BLAULICHT

Zwölf Jahre Haft: „Sie sind ein pädophiler Serientäter“

pn; 25.02.2022, 18:45 Uhr
Fotos: Peter Notbohm ---- Hans Bernhard U. muss für mehrere Jahre ins Gefängnis.
BLAULICHT

Zwölf Jahre Haft: „Sie sind ein pädophiler Serientäter“

pn; 25.02.2022, 18:45 Uhr
Gummersbach/Köln - Früherer Gummersbacher Priester muss lange ins Gefängnis - Über 100 Fälle sexuellen Missbrauchs - Richter übt im Urteil Kritik an der Kirche.

Von Peter Notbohm

 

Historisches Urteil am Kölner Landgericht: Nach über drei Monaten und insgesamt 25 Verhandlungstagen – weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit - ist am heutigen Freitag das Urteil gegen den früheren Gummersbacher Priester Hans Bernhard U. gefallen. Für Zwölf Jahre muss der Geistliche ins Gefängnis. Und zwar wegen 72 Fällen von Missbrauch, zwei davon in Tateinheit mit sexuellen Übergriffen, sowie 23 Fällen schweren sexuellen Missbrauchs und 15 Fällen von sexuellen Missbrauchs Jugendlicher. In acht weiteren Fällen wurde er freigesprochen. Zusätzlich muss er den Opfern Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro zahlen und zudem die Therapiekosten für zwei der Frauen übernehmen.

 

Das mediale Interesse war enorm: Erstmals wurde in Deutschland einem Vertreter der Kirche in diesem Umfang der Prozess gemacht. „Sie sind ein pädophiler Serientäter, der über vier Jahrzehnte schweren sexuellen Missbrauch begangen hat“, fand der Vorsitzende Christoph Kaufmann in seiner fast dreistündigen Urteilsbegründung klare Worte für die Taten des inzwischen 71-Jährigen. Wie häufig der Mann wirklich Hand an Kinder und Jugendliche gelegt hat? Das habe die 2. Große Strafkammer unmöglich aufklären können, ließ der Richter durchblicken. Vieles war bereits verjährt, angeklagt waren nur Fälle aus dem Tatzeitraum zwischen 1993 und 2018. Und selbst in diesem Vierteljahrhundert dürften die angeklagten Fälle nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein.

 

Angeklagter führte Doppelleben

 

Ein Mann mit zwei Gesichtern sei der Angeklagte, der während des gesamten Urteils kaum eine Regung zeigte, gewesen. In der Öffentlichkeit sei er als außergewöhnlicher Geistlicher wahrgenommen worden, der das genaue Gegenteil zur traditionsbewussten katholischen Kirche verkörpert habe. Nahbar, empathisch, kommunikativ und sehr beziehungsfähig sei er aufgetreten. „Mit anderen Worten: Ein moderner Geistlicher, der die Kirche für andere attraktiv gemacht hat“, so Kaufmann.

 

Doch hinter dieser Fassade habe sich ein narzisstisch geprägter Pädophiler verborgen, der ein perverses Doppelleben führte und das Leben vieler Mädchen zerstörte. Er sei ein Meister der Manipulation gewesen“, führte der Vorsitzende weiter aus. Er habe getäuscht, eingeschüchtert, und mit der Scham sowie der Angst seiner Opfer gespielt. Als Kirchenmann sei er besonders aus Sicht von Kindern ein Repräsentant Gottes auf Erden gewesen und habe diese damit in ihrem Kern getroffen und traumatisiert.

 

Richter bezeichnet Opfer als „Heldinnen des Verfahrens“

 

Es waren widerliche und abstoßende Details, die man als Zuhörer nur schwer ertragen konnte. Die ersten sexuellen Übergriffe gab es demnach 1979. Das erste Opfer war seine Pflegetochter, die er später auch schwängern sollte - das Kind wurde abgetrieben. Über die Jahre folgten viele weitere junge Mädchen, darunter auch seine drei Nichten. Insgesamt 15 Einzelschicksale listete Kaufmann auf. Viele Opfer hatten sich erst während des laufenden Prozesses gemeldet. Die Misshandlungen liefen fast immer nach demselben Schema ab, immer mit dem Ziel sich seinen Opfern sexuell zu nähern. Dabei nutzte er häufig auch sein gutes Verhältnis zu deren Eltern.

 

Dass die Kammer am Ende von der Schuld U.s überzeugt war, lag vor allem an den Aussagen der Opfer. „Alle Aussagen waren geprägt von einer beeindruckenden Ehrlichkeit, sodass das buchstäblich entwaffnend war“, sagte Kaufmann und ergänzte: „Es ist immer noch kaum vorstellbar, was es für die Geschädigten bedeutet hat, hier in den Ring zu steigen. Sie sind die Heldinnen dieses Verfahrens.“ Ganz im Gegensatz zum Angeklagten: Dieser habe erst am 20. Verhandlungstag ein Geständnis abgelegt und zuvor versucht, immer wieder falsche Fährten zu legen. Bei einigen Aussagen U.s habe sich die Kammer gefragt, ob es sich um einen zynischen Witz handle.

 

[U. wurde bei der Urteilsverlesung nur von seiner Anwältin Pantea Farahzadi begleitet. Strafverteidiger Dr. Rüdiger Deckers erschien nicht. Er soll sich im Urlaub befinden.]

 

Klare Worte in Richtung der Kirche

 

Ein Rätsel habe die Kammer allerdings nicht auflösen können, meinte der Vorsitzende: Wieso der Geistliche 40 Jahre lang agieren konnte, ohne dass man ihm das Handwerk legte. U. habe sich immer besonders verletzliche Opfer ausgesucht. Gerüchten und Anschuldigungen sei er mit einem „unglaublichen Selbstbewusstsein“ entgegengetreten, habe sich dabei sogar selbst immer wieder in die Opferrolle begeben. Bereits 2010 wurde erstmals gegen ihn ermittelt. Trotz einer vorrübergehenden Suspendierung habe er nicht nur weiter im Privaten seelsorgerische Aufgaben übernommen, sondern auch schon die nächsten Opfer ausgeguckt.

 

Kritik richtete Kaufmann dabei vor allem in Richtung der katholischen Kirche. Prälat Assenmacher habe ein völlig antiquiertes Weltbild gezeigt und zudem unterstellt, eine zu großzügige Entschädigungsregelung der Kirche würde dazu führen, dass Menschen versuchten, als Opfer bei der Kirche abzukassieren. Auch der heutige Hamburger Erzbischof Heße habe als damaliger Personalchef Verstöße sanktionslos hingenommen. Das Gericht erkannte ein „peinliches Bemühen“ der Kirche, die Vorwürfe nie aufzuklären. Wegen der Öffentlichkeit habe man keine andere Möglichkeit, hatte Heße in seiner Aussage gesagt.

 

„Dass sie Menschen die Beichte abgenommen haben, ist verstörend“

 

Erst 2015 reagierte die Kirche und richtete eine Interventionsstelle ein, die unter anderem den Fall U. neuprüfte und damit das Verfahren 2018 in Gang brachte. „Zum Glück wurde dieser tote Fall wieder aktiviert, sonst würden sie vermutlich heute noch in Zülpich ihre Taten begehen“, so der Richter. Mit zwölf Jahren Haft blieb das Gericht ein Jahr unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Und das, obwohl U. nie echte Reue gezeigt habe und die Geständnisse erst kamen, nachdem alle Vorwürfe längst auf dem Tisch und kaum noch abzustreiten waren. Dass er nicht vorbestraft und aufgrund seines Alters besonders haftempfindlich sei, dem stehe die kriminelle Energie seiner Taten gegenüber. Dass er das heilige Instrument der Beichte instrumentalisiert habe, bezeichnete Kaufmann als verstörend.

 

U. kann Revision gegen das Urteil einlegen. Dann müssten die Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden. Kaufmann riet dem Geistlichen eindringlich davon ab, auch um für die Opfer einen Schlussstrich zu ermöglichen. „Es ist absolut nachvollziehbar, dass die Kammer sehr emotionale und harte Worte gefunden hat“, sagte Strafverteidigerin Pantea Farahzadi nach dem Urteil. Hinter allen Beteiligten liege eine anspruchsvolle Hauptverhandlung mit sehr belastenden und schwierigen Zeugenvernehmungen. „Seine Taten sind durch nichts zu entschuldigen, dennoch ist es eine reine Rechtsfrage, ob die ausgeurteilte Strafe für einen 71-Jährigen angemessen ist.“ Ob ihr Mandant Rechtsmittel einlegen werde, ließ sie offen.

 

Auch die Opfer wendeten sich im Anschluss an die Öffentlichkeit

 

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