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Nahost-Forum: Nazzal will unabhängige palästinensische Friedensintiative gründen

om; 25. Feb 2002, 19:54 Uhr
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Nahost-Forum: Nazzal will unabhängige palästinensische Friedensintiative gründen

om; 25. Feb 2002, 19:54 Uhr
(om/25.2.2002-19:50) Von Oliver Mengedoht
Wiehl - "Mein Traum ist der von ganz Israel: Frieden, im Nahen Osten so leben wie die Völker in Europa in Frieden mit allen arabischen Völkern", lautete das Fazit von Simon Alfasi, Bürgermeister der israelischen Partnerstadt Jokneam nach dem Nahost-Forum.

[Bilder: Oliver Mengedoht.]



So versprach er denn auch gleich, ein solches Forum mit beiden Seiten, mit Israelis und Palästinensern an einem Tisch, auch in seiner Stadt ins Leben zu rufen. Und auch Mohamed Nazzal, der Vertreter der Palästinensischen Generaldelegation in Bonn, nahm offenbar ein bisschen Hoffnung mit nach Hause: "Ich nehme viel Mut mit, dee wenn schon so viele Deutsche so weit weg hier den ganzen Tag zuhören und diskutieren, müssten es bei uns doch noch mehr sein. Ich überlege, mit wem ich spreche, um eine unabhängige palästinensische Friedensbewegung zu schaffen."

Eine beeindruckende und hochinformative Veranstaltung war das, die der Freundeskreis Wiehl/Jokneam am Wochenende im Forum der Sparkasse der Homburgischen Gemeinden auf die Beine gestellt hatte. Ebenfalls erfreulich: Es gab keine Streitereien, Schuldzuweisungen oder Beleidigungen zwischen israelischen und palästinensischen Referenten, alle blieben offen, aber sehr sachlich. Gut gelöst auch die Moderation durch Günter Müchler, dem Chefredakteur des Deutschlandfunks in Köln, der die Redeanteile gleichmäßig verteilte und ausufernde Diskussionen nicht zuließ.



Freundeskreis-Vorsitzender Gerhard Hermann und seine vielen Mitstreiter im Verein, die sich für das Treffen eingesetzt hatten, um ein Mosaikstückchen auf dem Weg zum Frieden beizutragen, können wirklich stolz sein auf das Erreichte. Auch Sparkassendirektor Wolfgang-Ludwig Mehren, ebenfalls im Vorstand des Freundeskreises, war begeistert: "Für mich war heute morgen das Stärkste", erinnerte er sich an die Morgenveranstaltung, bei der Alfasi, Abdul-Rahman Alawi (Korrespondent der Palästinensischen Nachrichtenagentur, Abu Dayyeh (Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem) und der Jerusalemer Historiker und Schriftsteller Reuven Moskovitz unter Bürgermeister Becker-Blonigens Moderation über "Verantwortung, Wirtschaft und Arbeit gegen den Krieg" diskutiert hatten.

Abends dann die große Podiumsdiskussion im Sparkassen-Forum, bei der alle Referenten mitmachten. Jokneams Bürgermeister Alfasiberichtete dort, wie die Intifada seine Stadt verändert habe? Dass es großes Wachstum und Einwanderungswellen aus den GUS-Staaten gegeben habe, wurden neue Betriebe gegründet und viel mit Arbeitern aus den besetzten Gebieten zusammengearbeitet wurde. "Wir begannen, an den Frieden zu glauben. Vor 1,5 Jahren, als die Intifada begann, wurde unser Traum vom Frieden zerstört, es gibt auch bei uns Tote zu beklagen, die wirtschaftliche Lage ist schlecht. Das ist nicht nur für uns schlecht, sondern auch für das palästinänsische Volk."



Alfasi ist überzeugt, dass Arafat den Terror sofort beenden könne: "Das hat er '96 geschafft, das kann er auch heute." Das einzige, was beiden Völkern Frieden bringen könne, sei die Annahme des Mitchell-Plans durch Arafat - "wir wünschen uns nur eine Woche ohne Attentate, dann sind wir bereit, uns zusammenzusetzen und zu reden. Die Mehrheit des israelischen Volkes ist immer noch bereit, einen hohen Preis für den Frieden zu zahlen."

Mit Spannung erwartet worden war auch die Diskussion zwischen Avi Primor, dem ehemaligen Botschafter Israels in Deutschland, und dem Sprecher der palästinensischen Generaldirektion Nazzal. "Politik ist nicht immer gerecht, wenn man konkrete Ergebnisse erzielen will", machte Primor gleich zu Beginn klar. "Die Palästinenser haben Waffen von uns bekommen, haben 40.000 Mann Streitkräfte aufgebaut, dann begann der Terror. Der begann lange vor Scharon oder dem jetzigen Hausarrest Arafats. Scharons führt seine persönliche Politik fort von 1982, wo er Arafat schon einmal in die Ecke gedrängt und die Sache nicht vollendet hat - aber nicht alle denken so."



Unbelehrbare gebe es nicht nur hier, erwiderte Nazzal, sondern auch in Israel, "die trotz der ersten Intifada und allem, was sie gekostet hat, nichts daraus gelernt haben. Es gab die Möglichkeit für einen gemeinsamen Friedensprozess, aber mit der Demütigung Arafats erreicht man nichts" Scharon genieße es, wie er mit Arafat umgehe. "Aber es geht nicht um die Person Arafats, er verkörpert etwas, deswegen kämpft unser Volk weiter und unterstützt ihn, weil es weiß, wofür: die Unabhängigkeit."

Arafat habe Israel enttäuscht, weil er von Anfang an die unabghängigen, bewaffneten Gruppen toleriert habe - "das ist der Kern des Problems", erklärte Primor. Nazzal konterte, dass Attentäter nicht Arafat unterstünden. "Die Israelis machen Arafat bewegungsunfähig und zerstören seine Kommunikationsmöglichkeiten, aber erwarten gleichzeitig Schutz vor ihm - das ist unlogisch." Die Intifada habe erst begonnen, als der Friedensprozess "längst tot war". Warum könne ein riesiger Staat mit Armee, Polizei und den technologischen Möglichkeiten Israels nicht verhindern, dass in Tel Aviv die Bomben fliegen? "Es ist diese eigene Ohnmacht, die auf Arafat übertragen wird", zeigte sich Nazzal sicher und verteidigte die Intifada: "Der Kriegszustand ist da, wir haben nicht begonnen. Jedes Volk hat das Recht auf Rebellion und Steine zu schmeißen - das gibt es auch in Berlin und Belfast, aber nicht Raketen in Wohngebiete schießen."

Abu Dayyeh, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem, stimmte seinem Landsmann zu. Arafat besitze keine Rechtfertigung, gegen diese Gruppen einzuschreiten, obwohl er es müsste. "Ein großes Dilemma,: Er kann diesen Schritt nicht wagen gegen sein eigenes Volk, weil Israel ihm nicht entgegenkommt. Haben denn die Israelis die Waffen niedergelegt oder weiter mit Gewalt die besetzten Gebiete kontrolliert? Sie haben die Früchte des Friedens nicht aufgefangen."



Hamas und El Dschihad, die beiden größten Gruppen in Palästina, hätten sich erst ab 1987 entwickelt, als Israel die volle Kontrolle über die besetzten Gebiete gehabt habe. "Sie haben zugeschaut, wie diese Gruppen immer größer wurden, um Arafat zu schwächen. Jetzt sind sie eine Gefahr nicht nur für Israel, sondern auch für Palästina", erklärte Dayyeh. Und der israelische Botschafter a.D. Primor war so ehrlich, zuzugeben, dass "es stimmt, in den 80-ern haben wir zugeschaut, um die PLO zu schwächen, obwohl das heute kaum einer bei uns zugeben würde".

Abdul-Rahman Alawi, Korrespondent der Palästinensischen Nachrichtenagentur, berichtete, dass es auch in seinem Land eine parlamentarische und eine außerparlamentarische Opposition gebe, ebenso kritische Presse. "Es gibt mehrere Zeitungen, und die schreiben frei, nur in der Innenpolitik gibt es eine gewisse Selbstzensur, weil man Arafat nicht verärgern will, Israel nicht und auch den deutschen Außenminister Fischer nicht."

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"Wie bringen wir Israelis und Palästinenser an einen Tisch?" fragte sich nicht nur Alawi. Durch Einmischung von außen, lautet seine Meinung. "Scharon und Arafat wollen nicht, ohne Hilfe von außen gibt es keine Hoffnung. Keine amerikanischen oder NATO-Truppen, aber politischer Druck, um beide an den Verhandlungstisch zu bringen." Israel sei der einzige Staat, der aufgrund einer UNO-Resolution entstanden ist, also müsse die UNO weiter eine Rolle spielen.



So denkt auch Reuven Moskowitz, Historiker und Mitglied der Friedensinitiative aus Jerusalem. Die letzten zwei Wochen hätten gezeigt, dass die Friedensinitiative lebe, "Zehntausende haben haben demonstriert, weil die Besatzung uns tötet." Dennoch glaube er, dass diese Welt, die Israel und Palästina geschaffen hat, dafür Sorge tragen müsse, dass diese zwei Völker dort in Frieden leben können. "Auf die Amerikaner ist kein Verlass, die sind zu einseitig interessiert. Die Europäer müssen ran."

Beide verletzten Völker sähen sich als Opfer, verdeutlichte Moskowitz. "Daher kommt es, dass die eine Seite niederträchtig Menschen in die Luft sprengt und wir unverschämt hinrichten."



Ex-Botschafter Primor erwartet von den Europäern nicht viel. "Ich bin nicht gegen Einmischung von außen, ich halte sie nur nicht für realistisch." Ben Gurion habe einmal gesagt, der Unterschied zwischen einem Staatsmann und einem Politiker ist, dass der Staatsmann an die nächsten Generationen denkt, der Politiker nur an die nächste Wahl. "Wir brauchen solche Staatsmänner, die auch unbeliebte Beschlüsse fassen, Risiko eingehen. Ich sehe die nicht."



Auf die Zuschauerfrage nach den palästinensischen Flüchtlingen erläuterte Primor, dass der überwiegende Teil Israels sie als direkte Bedrohung empfinde. "Wir sind sechs Millionen Menschen auf einer Fläche von Hessen, davon eine Million Palästinenser. Fünf Millionen Juden also - wenn die vier Millionen Flüchtlinge zurückdürften, wäre das das Ende des Staates Israel, wäre Selbstmord." Die Juden hätten sich aber nicht in den palästinensischen Gebieten niederlassen sollen, "das gebe ich zu, überhaupt sollten wir die Siedlungen dort räumen".

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