BLAULICHT

Spektakuläre Wende: Versuchter Totschlag ist vom Tisch

Red; 12.04.2024, 14:55 Uhr
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Foto: Oberberg-Aktuell ---- Zwei der vier Angeklagten Gummersbacher verließen das Kölner Landgericht heute als freie Männer.
BLAULICHT

Spektakuläre Wende: Versuchter Totschlag ist vom Tisch

Red; 12.04.2024, 14:55 Uhr
Gummersbach/Köln – Staatsanwaltschaft beantragt Einstellung von Teilen des Verfahrens – Zwei Angeklagte verlassen das Gericht sofort als freie Männer – Richter gibt dem Opfer eine Warnung mit.

Ein wenig hatte es sich bereits abgezeichnet. Im Prozess um den versuchten Totschlag in Gummersbach-Bernberg hat das Jugendschöffengericht der 4. Großen Strafkammer am Landgericht Köln am Freitagmittag auf Antrag der Staatsanwaltschaft große Teile des Verfahrens eingestellt. Der Vorwurf des versuchten Totschlags ist vom Tisch. Zwei der Angeklagten durften das Gericht sofort als freie Männer verlassen.

 

Seit dem 12. März müssen sich Deniz T. (19), Levent N. (26), Fatih L. (20) und Cem B. (28) vor dem Landgericht verantworten. Vom Anfangsverdacht der Nötigung, der Freiheitsberaubung und des versuchten Totschlags blieb nach Anhörung aller Zeugen allerdings kaum noch etwas übrig. Bereits während der Osterferien hatte das Gericht die drei noch im Gefängnis befindlichen Angeklagten aus der U-Haft entlassen, weil die Aussage des Opfers nicht belastbar genug waren.

 

Der in Gummersbach lebende Afghane hatte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und während seiner Aussage vor Gericht widersprüchliche Angaben gemacht. Hintergrund des Prozesses ist eine Messerstecherei auf dem Parkplatz am 'Bernis' im Gummersbacher Stadtteil Bernberg, die sich am Nachmittag des 14. August dort ereignet haben soll und bei der auf den 25-Jährigen, der auch als Nebenkläger in dem Verfahren auftritt, insgesamt fünfmal eingestochen wurde. Wenige Tage zuvor soll es auf dem Parkplatz der Gummersbacher McDonalds-Filiale bereits zu einem Vorfall gekommen sein, bei dem einer der Angeklagten die Freundin des späteren Opfers angebaggert hatte.

 

Nachdem die Kammer am Freitagvormittag eine weitere Zufallszeugin der Tat, eine 26-jährige Gummersbacherin, die ihr Kind vom Kindergarten abholen wollte, gehört hatte, bat der Vorsitzende Richter Ansgar Meimberg die Staatsanwaltschaft um eine rechtliche Einschätzung des bisherigen Verfahrens. Die Staatsanwältin deutete an, dass der Vorwurf des versuchten Totschlags nicht mehr zu halten sei. Die Gummersbacherin hatte ausgesagt, dass sie von dem Geschehen höchstens eine Sekunde wahrgenommen habe, da sie von ihrem Lebensgefährten, der bereits am zweiten Prozesstag ausgesagt hatte, sofort in den Kindergarten zurückgedrängt worden war.

 

„Wir haben es mit verschiedenen Aussagen im Ermittlungsverfahren und vor Gericht zu tun, die nicht dazu beigetragen haben, dass wir wirkliche Feststellungen bzgl. der angeklagten Tat nachweisen könnten“, sagte die Staatsanwältin. Die beide Zufallszeugen hätten lediglich aussagen können, dass mindestens zwei Personen auf einen am Boden liegenden Menschen „gewalttätig eingewirkt“ hätten: „Wer was genau gemacht hat, kann anhand dieser Aussagen aber nicht nachgewiesen werden.“

 

Vielmehr gehe die Staatsanwaltschaft mittlerweile davon aus, dass es sich um eine „vereinbarte Schlägerei“ gehandelt habe, zu der das spätere Opfer aufgefordert habe. Da der Nebenkläger dabei einen der Angeklagten bewusstlos gewürgt habe, müsse man eventuell von einer sogenannten Nothilfesituation ausgehen: „Wenn Lebensgefahr für am Boden liegende Personen besteht, kann das dazu führen, dass man auf Personen eintreten und auch einstechen darf, um diese abzuwenden.“ Fatih L. (20) und Deniz T. (19), der die Messerstiche am ersten Prozesstag eingestanden hatte, hätten sich damit in einem sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum befunden, weil sie glaubten, dass eine Notwehrlage vorlag.

 

Die Überlegungen stießen bei den Verteidigern nicht nur auf Zustimmung. „Nachdem man uns monatelang gesagt hat, dass es Kokolores ist, was wir vortragen, ist eine Einstellung des Verfahrens nicht der saubere Weg. Der wäre ein Freispruch. Mein Mandant wurde während der Schlägerei zurückgehalten und hat sich nicht beteiligt“, meinte Iris Stuff, die Rechtsanwältin von Levent N. (26). Sie befürchtete zudem, dass man ihrem Mandanten damit die Entschädigung für die erlittene U-Haft vorenthalten wolle.

 

Auch Rechtsanwalt Jens George sprach von einem weiterhin „nicht richtig greifbaren Sachverhalt“: „Ein Freispruch wäre die richtige Vorgehensweise.“ Ähnlich argumentierte Verteidiger Udo Klemt: „Ich habe mit einer Einstellung größte Bauchschmerzen. Hier haben Menschen sechs Monate im Knast gesessen, es gibt erhebliche Bedrohungen und der Konflikt ist nicht gelöst.“  

 

Worauf Klemt anspielte: Rund um das Verfahren sollen Bekannte des Nebenklägers gedroht haben, die Angeklagten „aufzumischen“. Der Richter machte dem 25-Jährigen Gummersbacher in einer Unterbrechung daher auch eine deutliche Ansage: „Wichtig ist, dass alle die Füße still halten.“ Den Forderungen nach einem Freispruch erteilte er aber ebenfalls eine Absage: „Die Angeklagten sollten bitte mal für sich überlegen, ob sie an diesem Tag wirklich alles richtig gemacht haben.“

 

Anschließend wurde das Verfahren gegen Fatih L. (20) im Hinblick auf eine kürzlich erfolgte Verurteilung zu einem Dauerarrest eingestellt. Gegen ihn sind zudem noch zwei weitere Verfahren anhängig. Auch das Verfahren gegen Deniz T. (19) wurde im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung in zwei anhängigen Verfahren eingestellt. Levent N. (26) wird sich noch wegen des Vorfalls auf dem Parkplatz des McDonalds-Filiale weiter verantworten müssen. Der im Rahmen der Schlägerei bewusstlos gewürgte Cem B. (28) könnte wegen Körperverletzung verurteilt werden.

 

Der Prozess wird fortgesetzt

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