LOKALMIX

„Das Gewaltpotential ist deutlich höher geworden“

ks; 14.08.2024, 14:00 Uhr
Symbolfoto: Julio César Velásquez Mejía auf Pixabay --- Ein Arzt mit Stethoskop.
LOKALMIX

„Das Gewaltpotential ist deutlich höher geworden“

ks; 14.08.2024, 14:00 Uhr
Oberberg – In deutschen Arztpraxen soll es immer häufiger zu Gewalt kommen – OA hat darüber mit Thomas Aßmann, dem stellvertretenden Vorsitzenden des oberbergischen Hausärzteverbandes, gesprochen.

Steht der nächste Arztbesuch an, dann heißt das für die meisten: pünktlich erscheinen, mit einem freundlichen „Hallo“ die Praxis betreten, die Krankenkassenkarte griffbereit haben und geduldig im Wartezimmer Platz nehmen. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel – und diese Ausnahmen soll es seit einigen Jahren immer häufiger geben. „Aggressives Verhalten, verbale Bedrohungen bis hin zu Tätlichkeiten sind ein wachsendes Problem in den Arztpraxen“, wird Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, jüngst in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zitiert.

 

Das ist ein Trend, der offenbar auch in oberbergischen Praxen angekommen ist. Thomas Aßmann ist Facharzt für Innere Medizin und Notfallmedizin sowie als stellvertretender Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Oberberg tätig. Als Hausarzt praktiziert er in Lindlar und Engelskirchen. Zweimal sei es bereits vorgekommen, dass ein Migrant in der Praxis randaliert habe. Beide Male sei der Tresen verwüstet, das Schutzglas runtergeschmissen und Fenster eingeschlagen worden. „Das Gewaltpotential ist deutlich höher geworden“, sagte der Mediziner im Gespräch mit OA.

 

WERBUNG

Dabei nimmt Aßmann kein Blatt vor den Mund. Überwiegend gäbe es derartige Probleme mit Mitbürgern, die einen Migrationshintergrund haben. Viele würden ohne Dolmetscher in die Praxis kommen, sich dann aber nicht gut verständigen können. Außerdem dauere es vielen zu lange, bis sie behandelt werden würden. „Es gibt einige, bei denen die Zündschnur ganz kurz ist“, sagte Aßmann. Primär abbekommen würden das aber die Arzthelferinnen – und sich dabei körperlich und mental bedroht fühlen. „Die Mitarbeiterinnen haben teilweise echt Angst“, sagte der Hausarzt.

 

Seit etwa vier bis fünf Jahren nimmt Aßmann eine zunehmende Gewalt in seiner Praxis wahr. „Die Gewalt wird leider immer mehr ein Thema. […] Es wird eher schlimmer als besser.“ Im Austausch mit seinen oberbergischen Kollegen habe er festgestellt, dass diese ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Verbale Attacken würden mittlerweile zum Alltag in den Praxen gehören. „Beschimpfungen gibt es regelmäßig – das zähle ich gar nicht mehr“, sagte der Hausarzt.

 

Dass sich Patienten nicht benehmen können und eine „schräge Einschätzung der eigenen Behandlungsdringlichkeit“ haben, sei laut Andreas Gassen ein Nationen-übergreifendes Phänomen. „Was sich allerdings auch häuft: Da ist einer krank, und sechs Leute kommen als Begleitung mit in die Praxis oder die Notaufnahme und machen Radau. Das ist bemerkenswert und extrem unangenehm“, wird der Kassenärzte-Chef in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zitiert. Er fordert in derartigen Fällen deutliche und schnelle Strafen.

 

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will mit einer leichten Verschärfung des Strafrechts unter anderem Rettungskräfte besser vor Anfeindungen und Gewalt schützen. Andreas Gassen fordert, dass diese Anpassung auch auf Arztpraxen ausgeweitet wird. „Das sind alles sehr schöne Vorschläge“, sagte Thomas Aßmann, der auch im Rettungsdienst tätig ist, mit einem gewissen Unterton – und gab offen zu, sich von der Politik im Stich gelassen zu fühlen.

 

Als „zentrales Problem“ sieht der Mediziner eine mangelnde Wertschätzung – anderen Menschen gegenüber, aber auch im Hinblick auf die Arbeit. Außerdem müsse unbedingt dafür gesorgt werden, dass die Aggression in der Gesellschaft wieder abnehme. Dabei nimmt er auch den bereits bestehenden Fachkräftemangel im medizinischen Bereich in den Blick. Sollte es hier keine Verbesserung geben, „werden wir immer mehr Leute verlieren – in der Pflege und in den Arztpraxen“, sagte Aßmann abschließend.

WERBUNG