BLAULICHT

Toter Säugling: Eltern sollen ihr Baby über zehn Minuten geschüttelt haben

pn; 29.05.2024, 13:55 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Ein 35-Jähriger - hier mit seinem Anwalt Stephan Kuhl (r.) und einem Dolmetscher - muss sich derzeit am Landgericht Köln verantworten, weil er sein Baby totgeschüttelt haben soll.
BLAULICHT

Toter Säugling: Eltern sollen ihr Baby über zehn Minuten geschüttelt haben

pn; 29.05.2024, 13:55 Uhr
Gummersbach/Köln – Im Prozess um einen erst 14 Wochen alten Säugling machen zwei Sozialarbeiterinnen erschreckende Aussagen vor Gericht – Mutter des toten Kindes ist weiterhin abgetaucht.

Von Peter Notbohm

 

Ein kleiner Junge, gerade einmal 14 Wochen alt, kommt im Mai 2022 nach Gummersbach ins Krankenhaus. Eigentlich sollte er sein ganzes Leben noch vor sich haben. Doch die Ärzte stellen ein Schütteltrauma und einen Gehirnschädelbruch fest und lassen den unterernährten Säugling sofort in die Uni-Klinik nach Köln verlegen. Dort unternehmen Spezialisten der pädiatrischen Intensivstation noch ihr Möglichstes, müssen aber schnell feststellen, dass das Kind eigentlich schon hirntot ist – das EEG zeigt bereits eine Nulllinie.

 

Wenige Tage später verstirbt das Baby, nachdem die lebenserhaltenden Geräte abgestellt werden. Bei Untersuchungen werden neben einem Hirnhämatom auch sechs gebrochene Rippen festgestellt. Teilweise können diese bei den Reanimationsmaßnahmen verletzt worden sein, mindestens zwei Brüche sollen aber bereits fast drei Wochen alt sein.

 

Die damals in Gummersbach-Derschlag lebenden Eltern begleiten den Sterbeprozess fast überhaupt nicht. Der Vater (35) soll extrem aggressiv im Krankenhaus aufgetreten sein, erhielt sogar Hausverbot. Auch die Mutter (40) verhält sich widersprüchlich: Auf der einen Seite beteuert sie ihre Liebe zu ihren Kindern, auf der anderen Seite soll auch sie rumgeschrien und sich äußerst aggressiv verhalten haben. Beide Eltern beteuern ihre Unschuld, werfen stattdessen mit abstrusen Vorwürfen um sich: Sie sind überzeugt, dass ihr Kind an den Folgen einer (nie durchgeführten) Corona-Impfung verstorben ist. Tatsächlich hatte es die Sechsfach-Impfung erhalten.

 

Staatsanwaltschaft geht von gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge aus

 

Was an jenem 21. Mai 2022 wirklich vorgefallen ist, soll nun durch die 20. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Richterin Sibylle Grassmann am Landgericht Köln aufgeklärt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden Eltern inzwischen gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge vor, nachdem sie in einer ersten Anklageschrift am Amtsgericht Gummersbach noch von fahrlässiger Tötung ausgegangen war. Zum ursprünglichen Prozessauftakt vor einer Woche am 21. Mai waren Markos H. und Nesrin N. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) nicht erschienen (OA berichtete). Vom Gericht wurden daraufhin Haftbefehle erlassen.

 

Am zweiten Verhandlungstag saß nun zumindest der Vater des toten Säuglings auf der Anklagebank. Er war in seiner Wohnung in Bergneustadt festgenommen worden (OA berichtete). Von der Mutter fehlt allerdings weiterhin jede Spur (OA berichtete), sodass gegen sie ein gesonderter Prozess geführt werden muss. Sie soll nach einem Gespräch mit ihrem Verteidiger vor zwei Wochen untergetaucht sein.

 

Säugling soll nach dem Füttern blau angelaufen sein

 

Laut Anklageschrift geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die 40-Jährige am Mittag des 21. Mai ihr Kind mit Säuglingsmilch füttern wollte. Dem Kind soll dabei Schaum aus Mund und Nase gelaufen sein. Anschließend soll es blau angelaufen sein. Die Frau soll den Säugling anschließend an Oberarmen und Schulter ergriffen und es zehn Minuten geschüttelt haben. Als der Vater dazukam, soll er das Baby bäuchlings auf seine Hand gelegt und ihm mehrfach auf den Rücken gedrückt haben, ehe auch er das Kind durchgeschüttelt haben soll. Hinzugerufene Nachbarn sollen eingegriffen und den Notruf alarmiert haben. Das Kind soll nass ins Krankenhaus eingeliefert worden sein, weil die Eltern versucht haben sollen, es mit Wasser aufzuwecken.

 

Zu den Vorwürfen schwieg Markos H. heute, machte lediglich Angaben zu seiner Lebensgeschichte und der Geburt seiner Kinder. In Griechenland als eins von acht Kindern aufgewachsen, sei er 2016 seinem Vater nach Deutschland gefolgt. Dort habe er 2019 seine spätere Frau über Facebook kennengelernt. Bereits nach einem Monat seien beide zusammengezogen, ein Jahr später folgte die Geburt ihres ersten Sohnes, der inzwischen drei Jahre alt ist. Im Februar 2022 folgte der zweite Sohn. Als Analphabet habe Markos H. sich mit wechselnden Gelegenheitsjobs durchs Leben geschlagen. Keinen Zweifel ließ der Angeklagte daran, dass er künftig wieder mit seinem Sohn zusammenleben will. „Wenn ich freigelassen werde, möchte ich einen Arbeitsvertrag haben und meinen Sohn zu mir nehmen. Ich liebe meine Kinder“, ließ er über seinen Dolmetscher mitteilen.

 

Sozialarbeiterinnen berichten von verstörendem Verhalten

 

Ob es dazu kommt, ist nach den Aussagen von zwei Sozialarbeiterinnen des Jugendamts allerdings fraglich. Sie berichteten, dass Markos H. sich nie um eine Kontaktaufnahme gekümmert habe, zudem in den seltenen Telefonaten äußerst aggressiv aufgetreten sei und mit Bedrohungen um sich geworfen habe. Gespräche mit Ärzten, der Kindesmutter und der aktuellen Pflegefamilien würden zudem auf ein enormes Gewaltpotential in der Erziehung hindeuten.

 

Demnach soll der Vater zwei Wochen vor dem Schütteltrauma mit seinem Sohn mehrere Stufen einer Treppe hinabgestürzt sein. Ins Krankenhaus sei man aber nicht gefahren – aus Angst davor, dass ihnen die Kinder abgenommen werden. Auch das Verhalten des älteren Sohnes in der Pflegefamilie beschrieben die Sozialarbeiterinnen als verstörend: Feste Nahrung sei dem Kind unbekannt gewesen. Auf Umarmungen soll er mit Schlägen und Spucken reagiert haben, zudem seine Kuscheltiere immer wieder geschlagen haben.

 

Als seine Pflegemutter ihm ein Foto seines Vaters gezeigt habe, soll er mit den Worten „Papa, Baby, Popo, aua“ reagiert haben. Aber auch die Mutter, die stets ihre Unschuld beteuert habe, kam in den Berichten nicht gut weg: Als das Jugendamt die Obhut für ihren Sohn übernahm, soll sie zunächst eine Ohnmacht simuliert haben und anschließend auf die Mitarbeiter losgegangen sein.

 

Opa des toten Babys belastet seine Schwiegertochter

 

Ebenfalls vernommen wurde der Vater (64) des Angeklagten. Er berichtet von der Fahrt in die Uni-Klinik in Köln, auf der die 40-Jährige ihre Flucht mehrfach angekündigt habe: „Sie hatte Angst ins Gefängnis zu kommen und sagte immer wieder, sie bereut es und will mit ihrer zehnjährigen Tochter abhauen.“ In einer Nacht-Nebel-Aktion sei sie wenige Tage später zu ihren Eltern in Richtung Süddeutschland verschwunden. Auch eine Erklärung für das Fernbleiben seines Sohnes am ersten Prozesstag lieferte der 64-Jährige: „Er spricht kein Deutsch, kann weder lesen noch schreiben und dachte, er habe keinen Anwalt. Er wollte sich zunächst das Geld verdienen, um einen Anwalt engagieren zu können.“

 

Dem Gericht reichte diese Aussage und auch die Beteuerung des Angeklagten, jeden Prozesstermin wahrzunehmen, allerdings nicht, um den bestehenden Haftbefehl außer Kraft zu setzen. Der Prozess wird Mitte Juni fortgesetzt. Das Urteil soll am 24. Juni fallen.

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