JUNGE LEUTE

Lernen und leben im Ausnahmezustand

lw; 27.11.2020, 12:13 Uhr
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Fotos: Lars Weber --- Die Schülervertretung der Gesamtschule Marienheide stand OA Rede und Antwort: SV-Lehrerin Leonie Gumprich (hinten, v.li.), Sarah Striebeck (Q2), Annika Herwig (8c) und Mattheo Palic (5b) sowie SV-Lehrerin Clarissa Grothues (vorne, v.li.), Noah Thiele (7c), Schülersprecher Linus Przewloka (Q2), Marwin Waßerfuhr (Q2) und Simon Heker (Q2).
JUNGE LEUTE

Lernen und leben im Ausnahmezustand

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lw; 27.11.2020, 12:13 Uhr
Marienheide – Schüler über die Coronamaßnahmen, zugigen Unterricht, den Generationenkonflikt und ein Leben, in dem fast alles in der Freizeit verboten ist.

Von Lars Weber

 

Seit Mitte März befinden sich die Schulen im Ausnahmezustand. Zwischen Lockdown, digitalem Unterricht, Maskenpflichtdiskussionen und Quarantäne gilt es für Schüler und Lehrer, irgendwie dem Lehrstoff hinterherzukommen. Nachdem die Fallzahlen auch an den Bildungseinrichtungen anstiegen, stritt die Politik zuletzt um weitere Lösungen, mit dem Ergebnis, das ab der achten Klasse in Regionen mit einer Inzidenz ab 200 Wechselunterricht stattfinden dürfte. Doch was meinen eigentlich jene zum Vorgehen der Politik, um die es hier letztlich geht? OA hat die Schülervertretung der Gesamtschule Marienheide getroffen, die sich im Frühjahr mit einem offenen Brief an die Landesregierung wandte. Dabei wird klar: Die Pandemie und ihre Folgen nehmen die jungen Menschen sehr ernst. Das heißt aber weder, dass sie mit dem Vorgehen immer zufrieden sind, noch, dass sie nicht auch mit der Situation zu kämpfen haben.

 

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Schule dichtmachen? Jein!

 

Die Schüler sind sich uneins. Gerade den Sportunterricht ohne Maskenpflicht sieht Marwin Waßerfuhr (Q2) zum Beispiel kritisch, ebenso den Unterricht mit allen in einer Klasse. Im Sommer bei offenen Fenstern fühlte er sich noch besser damit. Er hat in seinem Umfeld einige Menschen, die zur Risikogruppe gehören, deshalb möchte er das Virus „auf keinen Fall zu Hause haben“.  Allerdings fühlen sich die Schüler gerade durch die Maskenpflicht recht sicher in der Schule, wie Simon Heker und Schulsprecher Linus Przewloka (beide Q2) sagen. Das Tragen der Masken im Unterricht sei an der Gesamtschule auch durchgezogen worden, als die Pflicht vorübergehend ausgesetzt war – freiwillig. „Fast alle waren mit dabei“, sagt Linus.

 

Gerade für die jüngeren Schüler und deren Eltern sehen sie eine komplette Schließung auch kritisch. „Und was kommt dann Zuhause?“, fragt Linus. Da gingen die Probleme weiter. Simon verweist darauf, dass die meisten Ansteckungen ohnehin im privaten Bereich stattfinden. Zumindest die Gesamtschule hat sich noch nicht als Hotspot erwiesen, es gab keinen Ausbruch. Seit den Sommerferien gab es weniger als zehn positive Fälle – bei 1.200 Schülern.

 

[Sarah, Marwin, Simon und Linus hoffen im nächsten Jahr Abitur zu machen, ohne dass Corona weiter dazwischenfunkt.]

 

Alternativen für die Politik direkt aus dem Klassenraum

 

„Politiker reden kaum über das, was wirklich in den Schulen passiert“, sagt Sarah Striebeck (Q2). „Die reden nur um den heißen Brei.“ Simon ergänzt: „Der praktische Vergleich fehlt.“ Beispiel vorgezogene Weihnachtsferien: Für ihre Stufe heißt das, dass sie lediglich zwei Wochen zwischen zwei Klausurphasen haben – viel zu wenig. „Die Politik versucht sich an umständlichen Konzepten, aber man kann auch einfach etwas Luft und Raum schaffen für Schüler und Lehrer.“ Wie? Indem zum Beispiel Fächer, die in der Oberstufe für niemanden schriftlich relevant seien oder die gerade nicht in  normaler Form unterrichtet werden können, erst einmal ausgesetzt werden. Häufig sei das bei Sport oder Religion der Fall. „Tatsächlich würde das auch Freiheiten für einen Blockunterricht bringen“, ergänzt Simon.  

 

Zwischen Bibbern und Maskenmode

 

Die Maskenpflicht auf dem Schulgelände, auch während des Unterrichts, sei kein Problem für die meisten Schüler. Annika Herwig (8c): „Die merken wir gar nicht mehr.“ Wenn sie doch mal vergessen werden, weisen sich die Schüler gegenseitig darauf hin. Um sich auf das ständige Lüften einzustellen, hätten manche Schüler inzwischen Decken mit im Unterricht. „Andere Unterschiede zu vorher gibt es im Unterricht nicht, es ist normal geworden“, sagt Marwin. Anders ist das beim digitalen Unterricht, wo sich die Schüler viel selbst erklären müssten, oder sie fragen Geschwister oder Eltern.

 

Die Neuen und die künftigen Abiturienten

 

Den veränderten Schulalltag bekommen vor allem die Fünftklässler und die Q2, die im nächsten Jahr in die Abiprüfungen gehen, zu sprüen. Mattheo Palic ist dieses Schuljahr von der Grundschule an die Gesamtschule gewechselt. „Bei der Einschulung durfte nur eine Person dabei sein, das war blöd.“ Und aufgrund der Regelungen an der Schule bleiben ihm AGs, das Bistro oder weitere Sportangebote noch verwehrt. Der jetzigen Q2 ist durch den ersten Lockdown fast die Hälfte des vergangenen Schuljahrs weggebrochen. Nach den Sommerferien musste die Stufe zudem einmal für eine Woche in Quarantäne. Das führe zu Konflikten. Die Lehrer spüren den Druck, viel Stoff nachholen zu müssen, während die Schüler kaum noch hinterherkommen. „Manchmal fühle ich mich wie eine Maschine, die nur noch auf Machen programmiert ist“, sagt Marwin.

 

Alt gegen Jung?

 

Vertreter der älteren Generationen zeigen gerne auf die Jüngeren. Mit verantwortungslosen Verhalten zum Beispiel an Busbahnhöfen oder Gruppentreffen befeuerten sie das Infektionsgeschehen. Die Marienheider kennen natürlich auch genügend Fälle, wo die Maskenpflicht außerhalb der Schule nicht so ernst genommen wird. „Ich glaube viele meinen noch immer, ihnen passiere ja eh nichts“, sagt Marwin. Dass die Maske vor allem andere schützen soll, komme nicht richtig an bei diesen Personen. Die jungen Menschen machen aber auch klar: Gerade Verstöße gegen die Maskenpflicht sehen sie mindestens genauso häufig bei Erwachsenen.

 

[Mattheo, Noah und Annika vermissen es, nachmittags Sport zu machen oder sich mit Freunden zu treffen.]

 

Freizeit ohne Spaßfaktor

 

Das Verständnis, dass in Vereinen gerade nichts geht, das Kino oder die Schwimmbäder dicht haben, ist da. Die Folgen spüren sie aber schon selbst oder sehen es bei anderen. „Meine Schwester hat richtig Probleme, weil sie ihre Freundinnen nicht treffen kann“, sagt Noah Thiele (7c). Und auch er selbst vermisst den Sport, dem er sonst nachgegangen ist. Diese Strukturen, sagt SV-Lehrerin Clarissa Grothues, fehlten gerade auch Kindern in schwierigeren Verhältnissen, wo die Eltern nachmittags auch nicht da sind. „Einige Kinder fühlen sich verloren.“

 

Diese sozialen Kontakte außerhalb der Schule und den eigenen vier Wänden: Sie fehlen den Kindern und Jugendlichen sehr, sie waren ein wichtiger mentaler Ausgleich. „Wir wollen uns treffen, wir wollen reden“, sagt Simon. „Ich möchte meine Freunde wieder umarmen“, sagt Annika. „Das geht auf die Psyche“, so Simon. „Sich nur im Videochat zu treffen ist kein Ersatz.“ Als Vorschlag für die Politik bringen sie ins Spiel, innerhalb des Klassenverbunds Freizeitangebote zu organisieren, zum Beispiel ins Schwimmbad. Diese Gruppe sei ja auch vormittags die ganze Zeit zusammen. „Das wäre gut für das Gefühl.“

KOMMENTARE

1

"Sarah, Marwin, Simon und Linus hoffen im nächsten Jahr Abitur zu machen, ohne dass Corona weiter dazwischenfunkt."

Diese Hoffnung kann ich den Jugendlichen nehmen. Corona ist da und wird bis April auch nicht verschwunden sein. Es wird nur die Frage bleiben: Wie stark werden die Einschränkungen.

Viel Gück beim Abitur!

Wener, 27.11.2020, 12:21 Uhr
2

Schade, dass das Thema mit dem Sportunterricht ohne Maske nur so kurz gekommen ist. Erst letzte Woche musste deswegen eine Klasse in Quarantäne und es wird wieder so passieren, weil sich um den Sportunterricht nicht gekümmert wird. Hauptsache in den anderen Fächern werden Masken getragen. Beim Sportunterricht ist keinerlei Einschränkung durch Corona, das heißt also, wenn einer im Sportkurs Corona hat, muss direkt die ganze Klasse in Quarantäne und verpasst wichtigen Unterrichtsstoff. Wenn das dann auch vor einer Klausur passiert, können die aus der Quarantäne kommenden diese komplett vergessen.

Vanessa, 04.12.2020, 05:51 Uhr
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