KULTUR
„Woyzeck“ in die Enge getrieben
Wiehl – Mit dem Dramenfragment von Georg Büchner wird im Schau-Spiel-Studio Oberberg derzeit ein Klassiker inszeniert – Premiere fand am Freitagabend statt.
Von Vera Marzinski
Das Schau-Spiel-Studio Oberberg hat ein sehr breites Repertoire – diesmal steht wieder ein Klassiker auf dem Programm mit der Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“, die am Freitagabend mit einer beeindruckenden Premiere startete. Das Dramenfragment von Büchner gehört zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der deutschen Literatur. Es entstand im Jahr 1836 und ist aufgrund Büchners frühen Todes unvollendet. Regisseur Raimund Binder – als Regieassistenz Hiltrud Binder - legt in seiner Inszenierung den Schwerpunkt auf die psychologische und soziale Dimension der Figur „Woyzeck“.
Bei diesem Stück zeigt sich eindeutig, dass das Schau-Spiel-Studio über ein breit gefächertes Spektrum an Charakterdarstellern verfügt und auch die neuen Darsteller, die teilweise zum ersten Mal auf der Bühne standen, füllten ihre Rollen gut aus. Raimund Binder zaubert mit viel Engagement, Enthusiasmus, großer Erfahrung und pädagogischem Ausmaß bei den intensiven Proben mit den Amateuren großes Theater auf die kleine Bühne in Wiehl.
[Dem Doktor (Jörn Wollenweber, li.) dient Woyzeck als Versuchsobjekt, der Hauptmann (Raimund Binder) demütigt ihn - beiden ist Woyzeck vollständig ausgeliefert.]
Wie intensiv ein Darsteller in seiner Rolle aufgehen kann, zeigt Colin Knura als Woyzeck, der diesem gehetzten Menschen überaus brillant ein Gesicht verleiht. Binder steht selbst als Hauptmann auf der Bühne und dabei wird wieder einmal deutlich, wie sehr ihm nicht nur das Inszenieren, sondern auch das Schauspiel Spaß macht - und wie man solch eine Rolle perfekt umsetzt. Grandios als Marie ist Birgit Simon-Flosbach, die eine lange Theater-Pause gemacht hatte - 2003 stand sie beim Stück „Zurück zum Happyend“ auf der Bühne in Wiehl gemeinsam mit Jörn Wollenweber. Der setzt in „Woyzeck“ den sadistischen und sarkastischen Doktor wunderbar um. Fabian Beer war vergangenes Jahr schon positiv aufgefallen – jetzt nicht minder in der Rolle des Andres in „Woyzeck“.
Das Stück zeigt, wie es dazu kommen kann, dass ein Mensch, wenn man ihm sein Menschsein abspricht, zu Unmenschlichem fähig wird. So ein Mensch ist Franz Woyzeck, der alles tut, um seine Freundin Marie und das gemeinsame Kind durchzubringen. Für einen Hungerlohn dient er als einfacher Soldat einem Hauptmann, der ihn schikaniert. Und er ruiniert seine körperliche und geistige Gesundheit bei einem fragwürdigen medizinischen Experiment. „Ein interessanter Kasus - das Subjekt Woyzeck“, so der Doktor, der mit Woyzeck eine Erbsendiät-Studie durchführt - was für Körper und Geist verheerende Folgen hat.
Vom Hauptmann, einer typischen Büchner-Gestalt, der sich mit seinen Betrachtungen von Zeit und Ewigkeit quält, wird der Doktor nicht umsonst als Sargnagel bezeichnet. Beiden ist Woyzeck vollständig ausgeliefert, als Diener und Versuchskaninchen. Sie gehören wie der Tambourmajor und Gegenspieler Woyzecks (imposant dargestellt von Benjamin Geppert), der eine Affäre mit Marie hat, zur Oberschicht. Woyzeck ist ein einfacher Mensch, ein Angehöriger der Unterschicht. Er wehrt sich nicht - er kann sich nicht wehren.
[Die Liebe zu Marie (Birgit Simon-Floßbach) scheint Woyzeck am Leben zu halten, doch diese träumt von einem glamourösen Leben und bandelt mit dem Tambourmajor (Benjamin Geppert) an.]
Das Stück „Woyzeck“ ist eine Anklage der Gesellschaftsverhältnisse, eine Eifersuchts- und Liebesgeschichte, aber auch ein philosophischer und diskursiver Text – mit Sicherheit auch gerade heute aktuell. Raimund Binders Inszenierung zeigt die Figur Woyzeck, die mit ihrer inneren Zerrissenheit und wachsenden Ängsten verdeutlicht, wie sehr er durch seine Umwelt geformt und zerstört wird.
Zum Schauspiel ist die Bühne mit zwei Podesten und zwei Rampen sowie vier kleinen Blöcken, die als Sitze genutzt werden, ausgestattet. Im Hintergrund auf der Leinwand grünes, lilafarbenes, blaues oder rotes Licht. Auf dem Jahrmarkt Drehorgel, Affe und ein Esel – mit wenig wird viel ausgedrückt. „Woyzeck“ ist noch bis zum 23. Februar zu sehen, die nächste Aufführung findet am Mittwoch, 29.Januar, um 19:30 Uhr statt. Weitere Termine sind hier zu finden.
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