BLAULICHT
Weiteres Gutachten statt Urteil im Prozess um Schüsse in Gummersbacher Innenstadt
Gummersbach – Eine Krafttestung und eine Nervenleitgeschwindigkeitstestung sollen Aufschluss darüber bringen, ob der Angeklagte seine Hände jemals wieder normal benutzen kann.
Von Peter Notbohm
Überraschende Wende im Prozess um die Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt. Entgegen der ursprünglichen Planung kam es am Dienstag zu keinem Urteil. Stattdessen forderte die 18. Große Strafkammer am Landgericht Köln ein weiteres Gutachten an. An der Uniklinik Köln sollen Spezialisten eine Nervenleitgeschwindigkeitstestung sowie eine Krafttestung beim Angeklagten Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert) durchführen. Die Richter erhoffen sich hiervon mehr Klarheit, ob der 31-jährige Gummersbacher überhaupt noch in der Lage ist, ein Messer zu führen oder ob eine Nerven- und Sensibilitätsstörung vorliegt. Bei den Tests wird u.a. jedes Fingergelenk auf seine Beweglichkeit getestet.
Zuvor hatte Sebastian Wegmann, Unfallchirurg der Uniklinik Köln, sein Gutachten über die Gefährlichkeitsprognose des Angeklagten abgegeben. Dieses basierte allerdings nur auf den Operationsdaten, da Alex H. sich einer genaueren Untersuchung bislang verweigert hat. Dem 31-Jährigen mussten infolge der Polizei-Schüsse vor dem Backwerk in Gummersbach an der rechten Hand der Ringfinger und der kleine Finger amputiert werden. Mehr als ein sogenannter Pinzettengriff mit Daumen und Zeigefinger sei hier nicht mehr möglich, so der Gutachter – feinmotorische Dinge seien aber weiterhin möglich. An der linken Hand verlor der Gummersbacher den Mittelfinger. Die Einschränkung sei dadurch geringer als an der anderen Hand, aber vorhanden.
Das Ergebnis des bisherigen Gutachtens: Das Ausmaß der Einschränkungen ist ohne genauere Untersuchung nur schwer zu beurteilen. Grobmotorisch dürfte der Angeklagte linksseitig normalerweise nicht gravierend eingeschränkt sein. An der rechten Hand sehe dies anders aus. Auch wie groß der Griffkraftverlust und eine mögliche Schlagkraft infolge der Verletzungen ist, konnte der Gutachter nicht abschließend beurteilen. Hier soll die Nervenleitgeschwindigkeitstestung Aufschluss geben, da auch die Schüsse in den Oberschenkel, durch die Nervenbahnen verletzt wurden, den gesamten Bewegungsablauf mindern können.
Vom Bewegungsablauf sei Alex H. aus Sicht des Chirurgen weiterhin in der Lage, ein Messer zumindest zum Schneiden zu führen. Ob er die Kraft für eine Schlagbewegung habe, konnte bislang aber nicht untersucht werden. Vermutlich sei eine Stichbewegung aufgrund des Kraftverlusts aber nur noch schwierig durchzuführen. Auch inwieweit Ergotherapie zu einer Besserung führen könne, wollte der Gutachter nicht abschließend beurteilen.
Der Angeklagte gab an, dass er die Hand kaum noch schließen könne. Auch sein Verteidiger Udo Klemt gab zu bedenken, dass sein Mandant seit Monaten immer mit derselben gekrümmten Handhaltung sitze. Eine verlängerte Ruhigstellung und die Schonhaltung könnte zum Einschleifen der Gelenke geführt haben. Mit einer solchen Einschränkung hatten die Ärzte demnach nach der Operation nicht gerechnet, sie sei aber möglich. Ein Umlernen von der rechten auf die andere Hand wird laut dem Unfallchirurgen mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen: „Das ist im Erwachsenenalter kognitiv nur noch sehr schwer möglich.“
Die Richter berieten lange, ob eine genauere Untersuchung Sinn macht. Der Vorsitzende Richter Volker Köhler sprach von „keiner einfachen Entscheidung“ und „keinem einfachen Verfahren“: „Wir reden hier konkret über die Frage, ob wir sie einweisen lassen oder nicht.“ Diese Entscheidung wolle die Kammer nicht leichtfertig treffen und daher alle Grundlagentatsachen aufklären. Alex H., der an den letzten beiden Prozesstagen deutlich wacher als im bisherigen Prozessverlauf gewirkt hat, versprach seine Mitwirkung an den Tests. Noch vor vier Wochen hatte er solche Untersuchungen abgelehnt: „Ich will selbst wissen, ob ich die Hand jemals wieder bewegen kann. Das war mir vor vier Wochen nicht so klar.“
Der Prozess soll Ende Oktober fortgesetzt werden. Ob das Gutachten dann schon fertig ist, erscheint allerdings fraglich. Termine bei der Neurologie der Uniklinik Köln sind rar gesät.
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