BLAULICHT

Tot geschütteltes Baby: Kommt es zum Freispruch des Vaters?

pn; 24.06.2024, 12:15 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Ein 35-jähriger Bergneustädter - hier mit seinem Verteidiger und seinem Dolmetscher - darf im Prozess um ein tot geschütteltes Baby am Landgericht Köln auf einen Freispruch hoffen.
BLAULICHT

Tot geschütteltes Baby: Kommt es zum Freispruch des Vaters?

pn; 24.06.2024, 12:15 Uhr
Gummersbach/Köln - Schuld nicht zweifelsfrei belegbar - Fehlende Beweise könnten zu einem Freispruch im Prozess um einen nur 14 Wochen alt gewordenen Säugling führen - Staatsanwältin spricht von Abgründen und besonderer Gewalt gegen die Schutzlosesten unserer Gesellschaft.

Von Peter Notbohm

 

Bleibt der Tod des 14 Wochen alten Säuglings aus Gummersbach-Derschlag vorerst ungelöst? (OA berichtete) Während die Mutter des Babys weiterhin untergetaucht bleibt (OA berichtete), haben am Montag sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung am Landgericht Köln auf Freispruch für den Vater (35) plädiert.

 

Der Staatsanwältin hörte man die Bauchschmerzen, die sie damit hatte, in ihren Schlussworten geradezu an. „Auch erfahrene Juristen bleiben in einem solchen Fall betroffen zurück“, sagte sie. Es handle sich um eine Tat, die zurecht eine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hervorgerufen habe. „Es ist eine besondere Gewalt gegen die Schutzlosesten in unserer Gesellschaft und eine Tat, die aufzeigt, welche Abgründe sich in manchen Nachbarwohnungen auftun.“

 

Es gebe die eine Seite, was sie persönlich denke. Aber auch die andere, was die rechtsstaatlichen Grundsätze für eine Verurteilung erfordern – nämlich die absolut notwendige Sicherheit, dass der Angeklagte die vorgeworfene Tat begangen hat. Und die habe sie nach bislang vier Verhandlungstagen nicht gewonnen.

 

Staatsanwältin spricht von dissozialer Familie

 

Angeklagt ist Markos H. (Anm. d.Red.: Name geändert) wegen fahrlässiger Tötung. Zum Beginn des Prozesses gab es zudem den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge in Frage komme. Noch vor den Plädoyers folgten weitere rechtliche Hinweise, dass auch weitere Strafbarkeiten im Rahmen der Beihilfe und der Misshandlung Schutzbefohlener in Betracht kommen.

 

Der Bergneustädter und seine Noch-Frau sollen ihren Sohn am 21. Mai 2022 über zehn Minuten lang geschüttelt haben, was zum Tod des 14 Wochen alten Kindes führte. Die Eltern hatten damals behauptet, dass dem Kind nach dem Füttern Schaum aus Mund und Nase gelaufen und es blau angelaufen sei. Zwar konnten Rettungskräfte nach längerer Reanimation den Kreislauf wieder herstellen, zu diesem Zeitpunkt war das Kind wohl aber bereits hirntot. Vier Tage später wurden die lebenserhaltenden Geräte abgestellt – die Eltern begleiteten den Sterbeprozess damals nicht.

 

Die Staatsanwältin sprach von einer dissozialen Familie, in der die Eltern beim Thema „Schutz bieten“ versagt hätten. Es gebe zahlreiche Indizien dafür, dass beide Elternteile einen Erziehungsstil gepflegt hätten, der massive Gewalt geduldet hätte. Dafür sprächen die vielen Verletzungen, die man an dem Säugling im Nachhinein festgestellt habe, aber auch, dass beide Eltern beim Kinderarzt, beim Jobcenter und auch beim Jugendamt mit aggressivem und beleidigendem Verhalten aufgefallen seien. Untermauert werde dies zudem durch die Zeugenaussagen einiger Nachbarn. Die Aussagen des Angeklagten, der einer (nie stattgefundenen) Corona-Impfung die Schuld am Tod seines Sohnes gegeben hatte, bezeichnete sie als Schutzbehauptung.

 

„Die Einzigen, die die Tat hätten aufklären können, haben geschwiegen“

 

„Letztlich gibt es aber verschiedenste Varianten, was passiert ist. Und die Einzigen, die die Tat hätten aufklären können, haben das nicht getan, sondern geschwiegen“, so die Staatsanwältin. Das Einzige, was man mit absoluter Sicherheit wisse: „Ein Elternteil muss den Säugling misshandelt haben.“ Die Frage, wer es war, könne man aber nicht beantworten. Eindringlich schilderte die Juristin noch einmal die letzten Tage im Leben des Kindes, das zwar viel geweint habe, aber gesund zur Welt gekommen sei. Detailliert ging sie auf jeden Rippenbruch und jede Schädelverletzung ein, die der Säugling in seinem kurzen Leben erlitten hat. Auch die Unterernährung des Babys verschwieg sie nicht: „Selbst für den medizinischen Laien hatte es die Statur eines Frühchens.“

 

Wenn es etwas Positives an dem Tod des Säuglings gebe, dann, „dass die Misshandlungen, die lange in dieser Wohnung stattfanden, öffentlich geworden sind und den beiden Geschwistern ein ähnliches Schicksal erspart bleibt“. An den Angeklagten richtete die Staatsanwältin zum Schluss noch einmal klare Worte. Es sei sein gutes Recht zu schweigen und zu lügen, „trotzdem wissen sie, dass sie eine Mitverantwortung tragen.“ Entsprechend irritiert sei sie, dass der Angeklagte angekündigt hat, für seinen noch lebenden Sohn das alleinige Sorgerecht beantragen zu wollen. „Sie sollten überlegen, dass sie ihren Kindern das Leben ermöglichen, das sie verdienen.“

 

Verteidigung sieht Schuld nicht nachgewiesen

 

Verteidiger Stephan Kuhl sah indessen die Schuld seines Mandanten nicht nachgewiesen. „Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wissen wir nicht, was am 21. Mai passiert ist. Auch der Angeklagte weiß es bis heute nicht.“ Er verwies in seinem Plädoyer vor allem auf die zahlreichen Aussagen der Nachbarn, die im Laufe des Prozesses ausgesagt hatten, dass Markos H. in der Wohnung unter Tränen hilflos um das Leben seines Sohnes gekämpft habe. Zwar hätten sie gesehen, dass er den Säugling vorsichtig geschüttelt hätte. Das sei aber eher einer Art Schaukeln gleichgekommen. Auch das Klopfen auf den Rücken sei nur äußerst vorsichtig geschehen, um den Jungen zum Erbrechen der Nahrung zu bringen.

 

Auch den im Raum stehenden Treppensturz Tage zuvor habe es aus seiner Sicht nie gegeben. Entsprechende Aussagen seiner Noch-Ehefrau gegenüber Nachbarn bezeichnete er in diesem Zusammenhang als „vollkommen widersprüchlich“. Die Mitangeklagte soll von 14 Treppenstufen gesprochen haben, wo nur drei existiert haben.

 

Der Sohn von Markos H. sei nachweislich vornehmlich von der Mutter versorgt worden. Diese habe immer wieder versichert, dass er gut und regelmäßig trinke und fit sei. Das sei auch durch die Aussagen des zuständigen Kinderarztes belegt (OA berichtete), der zudem keine Misshandlungen festgestellt habe. Es sei denkbar, dass die Ehefrau den Säugling geschüttelt habe, ohne dass sein Mandant davon etwas mitbekommen habe, „aber letztlich wissen wir einfach nicht wer ihn geschüttelt hat“.

 

Das Urteil fällt am Mittwoch.

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