Bilder: Christian Herse --- Mit viel Herz inszeniert und den Zuschauer integriert: 'menschen! formen' gastierte im Rahmen der Kreativitätsworkshops in Lindlar.
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Zuschauer in eine Diskussion mit sich selbst entführt
Lindlar Im Rahmen des UNESCO-Kreativitätsworkshops traten behinderte Laiendarsteller gemeinsam mit Profis in einem Theaterstück auf und sorgten für viele intensive Gedankenströme beim gefesselten und teils ertappten Publikum.
Schätzen Sie mal, wer auf dieser Bühne behindert ist? Betretendes Schweigen herrschte im Kulturzentrum Lindlar, hatte Schauspieler Carl Luwdig Hübsch doch gerade das angesprochen, was in den Köpfen vieler Zuschauer gerade gedacht wurde. Im Rahmen des derzeit stattfindenden UNESCO-Kreativitätsworkshops gab das Theaterspiel menschen! formen! vom Züricher Theater HORA am Pfingstmontag ein Gastspiel im Oberbergischen. Das Besondere dabei, dass sich professionelle Darsteller die Bühne mit Behinderten teilten und gemeinsam die Zuschauer in ein Reich der (Un)-Wirklichkeit führten.
Die präsentierten Kurzstücke vom Elefantenmensch, Kasper Hausen und dem Wolfsjunge drehten sich allesamt um in der Gesellschaft bekannte Phänomene, bei denen Personen mit besonderen Hintergründen und Geschichten versucht werden, in das normale Leben zu Integrieren. In einem teils wirren Gedankenspiel, dessen Sätze teilweise via PC auf einer Leinwand dokumentiert wurden, entführte Regisseur Michael Eber die knapp 350 Zuschauer in eine Welt fernab des normalen Lebens und hinein in die Erinnerungen und Gefühle von Ausgestoßenen und Unbeachteten. Dabei fügten sich die behinderten Darsteller nahtlos in das Spiel der Profis ein und ließen durch ihre Gefühle und Darstellungen ihr Handicap vergessen machen.
Und das ist es, was diese Menschen auszeichnet. Sie zeigen auch dann von Natur aus Präsenz, während wir verblassen, resümierte Hübsch, der zugab, in seinen zahlreichen Jahren als Schauspieler noch nie auf solch interessante Charaktere gestoßen zu sein: Doch was ist für Sie speziell behindert? Wir haben hier den Autounfall, den während seiner Geburt mit Sauerstoff unterversorgten oder auch den Schwulen. Alle verfügen aus Sicht von bestimmten Kulturen über eine "Behinderung", obwohl sie genetisch gesund sein müssten. Anders bei Menschen mit Down-Syndrom, die von ihrer Kindheit durch ihre Behinderung geprägt werden.
Aber sind wir nicht alle irgendwie behindert oder eingeschränkt? Was ist mit Brillenträgern? Oder warum kann ich keinen Yoga-Sitz, obwohl ich seit Jahren daran übe? ISt das nicht auch behindert, fragte Hübsch das Publikum und erhielt ertappte Stille als Antwort. Das Schauspiel der insgesamt zwölf Darsteller schaffte es in rund anderthalb Stunden, beim Zuschauer eine Diskussion mit sich selbst zu erzeugen, bei der er sein Menschenbild und die Empfindungen sgegenüber einer Umwelt in Frage stellte. Bedenken Sie, dass Behinderte genauso sind wie wir, so Hübsch. Nur lassen sie es sich aber nicht anmerken, weswegen wir ihnen freiwillig in der Straßenbahn Platz machen.
