BLAULICHT
Vorwurf des sexuellen Kindesmissbrauchs: Freispruch für Angeklagten
Gummersbach – Eine Schuld konnte dem 26-Jährigen nicht nachgewiesen werden – Rechtlich soll der geschädigte Junge kein Kind mehr gewesen sein.
Von Lars Weber
Die Vorwürfe gegen den 26-jährigen Ingo P. (Anm.d.Red.: Namen geändert) wogen schwer. Vor zwei Jahren soll er einen 13-jährigen Jungen mit Handschellen gefesselt und sexuell missbraucht haben. Rund um den Prozess und außerhalb des Gerichtssaals am Amtsgericht Gummersbach ging es unter den zahlreichen geladenen Zeugen dementsprechend emotional zu. Allerdings war der Prozess schneller beendet als gedacht. Schon nach der Aussage des Jungen kam das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richterin Kirsten Sauter zu dem Schluss, dass der Angeklagte freizusprechen ist.
Zunächst einmal hieß es aber: warten. Während mehr als fünf Zeugen pünktlich zu Beginn der Verhandlung erschienen waren, fehlte vom Angeklagten jede Spur. Richterin Sauter musste die Polizei losschicken, um den jungen Mann aus Engelskirchen von seiner Arbeitsstelle als Altenpfleger nach Gummersbach zu bringen. Mit anderthalb Stunden Verspätung nahm er schließlich auf der Anklagebank Platz. Dort entschuldigte er sich: Er dachte, der Prozess sei an einem anderen Tag gewesen.
Die folgende Anklageschrift ertrug Ingo P. emotionslos. Zwischen dem 11. und 23. Oktober 2021, es waren Herbstferien, soll sich der geschädigte Junge mindestens zweimal bei dem Angeklagten in der Wohnung aufgehalten haben. Diesen kannte er als Mieter der Eltern einer Freundin. Der Junge soll damals 13 Jahre alt gewesen sein. An einem Abend soll der Angeklagte dem Jungen Metall-Handschellen angelegt haben, nachdem er bereits beim Anziehen eines Hemdes die Hose des Jungen geöffnet haben soll. Anschließend sollen sie gemeinsam Fernsehen geschaut haben – die Handschellen blieben dabei an. Der Junge soll dies als Spaß verstanden haben, so die Staatsanwaltschaft.
Ein weiteres Treffen habe ähnlich begonnen. Wieder wurde ein Hemd angezogen, mit den Handschellen soll der Junge erneut hinter dem Rücken gefesselt worden sein. Dan soll der Mann den Jungen gefragt haben, ob er ihn oral befriedigen könne. „Bist du dumm?“, soll dieser ihm entgegnet haben. Ingo P. soll trotzdem die Hose des Jungen heruntergezogen haben und sich dem Geschlechtsteil des Jungen genähert haben. Der Junge habe sich verbal gewehrt. Weitere Handlungen seien nicht vorgenommen worden.
Der 26-Jährige nahm zu den Vorwürfen ausführlich Stellung. In dem Zeitraum im Oktober habe er noch gar nicht an der Adresse in einer Engelskirchener Ortschaft gewohnt. Er sei erst rund anderthalb Monate danach eingezogen. Mehrere Treffen zwischen ihm und dem Jungen habe es aber gegeben, die erst ab Anfang 2022 stattgefunden haben sollen. „Wir haben meist ferngeschaut und Shisha geraucht.“ Tatsächlich hätten sie sich bei zwei dieser Treffen auch mit Handschellen gefesselt – „gegenseitig und nur kurz, so zwei bis drei Minuten“, wie der Mann betonte.
Auf die Frage nach dem Warum hatte Ingo P. keine richtige Antwort. „Wir sind irgendwie auf das Thema gekommen, vielleicht durch Filme.“ Die Handschellen habe er mal bei einem großen Versandhändler bestellt – „ohne einen Hintergund, das wurde mir da angezeigt“. Und da habe er es eben bestellt. Mehr als das sei aber nicht passiert, beteuerte er und schüttelte heftig mit dem Kopf. Er habe dem Jungen nicht die Hose runtergezogen oder ihn zu sexuellen Handlungen aufgefordert.
Da der Zeuge minderjährig ist und ein mögliches Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorlag, fand die Aussage des Jungen anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, ebenso wie die abschließenden Plädoyers. Denn nach der Aussage des Jungen konnte Richterin Sauter den zahlreichen Zeugen mitteilen, dass sie nicht mehr befragt werden müssen.
Nach einer kurzen Beratung mit den Schöffen blieb ihr nur noch, den Freispruch für Ingo P. zu verkünden. Rechtlich gesehen gilt man als Kind bis zum 14. Geburtstag. Im vorliegenden Fall hätten zwar die Aussagen gezeigt, dass etwas zwischen dem Angeklagten und dem Jungen passiert ist. Letzterer sei aber zu dieser Zeit schon 14 Jahre alt gewesen – und war damit rechtlich kein Kind mehr, sodass kein sexueller Missbrauch eines Kindes vorgelegen haben kann.
Aufgrund der Aussagen habe das Gericht zudem keine Anhaltspunkte für eine andere Straftat, beispielsweise eine versuchte Vergewaltigung, gesehen. Allerdings stellte die Richterin in Richtung des Angeklagten auch klar: „Das, was uns geschildert wurde, war nicht okay! Aber eine Straftat war es nicht.“ Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung erklärten Rechtsmittelverzicht, das Urteil ist also rechtskräftig.
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