KULTUR

Soziale Verdammnis in Büchners „Woyzeck“

vma; 22.04.2023, 10:45 Uhr
Fotos: Volker Beushausen --- Verzweifelt, getrieben, verwirrt: Mike Kühn setzte die Rolle des Woyzeck hervorragend um.
KULTUR

Soziale Verdammnis in Büchners „Woyzeck“

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vma; 22.04.2023, 10:45 Uhr
Gummersbach - Das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel zeigte in der Halle 32 mit Georg Büchners „Woyzeck“ eines der meistgespielten und einflussreichsten Stücke der deutschen Literatur.

Von Vera Marzinski

 

Eine Art Bombenkrater, Schützengraben und auch Müllhalde mitten auf der Bühne in der Halle 32. Woyzeck (Mike Kühne, dem man den Geschundenen und Verzweifelten sofort abnimmt) sammelt Plastikflaschen. Er wirkt verwirrt und gehetzt. Stille, als wäre die Welt tot – und dann erklingt eine Marschkapelle. Woyzeck verfällt mehr und mehr in düsteren Visionen. Das grausige Ende: „Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön, als man ihn nur verlangen kann“.

 

[Gute Leistung des Ensembles des Westfälischen Landestheater v.li.): Simone Schuster, Mario Thomanek, Burghard Braun, Thyra Uhde, Guido Thurk, Tobias Schwieger - Mitte: Mike Kühne).]

 

Sehr ausdrucksstark kommentiert Thyra Uhde (Rollenname: „Marktschreierin“), das Geschehen auf der Bühne. Sie hat etwas Diabolisches und teilweise fungiert sie als Spinnenfrau oder Femme fatale. Sie beobachtet gleich zu Beginn in der apokalyptisch wirkenden Inszenierung von Markus Kopf das Dreiergespann Woyzeck, Andres und Marie. Die soziale Verdammnis zeigt sich schnell. Woyzeck rasiert den Hauptmann (Burghard Braun im langen, schwarzen Ledermantel), um neben seinem Soldaten-Sold etwas dazu zu verdienen, muss er doch Marie und ihr gemeinsames Kind ernähren. Der Hauptmann rät ihm, dass er seine noch 30 Jahre Lebenszeit gut einteilen solle. Moral und Tugend müsse man sich leisten können, betont er und empfindet Woyzeck als „immer so verhetzt“. Woyzeck verteidigt sich, indem er ärmliche Lebensumstände und Sorgen als Grund für seine Natur angibt. Der Hauptmann reagiert mit nichtssagenden philosophischen Aussagen. Auch der Doktor (Guido Thurk) nimmt Woyzeck nicht ernst und nutzt ihn nur aus für seine Erbsendiät-Versuche. 

 

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Derweil schwärmt Woyzecks Lebensgefährtin für den Tambourmajor (Tobias Schwieger als Macho in karnevalistischer Tanzgarden-Uniform). Obwohl Marie (Simone Schuster) eine feste Beziehung mit Woyzeck führt, hat sie nichts gegen Bekanntschaften mit anderen Männern. Sie träumt von einem besseren Leben und ist erfreut über den Flirtversuch des Majors. Woyzeck ist verletzt und halluziniert aufgrund seiner einseitigen Ernährung als Versuchskaninchen. Sein Freund Andres (Mario Thomanek) versucht Woyzeck zu beruhigen, schläft aber direkt wieder ein – wahrscheinlich hat er sich mittlerweile mit dem labilen Geisteszustand seines Kameraden abgefunden. Woyzeck schenkt Andres seine Habseligkeiten – ein Kreuz, einen Ring sowie sein Hemd und ein Heiligenbild. Zu Marie, die er an eine einsame Stelle führt, sagt er "Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm“ und „Wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr, Du wirst vom Morgentau nicht frieren“. 

 

[Brillant in der Rolle der „Marktschreierin“: Thyra Uhde – hinten Woyzeck-Freund Andres (Mario Thomanek).]

 

Etwa 170 Zuschauer erlebten den ewig getriebenen „Woyzeck“ in der Aufführung auf der Halle 32-Bühne. Ein Stück, das auch heute noch aktuell ist - Woyzeck ist der Prototyp des erniedrigten Individuums in einer Gesellschaft, in der jeder ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen handelt. Der sich immer wieder aufrichtet. Bis dann der Punkt kommt, an dem er zerbricht und zurückschlägt. Georg Büchner verfasste mit seinem Fragment aus dem Jahre 1836 (das Drama erschien erst nach seinem Tode in einer überarbeiteten Fassung im Jahre 1879) einen Stoff, der nicht nur Gymnasiasten im Abiturfach Deutsch (Woyzeck ist Pflichtlektüre im Zentralabitur 2024) begeistert. Hervorragend umgesetzt vom Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel.

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