BLAULICHT
Totgeschüttelter Säugling: Mutter muss für drei Jahre hinter Gitter
Gummersbach - Im Prozess um einen tot geschüttelten 14 Wochen altes Baby ist am Landgericht Köln das Urteil gefallen – Mutter erhält die gleiche Strafe wie ihr Ehemann – Sie bricht nach der Bekanntgabe in Tränen aus.
Von Peter Notbohm
Die Tränen flossen reichlich bei Nesrin N. (Anm.d.Red.: Name geändert). Die 41-Jährige wurde am Landgericht Köln im Prozess um ein zu Tode geschütteltes Baby am Donnerstag wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen in Tateinheit mit Beihilfe zur Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Ihr Ehemann war bereits im Sommer zu derselben Haftstrafe verurteilt worden (OA berichtete).
Beiden Eltern wurde vorgeworfen, ihren erst 14 Wochen alten Sohn am 21. Mai 2022 in ihrer damaligen, kleinen Wohnung in Gummersbach-Derschlag derart geschüttelt zu haben, dass dieser an den Folgen eines Hirnhämatoms wenige Tage später verstarb. Zuvor soll dem Kind Nahrung aus Mund und Nase gelaufen sein und es soll leblos gewirkt haben. Die Eltern sollen es aus Verzweiflung geschüttelt haben, um es wiederzubeleben. Nach vier Verhandlungstagen war die 20. Große Strafkammer um die Vorsitzende Richterin Sibylle Grassmann davon überzeugt, dass Nesrin N. mindestens Kenntnis von den Misshandlungen und der Unterernährung ihres Sohnes gehabt haben muss.
„Beide Eltern waren einverstanden mit jedweder Misshandlung“, sprach die Richterin von Vertuschungen, Lügen und der Verweigerung ärztlicher Hilfe. Ob die Frau ihr Kind wirklich selbst geschüttelt hat oder es nur – wie von ihr behauptet – der Vater war, konnte das Gericht hingegen nicht mit abschließender Sicherheit feststellen, weshalb nur eine Verurteilung wegen Beihilfe durch Unterlassen in Frage kam. Von ihrer psychischen Beihilfe war die Kammer allerdings fest überzeugt. Der Ehemann der Frau habe jederzeit davon ausgehen können, dass sein Handeln unentdeckt bleibt.
Der Säugling habe sich schon vor dem verhängnisvollen Tag in einem katastrophalen Zustand befunden. Spätestens nach der U3-Untersuchung im März habe der Leidensweg des Kindes begonnen. Bei der späteren Obduktion waren Hämatome, mehrere Wochen alte Rippenbrüche und ein mindestens ein bis zwei Tage alter Schädelbasisbruch festgestellt worden, der vermutlich vom Sturz auf eine Treppe herrührte. Zudem habe das Kind über keinerlei Fettgewebe verfügt.
„Das rundet das Bild der mangelnden Fürsorge ab“, so Grassmann, die der Angeklagten nicht glaubte, dass sie ihren Sohn sechsmal am Tag gefüttert habe. „Selbst wenn all das ihr Mann gemacht haben sollte, haben sie es doch jedenfalls mitbekommen“, ergänzte die Vorsitzende. Als Mutter eines kleinen Säuglings habe die 41-Jährige die Rolle einer Beschützergarantin gehabt: „Ihr Kind war wehr- und hilflos. Sie hätten sich einsetzen müssen!“
Worte, die zu viel für die Angeklagte waren. Immer wieder suchte sie den Blick zu ihren Eltern im Publikum und wimmerte in deren Richtung. Grassmann zeigte dafür wenig Verständnis und fuhr die Angeklagte an: „Das müssen Sie sich jetzt anhören!“ Keinen Zweifel ließ die Kammer daran, dass auch das Nachtatverhalten für die Schuld der Angeklagten sprach. Sie habe nicht nur während der Verhandlung, sondern auch schon in den Tagen nach dem Tod ihres Sohn immer wieder neue Versionen erzählt: „Das war alles unglaubhaft, nicht nachvollziehbar und widersprüchlich“, so die Richterin.
Ob Nesrin L. sich aus Gleichgültigkeit, Selbstschutz oder Unterverwerfung vor ihrem patriarchal agierenden Ehemann so verhalten habe, könne die Kammer nicht beurteilen. Hilflos sei sie aber nicht gewesen, da sie in der Lage gewesen sei, ihren Mann kurz nach dem Tod des Kindes wegen vermeintlicher Untreue zu verlassen und zu ihren Eltern nach Süddeutschland zu ziehen.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer ebenfalls drei Jahre Haft gefordert. Der Staatsanwalt sprach von einem peinlichen Verhalten der Angeklagten vor Gericht: „Hier Ohnmachtsanfälle vorzutäuschen (OA berichtete) und selbstmitleidig den sterbenden Schwan zu spielen, ist beschämend.“
Die Verteidigung sah viele Vorwürfe nicht nachgewiesen. Ihr Rechtsanwalt sprach von einem Fall, „wo wir nicht mal die Hälfte dessen herausgefunden haben, was wirklich passiert ist“. Seine Mandantin habe von den Misshandlungen nichts mitbekommen, auch die Unterernährung sei nur eine nicht endgültig nachgewiesene Vermutung: „Es kann so gewesen sein, muss es aber nicht.“ Das Einzige, was man der 41-Jährigen wirklich vorwerfen könne, sei, dass sie nach dem Treppensturz nicht mit ihrem Kind zum Arzt gegangen sei. Er beantragte daher eine Strafe von maximal zwei Jahren zur Bewährung.
Das Urteil ist noch nichts rechtkräftig. Er und seine Mandantin müssten eine Nacht darüber schlafen, erklärte der Verteidiger im Anschluss. Der Ehemann ist nach seinem Prozess in Revision gegangen. Sein Verfahren liegt derzeit noch beim Bundesgerichtshof.
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