LOKALMIX
Betreuung: „Plötzlich ist alles anders“
Wiehl - Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Leben in Gemeinschaft zu ermöglichen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der HBW Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl - Was aber tun, wenn Gemeinschaft in Zeiten des Corona-Virus zur Gefahr wird?
220 erwachsene Menschen mit Behinderung betreut das HBW Haus für Menschen mit Behinderung Wiehl (HBW) in gemeinschaftlichen und ambulanten Wohnformen. Viele von ihnen arbeiten in den Behinderten Werkstätten Oberberg (BWO), die genau wie das HBW vom Verein zur Förderung und Betreuung behinderter Kinder Oberbergischer Kreis betrieben wird. Doch alle drei Standorte der BWO wurden am 18. März zunächst bis zum 20. April aufgrund der Corona-Krise per Erlass geschlossen. Seit Freitag steht fest: Die BWO muss weiterhin geschlossen halten werden, mindestens bis zum 3. Mai. Auch Besuche von Angehörigen und Freizeitangebote fallen weg. Das soziale Leben steht still – und die Mitarbeiter in den Wohn- und Betreuungsangeboten des HBW stehen vor täglich neuen Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
Barbara Futh und ihr Team betreuen über 80 Menschen in ambulanten Wohnformen. Für diese ist die Bedrohung durch das Virus einerseits so schwer zu fassen, dass es ihnen schwerfällt, zu Hause zu bleiben und direkte Kontakte zu meiden. Andererseits spüren sie die derzeitige Angst in der Gesellschaft sehr wohl. Das Wegbrechen der eigenen bekannten Alltagsstrukturen verstärkt dieses Gefühl der Verunsicherung noch. Daum suchen Barbara Futh und ihre Kollegen immer wieder das Gespräch und klären mithilfe von Informationsmaterial in leichter Sprache über das Virus und die damit verbundenen Auflagen auf.
[Stephanus Dünzer, Bewohner des Hauses am Konradsberg, bei der Gartenarbeit. Den Garten und die Gemeinschaftsräume dürfen die Bewohner nur gruppenweise betreten, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren - Das Coronavirus erklärt er mit seinen Worten und hofft bald wieder in die Werkstatt zu dürfen.]
Vor allem aber schaffen sie Strukturen gegen Langeweile und Einsamkeit: Kochangebote ersetzten die Versorgung mit einem warmen Mittagessen in der Werkstatt. Man geht wandern, startet Putz-Aktionen in den Wohnungen und beteiligt sich an Angeboten der Gemeinden. „Vielen fehlt der direkte Kontakt zu Freunden und Familien. Das bedeutet, dass die Kollegen zurzeit bei sehr vielen Klienten sämtliche Sozialkontakte ersetzen“, fasst Barbara Futh zusammen. Mit viel Einfühlungsvermögen unterstützen die Betreuer des HBW die Klienten dabei, diese schwierige Zeit gut zu überstehen. Darum sind sie auch telefonisch fast rund um die Uhr erreichbar. Während woanders Kurzarbeit herrscht, müssen im HBW also deutlich mehr Betreuungsstunden geleistet werden. „Da hoffen wir auf schnelle und unbürokratische Lösungen durch den Landschaftsverband Rheinland“, so Barbara Futh.
[Gemeinsames Kochen mit Mundschutz: Unter anderem durch Kochaktionen geben die HBW-Mitarbeitern den Menschen mit Behinderung eine Tagesstruktur.]
Im „Haus Am Konradsberg“, einem der Wohnhäuser des HBW, leben 36 meist ältere Menschen mit einer kognitiven und teilweise komplexen Behinderung zusammen. Sie müssen nun rund um die Uhr im und am Haus betreut werden. Viele Bewohner gehören aufgrund ihres Alters und/oder Vorerkrankungen zu den Risikogruppen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, bleiben die fünf Wohngruppen samt der jeweiligen Mitarbeiter unter sich, Garten und Gemeinschaftsräume werden nur gruppenweise genutzt. „Das musste sorgfältig geplant werden. In den letzten Wochen haben wir fast täglich neue Dienstpläne geschrieben. Nicht zu wissen, wie man in der kommenden Woche arbeiten muss, ist auch für die Mitarbeiter nicht einfach. Schließlich haben alle auch private Verpflichtungen“, so Petra Kaufmann, Leiterin des Hauses.
Unterstützung bekommt ihr Team seit der Werkstatt-Schließung von Mitarbeitern der BWO. Gemeinsam stellt das Team regelmäßige und ansprechende Angebote auf die Beine, um den Bewohnern diese anstrengende Zeit so angenehm wie möglich zu machen: Sie unternehmen Spaziergänge, binden sie in die Hausarbeit ein und ermöglichen Videoanrufe via Skype mit der Familie. „Ein harmonisches Zusammenleben braucht eine zuverlässige Tagesstruktur und Rituale ebenso wie eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung und den freundlichen Umgang miteinander. Um das zu erreichen, packen alle mit an“, lobt Petra Kaufmann das Team aus HBW- und BWO-Mitarbeitern, das sich auch erst mal aufeinander einstellen musste. Doch in der Krise arbeiten alle Hand in Hand: „Zwei Mitarbeiterinnen nähen sogar zu Hause Atemschutzmasken“, beschreibt Petra Kaufmann, dass alle mit anpacken, um für die gute Betreuung der Menschen zu sorgen.
[Keine Besuche, keine Arbeit in der BWO: Da bleibt viel Zeit für Gartenarbeit, Aufräumen und Putzen.]
Auch Andreas Lamsfuß, Gesamtleiter des HBW, ist stolz auf die Kollegen des HBW und der BWO. „Sie leisten in einer Situation, die uns alle massiv fordert, Außergewöhnliches“, sagt er. Doch gibt er zu bedenken, dass sie dies nicht nur während der Corona-Pandemie tun: „Die engagierte Begleitung und Pflege unserer Bewohner ist unser Auftrag und unser Alltag. Das war vor der Krise so und so wird es nach der Krise sein. Die gesellschaftliche Anerkennung, die Pfleger und Betreuer von älteren oder behinderten Menschen zusteht, bleibt im Alltag aber leider oft aus.“ Nun, in der Krise, stünden sie im Zentrum der Aufmerksamkeit und man zolle ihnen Wertschätzung. Er hofft, dass Aufmerksamkeit und Anerkennung für diese Berufsgruppen die Krise überdauern.
KOMMENTARE
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Ein Lob an alle, die in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen und in Altenheimen arbeiten. Mit viel Kreativität gestalten sie den Alltag und machen so manche Extraschicht.
Hauk, 18.04.2020, 15:20 UhrLinks zu fremden Internetseiten werden nicht veröffentlicht. Die Verantwortung für die eingestellten Inhalte sowie mögliche Konsequenzen tragen die User bzw. deren gesetzliche Vertreter selbst. OA kann nicht für den Inhalt der jeweiligen Beiträge verantwortlich gemacht werden. Wir behalten uns vor, Beiträge zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen.
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