmung der Insassen des Autos, an dem Diar I. nach einer Mitfahrgelegenheit gefragt haben soll. Der eine hatte „nichts richtig gesehen“, ein anderer wusste auch nicht, wer angefangen hat und die beiden Männer auf der Anklagebank konnte auch keiner so richtig wiedererkennen. Einem der Befragten sei bei der Polizei damals das Foto von Diar I. vorgelegt worden, ohne alternative Fotos zur Auswahl zu geben – was natürlich scharf von den Rechtsanwälten Klemt und Jens George kritisiert wurde.
Die einzige, die die Schlägerei tatsächlich gesehen haben möchte, war die Fahrerin des Autos, um das sich die Prügelei entfaltete. Demnach habe Diar I. ihrer Erinnerung nach zugeschlagen, das vermeintliche Opfer lag am Boden. „Sah böse aus.“ Was aber davor passiert war, konnte sie auch nicht sagen.
Das Gericht hatte genug gehört. Nach einem Rechtsgespräch soll das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldauflage durch Diar I. eingestellt werden. Er soll 300 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung überweisen.
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