ENGELSKIRCHEN
GerMafia – Ist Deutschland ahnungslos?
Engelskirchen - Zur Lesung und Podiumsdiskussion „GerMafia - wie die Mafia Deutschland übernimmt“ hatte der Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen nach Engelskirchen geladen.
Von Ute Sommer
Die Veranstaltung begann zunächst mit dem großen Stühlerücken, denn der Einladung des Grünen-Kreisverbandes, die tiefere Einblicke in die Aktivitäten der italienischen Mafia in Deutschland versprach, waren wesentlich mehr Menschen ins alte Baumwolllager gefolgt, als von den Veranstaltern erwartet. Auf dem Podium warteten mit Sandro Mattioli (Autor, Journalist und Vorsitzender des Vereins „Mafianeindanke“), der Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des geheimen parlamentarischen Kontrollgremiums der Financial Investigation Unit, Sabine Grützmacher, und Jan Denis Wulff, als Kommissar des Bundeskriminalamtes, menschliche Nachrichtenquellen mit großer Expertise und erfahren im Umgang mit Organisierter Kriminalität (OK).
„Die Mafia ist ein gesamteuropäisches Problem“, beschrieb Sabine Grützmacher in ihrer Begrüßung die Dimension der OK. Deren Strukturen, wie das, des auch in der Region tätigen `Ndrangheta-Netzwerkes, müssten sichtbar gemacht werden, um effektiv dagegen vorgehen zu können. Mit der Lesung zweier Kapitel aus seinem im Mai erschienenen Buch „GerMafia - wie die Mafia Deutschland übernimmt“ lieferte Sandro Mattioli erste bedrückende Informationen aus der Innenwelt der kriminellen Clans. Mit den italienischen Gastarbeitern nach Ende des Krieges kamen auch Mitglieder der kalabrischen `Ndrangheta, der kampanischen Camorra und der sizilianischen Cosa Nostra nach Deutschland, deren Nachkommen heute überall im Land verteilt leben. Ihnen werden Delikte wie die Herstellung von Falschgeld, Geldwäsche, Waffenhandel, Schmuggel, Drogenhandel und illegale Giftmüllentsorgung vorgeworfen.
Im Gespräch mit seinem Freund Mattioli schildert `Ndrangheta-Aussteiger Luigi Bonaventura, geboren als Sohn eines Mafia-Bosses, seine empathielose Sozialisation innerhalb des kriminellen Clans, der ihm im Alter von zehn Jahren erste Schießtrainings befiehlt und mit 19 den ersten Auftragsmord erteilt. 2012, mittlerweile verheiratet und Vater zweier Kinder, beschließt Bonaventura den Ausstieg, büßt diese Entscheidung gegen die Verbrecherorganisation seitdem mit ständiger Bedrohung und Todesangst um seine Familie.
Seit den gewaltsamen Ausschreitungen gegen Sicherheits- und Rettungskräfte in der Silvesternacht 2015 in Berlin und den aktuell blutigen Verteilungskämpfen der Mocro-Mafia fokussiere sich die deutsche Sicherheitspolitik stark auf die Terrorbekämpfung. Doch seien die kriminellen Geschäftsfelder der Mafia längst aufgeteilt und man arbeite subtiler im Hintergrund, erläuterte der in Berlin lebende Kriminalkommissar Wulff. Die durch OK verursachten Straftaten seinen deshalb nicht weniger virulent. In der Hauptstadt seien große Immobilienleerstände zu beobachten, die auf illegale Geldwäschegeschäfte hinweisen.
In der effektiven Verfolgung der vielschichtigen Mafia-Kriminalität allerdings seien den Behörden durch massiven Personalmangel und veraltetes technisches Equipment die Hände gebunden. In der sich anschließenden Diskussion standen die Podiumsteilnehmer den Zuhörern Rede und Antwort. Weil Wohnungsnot direkte Folge Organisierter Kriminalität sei, begrüßte die Grünen-Politikerin Grützmacher das Bargeld-Verbot bei Immobilienkäufen. Ihr Nein zum vorgelegten Sicherheitspaket der Bundesregierung gründe auf der Befürchtung der „gläsernen Überwachung“, sie setze alternativ auf eine verbesserte personelle und computertechnische Ausstattung der Behörden. Allein in der Bekämpfung der Multi-Milliarden-Mafia-Finanzkriminalität stecke jede Menge Potential, das dringend benötigte Investitionen in Sozialpolitik und Bildungssektor freisetzten könne.
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