BLAULICHT
Lüge und Selfie säen Zweifel an Glaubwürdigkeit
Waldbröl - 25-Jähriger stand wegen des Verdachts auf sexuelle Belästigung vor Gericht - Aussagen der Beteiligten lieferten keine Beweise - Angeklagter freigesprochen.
Von Lars Weber
Mit einem Freispruch ist das Verfahren an Amtsgericht Waldbröl gegen Amir G. (Anm.d.Red.: Name geändert) am Montagnachmittag zu Ende gegangen. Der 25-Jährige musste sich wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung verantworten. Er soll vor gut einem Jahr eine damals 18-jährige Waldbrölerin bedrängt haben. Mit dabei waren der Cousin des Angeklagten und eine Freundin des Mädchens. Auch dort soll es zu ungewollter Nähe gekommen sein. Die Aussagen der jungen Frauen lieferten aber keine Grundlage für eine Verurteilung. Im Gegenteil. Besonders eine Lüge bei der Polizei und ein Selfie machten es Staatsanwaltschaft und Einzelrichterin Christina Knauer schwer.
Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft sollen sich die vier Beteiligten am 30. April 2024 zum ersten Mal begegnet sein. Amir G., eigentlich wohnhaft in Ibbenbüren, war zu Besuch bei seinem Cousin gewesen. Die beiden wollten am Abend noch etwas einkaufen. Da ein Geschäft schon geschlossen hatte, fragten sie die Mädchen, ob sie einen anderen Laden kennen, der noch offen hat. Die beiden jungen Waldbrölerinnen wollten helfen. Beide hatten - am Vorabend des 1. Mai - schon etwas getrunken. Da die beiden Syrer kein Deutsch sprachen , unterhielt man sich via Google-Übersetzer. Nach einem Einkauf sollen die Mädchen mit zu den Männern in die Wohnung des Cousins in Nümbrecht gegangen sein. Dort soll der Angeklagte der damals 18-jährigen an die Brust gefasst haben, ebenso an ihren Oberschenkel und ihren Intimbereich. Zudem soll er versucht haben, sie zu küssen, so die Anklage. Kurz darauf sollen die Frauen weg gerannt sein.
Auch der Cousin soll gegenüber der Freundin aufdringlich geworden sein. Diese Vorwürfe sollen aber in einem gesonderten Prozess verhandelt werden.
Amir G. sagte mithilfe eines Dolmetschers aus. Ruhig schilderte er die Ereignisse des Abends aus seiner Sicht. Nachdem sein Cousin und er auf die Mädchen getroffen war, habe man sich unterhalten und kennengelernt. Die Waldbrölerinnen wollten, dass sie ihnen Alkohol kauften, was sie aber abgelehnt hätten. Sie trinken gar keinen Alkohol. Die Mädchen wollten die Toilette in der Wohnung des Cousins nutzen und mitkommen, obwohl sich die Wohnung mehrere Kilometer weit weg befand und sie zu Fuß gehen mussten.
Auf dem Weg habe man sich weiter mit App-Unterstützung unterhalten. In der Wohnung habe man Shisha geraucht. Es sei gelacht worden, die Mädchen hätten mit den Katzen gespielt. Geflirtet habe man nicht. Alles sei nur freundschaftlich gewesen. Zwischen 23 und 0 Uhr sei der Besuch gegangen. Das Angebot, bei ihnen zu übernachten, und zwar in getrennten Zimmern, lehnten sie ab. Die Ausgabe des Angeklagten deckte sich mit der Version, die sein Cousin der Polizei erzählt habe.
Schon vor den Aussagen der mutmaßlich Geschädigten war klar, dass sie unter besonderer Beobachtung standen. Denn die damals 18-Jährige hatte die Polizei bei der ersten Vernehmung angelogen und erzählt, sie seien mit einem Messer bedroht worden. Von einer Belästigung war nicht die Rede gewesen. Erst kurz danach änderte sie ihre Aussage. Zudem sollen die beiden Waldbrölerinnen vor dem Polizeiauto, das sie in besagter Nacht antraf, Selfies gemacht haben. Diese beiden Umstände irritierten Richterin wie auch Staatsanwaltschaft, obwohl sie in keinster Weise werten wollen, wie man sich als Opfer zu verhalten habe.
Wirklich erklären konnten die Zeuginnen beide Situationen nicht. Bei der Polizei habe die junge Frau erst "etwas sehr gelogen", auch aus Sorge, dass man sie nicht ernst nehmen könnte. Außerdem sei sie betrunken und verwirrt gewesen. Warum sie ausgerechnet in solch einer Situation ein Selfie am Polizeiauto gemacht haben, konnte keine der beiden so richtig erklären. "Das war unpassend", sagte die heute 19-Jährige. "Ich habe dabei auch gezittert."
Bei der Bewertung der Aussage erschwerend hinzu kam, dass ihre Aussagen nicht immer mit der Reihenfolge der Vorgänge übereinstimmten, die sie bei der Polizei angegeben hatten. Zudem hatte die 16-jährige Freundin von den Übergriffen nichts mitbekommen. Sie hatte nur gesehen, wie der Angeklagte ihre Freundin auf seinem Schoß kurz festgehalten hatte. Dass sie auf dem Schoß des Angeklagten gesessen haben soll, davon hatte die Geschädigte wiederum nichts erzählt.
Daneben schilderte die 19-Jährige von den Übergriffen, die passiert sein sollen. Sie sei zunächst in Schockstarre gewesen. Allerdings betonte sie, dass sie klar und deutlich und auch mit der Übersetzung klargestellt habe, dass sie einen Freund habe und er sie nicht anfassen oder küssen darf.
Nach den Aussagen der beiden jungen Frauen suchte die Staatsanwaltschaft das Rechtsgespräch mit Richterin und Verteidiger. Alle waren sich einig, dass das Gehörte keine Grundlage für eine Verurteilung darstellt. Es gebe zu viele Zweifel und Ungereimtheiten. "Der Vorwurf ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen", sagte die Staatsanwaltschaft, die wie die Verteidigung einen Freispruch beantragte. Richterin Knauer kam dem nach. " Wir müssen beweisen, dass der Angeklagte schuldig ist." Sie wolle nicht darüber spekulieren, was passiert ist und was nicht. Für eine Verurteilung reichten die Aussagen der Zeuginnen aber einfach nicht aus.
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