BLAULICHT

Polizist über Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt: „Das war kein ‚Suicide-by-Cop‘“

pn; 12.09.2024, 16:55 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Das Landgericht Köln muss entscheiden, ob ein 30-jähriger Gummersbacher in eine Forensik eingewiesen wird. Der Mann war nach einer Attacke auf Polizisten im vergangenen November von mehreren Beamten niedergeschossen worden.
BLAULICHT

Polizist über Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt: „Das war kein ‚Suicide-by-Cop‘“

pn; 12.09.2024, 16:55 Uhr
Gummersbach - Der Vorfall am Backwerk wurde polizeiintern bis heute nicht aufgearbeitet - Ehemalige Vermieter des Angeklagten berichten von dessen negativer Entwicklung.

Von Peter Notbohm

 

Im Prozess um die Schüsse in der Gummersbacher Innenstadt haben am Donnerstag am Landgericht Köln die an dem Einsatz beteiligten Polizisten ausgesagt. Der Angeklagte Alex H. (Anm.d.Red.: Name geändert) hatte am 14. November des vergangenen Jahres einen Beamten mit einem Messer attackiert und war daraufhin von mehreren Beamten mit vermutlich 15 Schüssen niedergeschossen worden. Der 30-jährige Gummersbacher muss sich u.a. wegen schweren gefährlichen Diebstahls, wegen Widerstands gegen die Polizei sowie wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten.

 

Minutiös berichtete u.a. ein 54-jähriger Bezirksdienstbeamter der 18. Großen Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Volker Köhler die Abläufe, die sich an jenem Tag vor der Bäckerei Backwerk abgespielt haben und in den Schüssen auf den Angeklagten mündeten. Er sei damals auf dem Rückweg von einer Besprechung gewesen, als die ersten Funksprüche eingetroffen seien, dass am Busbahnhof ein Mann mit einem Messer unterwegs sei. Noch während der Anfahrt seien die nächsten Funksprüche gefolgt, dass die Fußgängerzone geräumt werden soll.

 

Bei seinem Eintreffen habe er seine Kollegen – teilweise mit gezogener Waffe - und den Angeklagten – mit einem Teppichmesser in der Hand - bereits am Backwerk gesehen. Das anschließende Geschehen beschrieb er als vollkommen dynamisch: „Das waren nur Sekunden.“ Nachdem die Polizisten vergeblich versucht hatten, den Angeklagten mit einem Stuhl aus der Außengastronomie des Backwerks niederzuschlagen, habe dieser einen Beamten mit dem Messer zunächst am Rücken und kurz darauf am Kopf attackiert.

 

Daraufhin seien die ersten zwei Schüsse abgegeben worden. Alex H. habe zunächst die Flucht ergriffen, sei dann aber an der Ecke zur Kampstraße einen Bogen gelaufen und mit dem Messer in der Hand direkt auf ihn zugestürmt. Dabei habe er ihm zugeraunt: „Dann knall du mich doch ab!“ Die Beamten hätten anschließend das Feuer eröffnet: Zunächst in den Unterkörper, anschließend in den Oberkörper, da die ersten Schüsse keine Wirkung zeigten. Erst dann sei der 30-Jährige zusammengesackt und habe das Messer fallen lassen.

 

Von einer sogenannte ‚Suicide-by-Cop-Situation‘ wollte der 54-Jährige auf Nachfrage der Verteidigung trotzdem nicht sprechen. „Für mich war es so, dass der Angeklagte zeigen wollte, wer hier der Stärke ist. Sein Handeln wirkte sehr bewusst und war auf Konfrontation ausgelegt. Wenn er Polizeischüsse hätte provozieren wollen, hätte er nach der ersten Attacke nur meinem Kollegen weiter hinterherlaufen müssen. Dann gehe ich proaktiv in die Situation und nicht wieder aus ihr heraus“, meinte der Polizist. Er habe den Zuruf als Kampfansage und nicht als Aufforderung verstanden.

 

Attacken auf Polizeibeamte bezeichnete er als „inzwischen täglich gewordenes Brot“. Der Einsatz des Schlagstocks sei für ihn kein geeignetes Mittel gewesen, um den Angreifer abzuwehren: „Wenn der erste Schlag nicht sitzt, stehe ich Jemandem mit einem Messer nur mit einem Stock gegenüber.“ Eine Aufarbeitung des Vorfalls habe es polizeiintern noch nicht gegeben, da die Behörde zunächst das Verfahren abwarten wolle. Er halte dies aber für notwendig.

 

Bei der Frage der Verteidigung nach Tasern verwies er auf den Innenminister, der die oberbergische Polizei damit bislang nicht ausgestattet hat. Er habe mit den Elektroschockpistolen schon gearbeitet und befürworte sie, auch wenn die Taser schnell an ihre Grenzen kommen würden. Eine Anregung der Verteidigung, psychisch auffällige Menschen so wie in manchen Großstädten auch bildlich auf Polizeidienststellen intern auszuhängen, hielt er hingegen für fragwürdig: „Als Polizisten sind wir keine Mediziner.“

 

Beschäftigt hat sich das Gericht am Donnerstag zudem mit den Vorfällen vom 7. Oktober 2022. Damals soll Alex H. vor einem Mehrfamilienhaus in Gummersbach-Windhagen randaliert haben, nachdem sein Vermieter ihm den Zugang zu seiner Wohnung verwehrt hat. Dabei soll er mehrere Scheiben mit Steinen eingeschmissen und zudem seinen Vermieter mit einem spitzen Stein am Kopf verletzt haben. Der hatte damals laut eigener Aussage noch Glück, dass er sich rechtzeitig weggeduckt und zudem ein Handy am Ohr hatte. Den Stein habe der Angeklagte aus anderthalb Meter Entfernung frontal mit voller Wucht in Richtung seines Gesichts geworfen.

 

Auch bei diesem Vorfall soll Alex H. zunächst mit einem Messer gedroht haben und anschließend auf eine auf ihn gerichtete Schreckschusspistole zugelaufen sein, mit der der Vermieter ihn auf Abstand halten wollte und auch zweimal schoss. Sowohl der 46-jährige Vermieter als auch seine 40-jährige Lebensgefährtin machten zudem detaillierte Angaben, wie sich der Angeklagte innerhalb kürzester Zeit durch seinen Alkohol- und Drogenkonsum ins Negative entwickelt habe.

 

Nachdem anfänglich noch ein gutes Mieterverhältnis bestanden hätte, sei die Wohnung zunehmend zu einer „Messie-Bude“ verkommen. Die 40-Jährige sagte aus, dass Alex H. immer zugedröhnter gewirkt habe. Man habe ihm zunächst noch helfen wollen, doch nach einem kleinen Brand in dem Zimmer wurde die Wohnung gekündigt. In der Folge sei es zu mehreren „Psycho-Attacken“ gekommen, erzählte der 46-Jährige: Essensreste im Garten, verwesendes Essen in der Mikrowelle sowie Müll und Zigaretten in Waschmaschine und Trockner. Sogar zu einem Einbruch während eines Urlaubes des Paares sei es gekommen. „Das war für mich alles ein Schrei nach Hilfe“, so der Vermieter, er habe allerdings irgendwann aufgegeben.

 

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

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