BLAULICHT
Mit vorgehaltener Waffe: Wipperfürther (45) soll Rewe-Markt in Marienheide ausgeraubt haben
Marienheide/Wipperfürth – Zum Prozessstart am Landgericht Köln schweigt der Angeklagte zu den Vorwürfen – Nach dem Mittäter wird immer noch gesucht.
Von Peter Notbohm
Mit Sturmhauben über dem Kopf und mit gezogener Pistole sollen Murat D. (Anm.d.Red.: Name geändert) und ein bislang unbekannter Mittäter am 12. September des vergangenen Jahres kurz vor Ladenschluss, um 22 Uhr, in die Rewe-Filiale in Marienheide-Schemmen gestürmt sein. Ihr Vorgehen ist brutal: Die Waffen richten die Männer auf eine Mitarbeiterin im Kassenbereich und verlangen die Herausgabe der Geldkassette – der Inhalt: 2.000 Euro.
Auch eine weitere Mitarbeiterin, die hinzukommt, wird sofort mit der Pistole bedroht. Sie wird zum Öffnen des Tresors im Büro gezwungen, aus dem die beiden Täter ebenfalls Geld entnehmen und in Einkaufstaschen verstauen. Anschließend wollen die Männer, dass auch der Innentresor geöffnet wird, doch dafür haben die beiden Mitarbeiterinnen keinen Schlüssel.
Anschließend werden die beiden Frauen mit Klebeband an den Händen gefesselt, die Täter entkommen mit 6.404,74 Euro. Die Frauen hatten sich kurze Zeit später selbst befreien können und die Polizei alarmiert. Soweit die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die derzeit noch nicht sagen kann, ob die Waffen überhaupt geladen waren oder es sich vielleicht sogar nur um Attrappen gehandelt hat.
Verantworten muss sich deshalb seit Montag ein 45-jähriger Wipperfürther vor der 18. Großen Strafkammer am Landgericht Köln. Vorgeworfen wird Murat D. zweifacher schwerer Raub sowie ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Am 18. Dezember des vergangenen Jahres soll er erneut zugeschlagen haben. Diesmal in einem Supermarkt in Eringshausen (Hessen), nahe Wetzlar.
Der Raubüberfall – durchgeführt mit einem ebenfalls unbekannten Mittäter - soll nach ähnlichem Muster abgelaufen sein. Auch hier wurden kurz vor Ladenschluss unter Vorhalt von Pistolen zwei Kassenschubladen sowie das Portemonnaie einer Mitarbeiterin mitgenommen. Die Beute dieses Mal: 6.363,67 Euro. Auch hier wurden zwei Mitarbeiterinnen mit Klebeband gefesselt, auch sie konnten sich wenig später selbst befreien.
Im Rahmen der Ermittlungen kommt die Polizei Murat D. auf die Schliche. Am 6. Februar stürmt eine SEK-Einheit die Wohnung in einem Wipperfürther Mehrfamilienhaus, in der er zuletzt bei einem Bekannten gelebt hat. Bei der Durchsuchung finden die Beamten im Keller eine in einen Stoffbeutel eingewickelte Pistole, dazu 140 Schuss Munition in einer Kiste. In der Wohnung werden außerdem Pfefferspray, zwei Macheten, ein Baseballschläger, eine Sturmhaube, Lederhandschuhe und Drogen gefunden. In einer Nische unter der Kellertreppe liegt zudem gut versteckt ein aufgebrochener Safe. Der 45-Jährige sitzt seitdem in U-Haft.
Zum Prozessauftakt schwieg Murat D. vor Gericht, über seine Rechtsanwältin ließ er lediglich eine Verteidigererklärung zu seinem Lebenslauf verlesen. Er sei zunächst in ärmlichen Verhältnissen in Ostanatolien nahe der syrischen Grenze aufgewachsen. Dort habe er fast täglich Gewalt erlebt. So habe er auch zwei nahe Verwandte durch Schüsse des Militärs auf den Straßen verloren.
Als Mitglied einer religiösen Minderheit habe die Familie immer in Angst gelebt. Trotzdem habe er das Abitur abgelegt und auch ein Studium begonnen. 1999 habe er dann seine spätere Ehefrau kennengelernt und sich „Hals über Kopf“ in die in Deutschland lebende Frau verliebt – nur drei Monate später sei es zur Hochzeit gekommen.
2000 sei der Umzug nach Wipperfürth gefolgt, wo er sich ein Leben und eine Familie aufgebaut habe und zudem ein erfolgreicher Kampfsportler wurde. Berufliche Rückschläge hätten ihn 2013 in eine tiefe Depression gestürzt, in deren Folge es zu einem mehrwöchigen Aufenthalt in der Klinik in Marienheide gekommen sei. Es folgen weitere körperlich anstrengende Jobs, bei denen er sich den Rücken ruiniert habe.
Mit Beginn der Corona-Pandemie habe er weitere enge Verwandte verloren, darunter seinen Vater, was ihn in die Drogen- und Alkoholsucht getrieben habe. Seine Frau und die Kinder hätten sich deshalb von ihm abgewandt, er habe das gemeinsame Haus verlassen müssen. 2022 sei er dann dem Kokain verfallen und sei schließlich bei dem Bekannten, bei dem er festgenommen wurde, untergekommen.
Der 60-Jährige sagte heute ebenfalls vor Gericht aus. Er sei von dem SEK-Team völlig überrascht worden und habe nichts von den aufgefundenen Waffen und dem Safe gewusst. Murat D. habe er helfen wollen, weil er selbst eine Trennungssituation habe durchstehen müssen. Der Mann habe etwa acht Monate bei ihm im ehemaligen Kinderzimmer gelebt: „Wir hatten ein gutes Verhältnis und er hat mir viel geholfen.“ Nach der Wohnungsdurchsuchung und der Festnahme des 45-Jährigen habe er ihn aber beim Einwohnermeldeamt aus der Wohnung abgemeldet.
Der Verteidigerin von Murat D. ging es zum Prozessauftakt vor allem darum, dass einer der Vorwürfe aus der Anklage verschwindet. Dort wurde explizit der Wipperfürther als der Mann genannt, der die Frauen gefesselt haben soll. An dem verwendeten Klebeband waren DNA-Spuren von ihm gefunden worden. Aus Sicht der Verteidigung widersprechen aber Videoaufnahmen und Zeugenaussagen dieser Vermutung, da die gefilmte Person körperlich völlig anders gebaut sei. Stattdessen sprach sie von „Sekundärantragungen“ an den Handschuhen des eigentlichen Täters.
Die Kammer lehnte einen entsprechenden Hinweis zunächst allerdings ab, da dies vor Eintritt in die Beweisaufnahme schwierig sei. Man wolle über den Antrag später entscheiden, so der Vorsitzende Volker Köhler.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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