BLAULICHT

Mord am Gummersbacher Busbahnhof: Trotz Videoaufnahme bestreitet der Angeklagte die Vorwürfe

pn; 23.07.2024, 21:00 Uhr
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Foto: Peter Notbohm ---- Ein 21-jähriger Reichshofer (hier mit seinem Verteidiger Dr. Mario Geuenich) muss sich seit Dienstag am Landgericht Köln wegen Mordes verantworten.
BLAULICHT

Mord am Gummersbacher Busbahnhof: Trotz Videoaufnahme bestreitet der Angeklagte die Vorwürfe

pn; 23.07.2024, 21:00 Uhr
Köln/Gummersbach – Prozessauftakt am Landgericht Köln – Reichshofer (21) soll Ende Februar am Gummersbacher Busbahnhof einen 24-Jährigen tödlich am Hals verletzt haben – Er streitet alles ab.

Von Peter Notbohm

 

Da war selbst der erfahrene Richter Peter Koerfers baff! Im Prozess um die tödliche Attacke am Gummersbacher Busbahnhof am 29. Februar dieses Jahres (OA berichtete) hat der Angeklagte (21) zum Prozessauftakt am Landgericht Köln am Dienstag sämtliche Vorwürfe bestritten – trotz einer existierenden Videoaufnahme der Tat.

 

Angeklagt ist Mario C. (Anm.d.Red.: Name geändert) wegen Mordes vor einem Schwurgericht. Der Mann aus Reichshof soll am Tattag um 17:37 Uhr am abgelegenen Bushäuschen des Busbahnhofes, wo sich die Gummersbacher Trinker- und Drogenszene regelmäßig versammelt, einen 24-Jährigen mit einem „spitzen Gegenstand“ erstochen haben. Er hatte sich einen Tag nach der Tat gestellt und sitzt seitdem in U-Haft in Köln.

 

Das war schlimmer als in jedem Horrorfilm“

 

Die Staatsanwaltschaft spricht von Heimtücke, weil Mario C. nicht nur einen zuvor „bereits gefassten Plan“ umsetzte, sondern „der überraschte Geschädigte, auch nicht ausweichen oder sich zur Wehr setzen konnte“. Nur ein einziger Stich des Angeklagten in den Hals seines Opfers habe gereicht, um die Halsschlagader und eine Vene zu durchtrennen. Zeugen sprachen am ersten Prozesstag von einer Blutfontäne: „Das war schlimmer als in jedem Horrorfilm.“ Das Opfer verstarb noch am Tatort.

 

Die Videokameras am Busbahnhof haben die Tat aufgezeichnet. Viele Details sind auf den pixeligen Bildern allerdings nicht zu erkennen. Was man sieht: Das spätere Opfer verlässt das mit mehreren Menschen gefüllte Bushäuschen, um sich dahinter zu erleichtern. Nur wenige Sekunden später folgt ihm ein dunkel gekleideter Mann. Die Kameras fangen einen Hieb in Richtung Kopf ein, anschließend rennt der Angreifer panisch in Richtung Busbahnhof davon.

 

Während das Opfer wieder auf die Vorderseite des Bushäuschens torkelt, fängt die Kamera am unteren Bildrand erstmals den Täter konkreter ein. Ein Standbild zeigt einen kräftigen Mann mit etwas längeren Haaren und leichtem Bartwuchs, der zunächst in Richtung der Unterführung flüchtet.

 

Angeklagter ist polizeibekannt

 

Polizisten sollen ihn anhand dieser Aufnahmen sofort identifiziert haben, da er ihnen aus mehreren Einsätzen rund um das Steinmüllergelände bekannt ist. Mario C. sieht der Person auf den Aufnahmen zumindest ähnlich. Zum Prozessauftakt ist er frisch rasiert und trägt eine moderne Kurzhaarfrisur. Eine Zeugin kann er allerdings nicht täuschen. „Das ist ganz klar er auf den Aufnahmen“, sagt sie.

 

Der Auftritt von Mario C. vor Gericht wird den Anwesenden auf Saal 5 des Landgerichts aber wohl noch aus anderen Gründen lange in Erinnerung bleiben. Seine Aussagen sind sprunghaft, phasenweise wirr. Die Sätze wirken roboterhaft, fast auswendig gelernt. Mehrfach spricht er von sich in der dritten Person. Auch seine Emotionen während der Zeugenaussagen sind wechselhaft: mal wirkt er nachdenklich, dann wiederum fast desinteressiert, um im nächsten Augenblick fast schon höhnisch in Richtung der Zeugen zu lachen. Kurzum: psychisch wirkt der 22-Jährige höchst labil, er hat laut eigener Aussage eine massive Drogen-Vergangenheit mit Gras, Speed, Alkohol und Medikamenten. Das Gericht hat für das Verfahren eine Sachverständige hinzugezogen.

 

Seine Version der Dinge: er ist unschuldig und will sich zur Tatzeit bereits im Bus nach Reichshof befunden haben. „Ich habe ihn nicht umgebracht“, beteuert der Angeklagte. Er sei am 29. Februar zwar mindestens zwei Stunden dort gewesen, um Marihuana zu kaufen, „aber ich war nicht der Angreifer“. Die ihm vorgespielten Videoaufnahmen nennt Mario C. „verstörend“, ergänzt im nächsten Satz: „Das sieht aber nicht heimtückisch aus.“ Er sei abends von mehreren Menschen angerufen worden, ob er der Täter sei. Obwohl er das stets verneint habe, hat sich der Angeklagte am nächsten Morgen von seiner Mutter zur Polizei bringen lassen. Er habe Angst gehabt, „dass mich jemand verhaftet oder erschießt.“

 

Erstochener war gerade erst aus dem Gefängnis gekommen und gehörte wohl nicht zur Drogenszene

 

Vom Opfer malt der Anklagte ein äußerst negatives Bild. Das habe ihn über Jahre drangsaliert, beleidigt, bedroht und körperlich attackiert – auch mit Freunden. In der Silvesternacht 2021 soll der 24-Jährige sogar mit einem Nunchaku, an das ein Messer montiert war, auf ihn losgegangen sein. Bei den Konflikten soll es auch regelmäßig um Drogen gegangen sein. „Er hat mir mehrfach gesagt, dass er mich umbringen wird“, behauptet Mario C. Dass eine gestohlene Jacke der Auslöser gewesen sein soll, verschweigt er dagegen. Ruhe sei in die Sache erst gekommen als das Opfer selbst für ein halbes Jahr ins Gefängnis muss. Erst zwei Wochen vor der Tat sei der 24-Jährige wieder auf freien Fuß gekommen, berichten mehrere Zeugen.

 

Beweise für seine Behauptungen liefert der Angeklagte nicht. Die Zeugen sprechen eine vollkommen andere Sprache: Sie nennen das Opfer „umgänglich“, „aufgeschlossen“ und „einen netten Menschen“, der „nur ab und zu ein wenig getrunken, aber keine Drogen genommen hat“. Deutlich drastischer fallen die Beschreibungen des 45-jährigen Ersthelfers, der noch versucht hatte, die Halswunde abzudrücken, über den Angeklagten aus: „Ich kannte ihn nicht. Er stand abseits, zog Grimassen. Andere haben mir gesagt, ich solle ihn ignorieren, da er nicht ganz dicht sei.“

 

„In der Szene hat man keine Freunde, nur Bekanntschaften“

 

Für die Kammer sind die Zeugenaussagen trotzdem ein kompliziertes Puzzle. Nicht nur, weil man den Zeugen den jahrelangen Drogenmissbrauch anmerkt (einer von ihnen hat nicht einmal das Geld, um die Rückfahrt aus Köln bezahlen zu können), sondern auch, weil sie teilweise eingeschüchtert wirken. Eine Gummersbacherin (36) muss Koerfers mehrfach auf ihre Wahrheitspflicht hinweisen, weil sie viele ihrer Anschuldigungen, die sie bei der Polizei in Richtung des Angeklagten gemacht hat, vor Gericht verschweigt.

 

Sie hat Angst vor der Szene, da jeder wisse, dass sie vor Gericht geladen sei. Viele hätten ihr gesagt, was sie zu erzählen habe, platzt es irgendwann aus ihr heraus. Ihr gegenüber soll Mario C. mehrfach seine Mordabsichten geäußert haben. Mit zittriger Stimme sagt sie, „in der Szene hat man keine Freunde, nur Bekanntschaften“. Das Opfer hat sie trotzdem gewarnt, vorsichtig zu sein – vergebens.

 

Keine Aussage machte hingegen der mutmaßlich beste Freund des Angeklagten, zu dem der 21-Jährige nach der Tat gefahren sein soll. Er zog es vor, der Verhandlung fernzubleiben und soll nun vorgeführt werden, zudem ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 Euro zahlen. Für den Angeklagten hatte Richter Koerfers am Ende des ersten Verhandlungstages aber auch noch einen dringenden Rat: „Gehen sie in sich und überlegen sie sich, ob sie bei dieser Version bleiben wollen.“

 

Für den Prozess sind insgesamt sechs Verhandlungstage bis Ende August angesetzt. Fortgesetzt wird er noch diese Woche, wenn u.a. die Eltern von Mario C. aussagen sollen.

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