BLAULICHT
Mutter des toten Babys fällt vor Gericht in Ohnmacht
Gummersbach – Gutachter attestiert der Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung, hält sie aber für voll schuldfähig – Rechtsmedizinerin findet deutliche Worte für die Misshandlungen und Unterernährung des toten Säuglings.
Von Peter Notbohm
Noch während Rechtsmedizinerin Prof. Dr. Sibylle Banaschak über die tödlichen Verletzungen des totgeschüttelten Babys spricht, wird die Atmung von Nesrin N. (Anm.d.Red.: Name geändert) rasant schneller, die Farbe weicht ihr aus dem Gesicht, sie hyperventiliert. Nur Sekunden später sackt die 41-jährige Frau auf der Anklagebank am Landgericht Köln zusammen.
Der psychiatrische Gutachter Dr. Wolfgang Schwachula redet ihr gut zu, holt sie zurück ins Bewusstsein, die Augen öffnet sie aber erst wieder nach fünf Minuten. Die Verhandlung gegen die Frau, der die Staatsanwaltschaft vorwirft, gemeinsam mit ihrem Mann im Mai 2022 in ihrer Gummersbacher Wohnung ihr 14 Wochen altes Baby zu Tode geschüttelt zu haben, muss am Dienstagvormittag für zehn Minuten unterbrochen werden.
Begonnen hatte der dritte Prozesstag mit einer erneuten Einlassung von Nesrin N. Wie schon zum Auftakt (OA berichtete) bekräftigte sie, mit dem Tod ihres Sohnes nichts zu tun zu haben. Sie sei damit beschäftigt gewesen, dessen großen Bruder zu wickeln, als sie das Geschrei des Vaters gehört habe. Das Kind sei glühend heiß gewesen und habe gezittert. Sie habe ihren Sohn nie geschüttelt, sei sofort zu Nachbarn gerannt, mit denen zurückgekehrt und anschließend in Ohnmacht gefallen, als sie sah, wie ihr Mann das Kind geschüttelt habe, um es wiederzubeleben.
Wo ihre Aussagen dieses Mal abweichen: Von einem liebevollen Familienleben erzählt sie nichts mehr. Stattdessen berichtet sie, dass ihr Mann sie zehn Tage lang eingesperrt habe. Die Polizei habe sie wegen einer vermeintlichen Corona-Impfung angelogen – aus Angst vor ihrem Mann: „Er hat mich unter Druck gesetzt und mir gesagt, dass er mich umbringt.“ Das sei auch der Grund, warum sie der Beerdigung ihres Sohnes ferngeblieben sei. Sie lebe heute noch in Angst vor dem 35-Jährigen, der bereits verurteilt wurde (OA berichtete). Richterin Sibylle Grassmann äußerte Zweifel an den Angaben der Angeklagten, da diese immer wieder andere Zeiträume angab.
Gutachter Schwachula hält Nesrin N. für voll schuldfähig, es würde keine Hinweise auf eine psychotische Erkrankung oder weitere Schuldminderungsgründe vorliegen. Die 41-Jährige habe allerdings eine histrionische Persönlichkeitsstörung. Sie nehme Dinge unter einem bestimmten Filter wahr, schiebe dabei Realitäten zur Seite und sehe Tatsachen daher, wie sie sich in ihrer eigenen Idealvorstellung wünscht: „Die Fähigkeit für einen kritischen Blick auf die Dinge sind bei ihr untergeordnet. Sie ist in einem hohen Maß davon überzeugt, dass Dinge so gewesen sein könnten.“
Dass die Angeklagte seit dem Tod ihres Babys in Stresssituation immer wieder in Ohnmacht falle, erklärt der Gutachter ebenfalls mit ihr Persönlichkeitsstörung. Sie habe sich ein Verhalten antrainiert, mit dem sie der Realität ausweichen könne. Überhaupt sei Nesrin N. „ein Mensch, der sich in Bezug auf die Herausforderungen des Alltags in Abhängigkeiten zu anderen Menschen begibt“. Konfliktsituationen könne sie nur schwer lösen, obwohl es in ihrer Ehe immer wieder Ausbrüche aus dem Kielwasser ihres dominierenden Mannes gegeben habe.
Auch vor dem Prozess war die Angeklagte geflüchtet (OA berichtete). Es sei ihr alles zu viel geworden, daher habe sie einen Urlaub in ihrer griechischen Heimat gemacht. Erst im September hatten auch bei ihr die Handschellen geklickt.
Erschreckend sind die Beschreibungen der Rechtsmedizinerin über den Zustand des toten Babys. „So sieht ein Säugling nicht aus“, sagt sie. Sie bezweifelt, dass das Kind, das in seiner 14. Lebenswoche nur 4.586 Gramm wog, wie von der Mutter behauptet sechsmal am Tag Nahrung erhalten habe. Sie sprach von einer gravierenden Unterernährung, bei der Obduktion wurden keinerlei Fettreserven gefunden.
Der Tod des Säuglings sei vermutlich eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände gewesen. Wenige Tage zuvor, soll das Kind im Treppenhaus aus den Armen des Vaters auf den Boden gestürzt sein. Hierbei zog es sich einen Gehirnschädelbruch zu. Eine Verletzung, die für sich nicht tödlich sei, so die Rechtsmedizinerin. Gefährlich wurde es erst durch die Einblutungen im Gehirn, die durch das starke Schütteln noch verstärkt worden seien. Hierbei hatte der Säugling einen Herzstillstand erlitten, vermutlich durch das starke Abknicken des Halses, wodurch es zu einem Atemstillstand kam.
Dass die Eltern das Kind zehn Minuten geschüttelt haben sollen, bezweifelte sie allerdings. Auch sei das Schütteln nicht geeignet, um die gefundenen Einblutungen zu erklären. Ebenso wenig die Verletzungen an den Rippen des Kindes, die ebenfalls schon älter gewesen seien. Hier müsse jemand mit „massiver Gewalt“ auf den Brustkorb des Kindes eingedrückt haben, erklärte Banaschak: „Selbst bei Reanimationen brechen Rippen von Kleinkindern nicht. Dafür sind sie viel zu knorpelig.“
Die Plädoyers sollen am Donnerstag gehalten werden, dann soll auch das Urteil fallen.
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