LOKALMIX
"Das ist nicht mehr mein Karstadt"
Gummersbach - Mit seinen Kollegen wickelt Betriebsratschef Roland Brockhoff in Gummersbach die 45-jährige Warenhaus-Ära ab - Am kommenden Samstag ist der letzte Verkaufstag in der Kreisstadt.
Von Bernd Vorländer
Fan-Utensilien gibt es schon für 22 Cent, oder Glücksschweine aus Porzellan, oder Konfetti. Doch zum Feiern ist hier niemandem zumute, vier Tage bevor die Türen bei Karstadt in Gummersbach endgültig geschlossen werden. Es herrscht eine eigenartige Stimmung in dem Geschäft, das seit Jahrzehnten zum Bild der Kreisstadt gehörte und für viele Oberberger Anlaufpunkt war. Schnäppchenjäger suchen an den wenigen verbliebenen Ständern nach "Beute", während wenige Meter weiter Ware schon abgehangen und verpackt wird. Der 2. Stock und das Untergeschoss sind bereits leer geräumt und ebenso wenig wie das Restaurant nutzbar. Bis Samstag werden alle noch übrig gebliebenen Waren zum Verkauf ins Erdgeschoss gebracht. Dann ist Schluss, der Letzte dreht den Schlüssel um. 45 Jahre Warenhaus-Geschichte werden beendet - kühl, achzelzuckend, würdelos. Aus und vorbei.
Mittendrin in dem Gewusel steht Roland Brockhoff (Foto), spricht mit Mitarbeitern, weist an, tröstet, findet für jeden verbindliche Worte. Irgendwie hat er etwas von einem Fels in der Brandung - unerschütterlich und wettererprobt. Doch wer mit dem 56-Jährigen spricht, merkt schnell, dass es in dem drahtigen Mann, der seit 39 Jahren Karstadtianer ist und dort seine Ausbildung in der Lebensmittelabteilung absolvierte, mächtig brodelt. Er ist Betriebsratsvorsitzender in Gummersbach und weiß, wie sehr die Schließung Mitarbeitern und Stammkunden zusetzt. "Unsere treuesten Besucher haben sich beim Personal schon verabschiedet. Die tun sich die letzten Tage nicht mehr an, das schmerzt die zu sehr", meint Brockhoff. Stolz ist er auf seine Kollegen. Die Krankmeldungs-Quote ist nach wie vor gering. Alle wollten die letzten Tage sauber über die Bühne bringen. "Wir werden dem Vermieter die Räumlichkeiten besenrein übergeben. Das ist unser Arbeitsethos."
[In vielen Bereichen herrscht schon gähnende Leere.]
Den 19. Juni wird wohl kaum einer der über 70 Mitarbeiter vergessen. Eigentlich war man froh, nach dem Corona-bedingten Lockdown wieder arbeiten und die Besucher beraten zu können. Dann kam die Nachricht, dass die Filiale geschlossen werden würde. Die teils traurigen, teils wütenden Gesichter bei der Betriebsversammlung sind Roland Brockhoff noch sehr präsent. Er hat seinen Kollegen damals noch zugerufen, dass man den Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze aufnehmen wolle. Fast vier Monate später weiß er: "Wir hatten nie eine Chance. Alles war längst beschlossen."
Gemeinsam mit Bürgermeister Frank Helmenstein sei man jeden erdenklichen Weg gegangen, um dem Schicksal eine Wendung zu geben. 17.000 Unterschriften habe man gesammelt. Die Umsätze seien im Sommer hervorragend gewesen und die Zahlen hätten auch zuvor gestimmt. "Dass noch nicht einmal der Bürgermeister eine schlüssige Antwort von der Unternehmensleitung bekommt, ist schon unverschämt", sagt Brockhoff.
Überhaupt sieht er das Aus für Karstadt in Gummersbach in unternehmerischen Fehlern begründet. Eine regionale Strategie des Unternehmens sei immer wieder angekündigt, aber nicht umgesetzt worden. Das Sortiment sei zu fashionlastig gewesen. Nach der Eröffnung des "Forum" in der Stadt habe es keine Karstadt-Strategie gegeben, stattdessen eine hohe Fluktuation bei den Geschäftsführern. Die Verbindung von Online- und Offline-Geschäft habe nicht funktioniert. All dies seien Puzzlestücke gewesen, die den Niedergang beschleunigt hätten. Was Brockhorst aber am meisten schmerzt, ist die Stillosigkeit der vergangenen Wochen. "Meine Kollegen haben bis zum Schluss tapfer durchgehalten, aber niemand aus der Unternehmensleitung kommt, um ihnen für ihre Treue selbst in den beruflich schwersten Stunden zu danken. Das macht einen schon sehr traurig und nachdenklich."
Der Umgang mit den Mitarbeitern, die in den Bürotürmen der Metropolen angeordnete Schließung der Gummersbacher Filiale trotz schwarzer Zahlen - dies alles hat bei Roland Brockhoff Bitterkeit hinterlassen. "Das ist nicht mehr mein Karstadt. Ich bin froh, wenn am 31. Oktober Schluss ist und ich nicht mehr hierhin kommen muss." Gedanken über seine berufliche Zukunft hat er sich noch nicht gemacht. Wie viele andere Kollegen wird er die Möglichkeit einer Auffanggesellschaft für die kommenden sechs Monate nutzen. "Im November und Dezember will ich abschalten und zur Ruhe kommen. Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen." Fast schon makaber, dass Brockhoff ausgerechnet am 31. Oktober, dem letzten Tag von Karstadt in Gummersbach, Geburtstag feiert. Vielleicht ist es für ihn und seine Kollegen der Start in eine neue berufliche Zukunft.
KOMMENTARE
1
Ein absolutes Missmanagement der Konzernleitung!!
Klaus Herden, 13.10.2020, 14:40 Uhr2
Ich wünsche der gesamten Belegschaft für ihren weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute ? Bleiben Sie gesund!
Vera D. , 13.10.2020, 17:22 Uhr3
Es tut mir unglaublich leid , dass alles so gekommen ist... Alles Gute und viel Erfolg bei der Arbeitssuche ...und vielen Dank für Ihre freundliche und professionelle Arbeit ??
Ulrike Küffel , 14.10.2020, 12:42 Uhr4
Vielleicht war ja auch die Errichtug des"Forum" ein Zeichen des Missmanagements der Stadt Gummersbach? Als dann die Katastrophe eintraf, ausgerechnet uf die Hilfe des Bürgermeister zu setzen, war doch wohl mehr als naiv!
Beobachter, 14.10.2020, 12:45 Uhr5
Die Geschäfstsführer sollten sind in Grund und Boden schämen , die Angestelten machen bis zum Schluss noch ihren Job und das mit Bravour und die werden im Stich gelassen .Traurig Danke allen Mitarbeitern von Karstatt ich war immer gerne Euer Kunde ,wünsche Euch für den weiteren Werdegang alles gute .
Wolfgang Hoffmann, 14.10.2020, 12:47 Uhr6
Vielen Dank für viele Jahre Freundlichkeit, gute Beratung und Qualität!
Leider gibt es in Gummersbach keine Alternative.....
7
Lieber Wolfgang,ich kann mich deinem Artikel nur anschliesen,und frage michob die verantwortlichen noch ruhig schlafen können
Jule, 14.10.2020, 18:31 Uhr8
Keine Alternative in Gummersbach stimmt! Auch nicht das "Forum"- wo ich im 2. Parkdeck oft schon fast alleine mit meinem Wagen stand- undenkbar in der City-Galerie Siegen, geschweige denn in Köln- damit hat die Stadt sich keinen Gefallen getan!
Gerd, 14.10.2020, 21:50 Uhr9
Hab im Karstadt mein ersten Big Jim von 40 Jahren bekommen ,den Geländewagen ,Piraten Boot ,usw. danach Essen und weiter Bummeln Karstadt war eine Familie
Grossmann Ilja, 14.10.2020, 23:24 Uhr10
Mir hat ein Vögelchen gezwitschert ,das in Karstadt ein Fitnesstudio einziehen soll Ich lach mich schlapp.
Jule, 15.10.2020, 18:20 Uhr11
Da lässt Karstadt doch tatsächlichnoch Werbung in Gummersbach verteilen.Wenn es nicht so traurig wäre,könnte man darüber lachen Ich kann dazu nur sagen Pfui............
Jule, 18.10.2020, 07:24 Uhr12
Als nächstes stirbt das Forum.
Theo Zeleken , 18.10.2020, 18:30 Uhr13
Adidas, Lufthansa, Commerzbank usw. alle haben Geld bekommen. Nur Karstadt-Gummersbach nicht. Sie lagen im Plus, wie die Mitarbeiter/innen
und andere bezeugen. 17. 000 Unterschriften für ein "Bleiben" von Karstadt.
Wenigstens noch eine Frist für 1 Jahr. Keiner von den "Oberen" ließ sich blicken. Gummersbach hat nie eine Chance gehabt, so sieht es aus. Man
kann sich die Frage stellen, wer hat hiervon profitiert? Alles liegt im Nebel,
was hier geschehen ist wird man Jahre noch später spüren (Siehe Stein-
müller). Jedes Unternehmen wäre froh, wenn es so tolle Mitarbeiter/innen
gehabt hätte wie Karstadt. Einfach zu sagen "Danke für die gute Arbeit", dass ist zu wenig nach so vielen Jahren. Man kann alles nicht verstehen.
Der kleine Mann bezahlt dieZeche, so war es immer. Schade.
14
Middelhoff war einer der Untergangsmechaniker bei Karstadt,hat sich selbst die Taschen voll gemacht,zum Glück ist e rZwischenzeitlich eingefahren,und dann kommt noch der Fuchs Benco aus Österreich,aber Karstadt ha tdie Chancen verpennt,ein Schlafwagenunternehmen,nur ohne Schlafwagen und die Mitarbeiter müssen dafür büsen
walter henk, 21.10.2020, 20:02 Uhr15
Die Karstadtleitung soll ja nicht glauben, dass ich je wieder eine der noch bestehenden Karstadt-Kaufhof-Häuser betrete!
Anders Umweg, 21.10.2020, 23:22 Uhr16
Eines ist klar, für die Konzernleitung kam Corona wie bestellt. Spätestens seit der Kaufhof Übernahme waren Schließungszenarien fertig erstellt in der Schublade. Durch die Insolvenz in eigene Regie konnte man wunderbar aus langfristigem Mietverträgen herauskommen.
Speziell für Gummersbach waren es mehrere Beschleunigungsgründe. Sicher war die Erschließung des Forums für einen weiteren Verbleib nicht zuträglich, wie auch bei vielen anderen Geschäften aus der Kaiserstraße. Dann hat sich das Kaufverhalten vieler Kunden ins Internet verlagert. Zu Guter letzt gibt es auch bei den Discountern mittlerweile jede Woche so viele Artikel des täglichen Bedarfs, wie es sie früher nicht gab.
Leider alles Gründe, die sich nicht mehr aufhalten lassen. Auch nicht in anderen Städten.
Macht es gut!
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