GUMMERSBACH
Stressfrei ankommen im ÖPNV
Gummersbach - Studierende des Master Medieninformatik an der TH Gummersbach haben einen ÖPNV-Navigation für neurodivergente Personen entwickelt - Für ihr Konzept wurden sie bei der „Student Research Competition“ der Konferenz „Mensch und Computer“ mit dem dritten Platz ausgezeichnet.
Deutschlandweit gibt es 10,4 Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Beeinträchtigung. Nach einer Studie der "Aktion Mensch" geben 65 Prozent der Befragten an, Barrieren im alltäglichen Leben zu erfahren. Menschen mit Behinderungen nannten hierbei räumliche und kommunikative Barrieren.
Für neurodivergenten Menschen (zusammenfassender Begriff für AD(H)S, Autismus-Spektrum, Legasthenie etc.) ist die Reise mit dem ÖPNV oft eine besondere Herausforderung: Reizüberflutung durch große Menschenansammlungen, laute Geräusche und kurzfristige Veränderungen am Fahrplan belasten diese Personengruppe im hohen Maße.
Bereits in seiner Bachelorarbeit hatte sich Medieninformatiker Finn Maybauer mit der Barrierefreiheit im Design digitaler Services beschäftigt. In einem seiner Interviews mit einer Person mit Lese-Rechtschreib-Schwäche stellte sich heraus, dass der Interviewpartner selten unbekannte Strecken im ÖPNV alleine fahre aus Angst, Umsteigepunkte zu verpassen oder nicht im richtigen Moment auszusteigen. Er fühle sich sicherer, wenn er mit seiner Frau die Strecken testet, die er aus beruflichen Gründen alleine fahren müsste. Die Nutzung von Assistenz-Technologien wie Navigationssystemen würden seine Nervosität nur erhöhen.
Zusammen mit seinen Kommilitonen Lining Bao, Katrin Hartz, Ali Obaidi und Leonard Pelzer hat Finn Maybauer im Masterstudiengang ein konzeptionelles System entwickelt, dass ein Begleiter in solchen überfordernden Situationen sein soll, in dem es individuell- und situativ-abhängige Unterstützung und Alternativen bietet.
Dazu führten die Studierenden eine qualitative Studie durch, in der sie Menschen zwischen 18 und 50 Jahren neurodivergenten Menschen befragten, um deren Bedürfnisse bei der Navigation im öffentlichen Nahverkehr zu ermitteln. Bei der Gestaltung des Navigation-Prototyps entstanden fünf Features. Diese sollten in Mobilität-Apps berücksichtigt werden, damit die Bedürfnisse von eurodivergenten Menschen beantwortet werden können, so die Empfehlung der Studierenden: “Im Gestaltungsprozess waren uns Werte wie Autonomie und Stärkung des Selbstbewusstseins besonders wichtig, mit dem Ziel Nutzende nicht vom System abhängig zu machen.“
Beispielsweise reagiert das System bei einer verpassten Haltestelle und unterstützt die Nutzenden bei alternativen Routen aktiv und situationsbedingt. Ein weiteres Feature: Eine multimodale Navigation, also sowohl visuell als auch auditiv. Die Nutzenden sollen die Navigation außerdem aktiv pausieren können, wenn sie überfordert werden und die Navigation zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen können. Diese Features wurden abschließend mit Hilfe von Experten-Interviews evaluiert. Betreut wurden die Studierenden von Prof. Dr. Gerhard Hartmann.
Beim „Student Research Competition“ der Konferenz „Mensch und Computer (MuC) 2024“ wurde das eingereichte Paper bewertet, zusammen mit einem Kurzvortrag und einer Diskussion. Ein Preisgeld gab es nicht, aber das ist für die Studierenden nebensächlich: Platz drei aus 20 Bewerbungen, ist für sie eine Bestätigung für die Relevanz ihrer Arbeit. Die MuC-Konferenz, die 2001 ins Leben gerufen wurde, ist die größte Konferenzreihe zur Mensch-Computer-Interaktion in Europa.
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