LOKALMIX

Das neue Leben nach der Katastrophe

bv; 19.10.2020, 16:03 Uhr
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Foto: Bernd Vorländer --- Trotz ihres schweren Sturzes bedeutet das Mountainbiken Tanja Platz immer noch sehr viel.
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Das neue Leben nach der Katastrophe

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bv; 19.10.2020, 16:03 Uhr
Nümbrecht - Mountain-Bikerin Tanja Platz ist nach einem Sturz querschnittsgelähmt, muss mit etlichen Rückschlägen fertigwerden, hat aber ihren unerschütterlichen Optimismus nicht verloren.

Von Bernd Vorländer

 

Den 24. Juni 2017 wird Tanja Platz niemals vergessen. Es ist der Tag, der ihr Leben so nachdrücklich verändern sollte. Nachher war plötzlich alles anders. Doch der Reihe nach. Schon mit sieben Jahren erbte Tanja die Leidenschaft ihrer Eltern für das Mountain-Biken. Nie hatte sie Angst, stürmte wie die Großen den Berg hinunter. "Mein Vater musste mich da meist noch zurückhalten." Mit den Jahren nahm Tanja an Wettbewerben teil und im Sommer 2017 stand sie in ihrer Klasse im NRW-Cup auf Platz 1. Gerade von einer Klassenfahrt zurückgekehrt, startet die fast 15-Jährige dann in der Nähe von Altenkirchen. Begleitet von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater fällt ihr schon bei der Streckenbesichtigung eine prekäre Stelle auf. "An die konnte ich mich nicht gewöhnen", erinnert sich die Mountainbikerin.

 

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Dann kam das Rennen - und an eben jener Stelle hatte Tanja einen Aussetzer, eine Art Sekundenschlaf. "Ich hab das Unheil erst realisiert, als es zu spät war, sagt sie zurückblickend. Sie fliegt im hohen Bogen über eine Bodenwelle, schlägt trotz Helm hart mit dem Hinterkopf auf . Als die Sanitäter kommen, sagt Tanja, dass sie ihre Beine nicht mehr richtig spürt. "Ich wusste, dass da was kaputt war, aber habe mir zunächst keine großen Gedanken gemacht." Im Krankenhaus kommt dann die bittere Gewissheit: Tanja ist vom 4. und 5. Brustwirbel abwärts querschnittsgelähmt.

 

Wie geht man mit dieser Diagnose um, wie lebt man weiter als junger, sportlicher Mensch? Wie bewältigt man den Alltag? Drei Jahre später erlebt man eine junge, selbstbewusste Frau, die den Gesprächspartner mit einem Bekenntnis zunächst ziemlich verblüfft. "Natürlich hasse ich es, im Rollstuhl zu sitzen, aber ich bin froh, dass dieser Tag im Juni geschehen ist. Ich habe danach so unendlich viel über mich und das Leben gelernt, und ich bin viel reifer geworden", sagt Tanja Platz. Seitdem wertschätzt sie das Leben ganz anders, freut sich über Kleinigkeiten oder auch darüber, wenn sie wieder einmal einen Bordstein bezwingt. Natürlich bleibt die Hoffnung, dass die Medizin derart Fortschritte macht, um Verletzungen des Rückenmarks zu heilen. "Ich würde gerne irgendwann mal am Arm meines Vaters zum Altar gehen und nicht rollen", sagt die 18-Jährige und lächelt.

 

Derzeit ist Tanja dabei, ihr Wirtschafts-Abitur abzulegen, spricht mehrere Sprachen und natürlich ist sie ehrgeizig - und direkt. Es regt sie auf, dass sie sehr oft liest und hört, wie behindertenfreundlich diese Gesellschaft ist. "Das stimmt ja auch, aber leider nur zum Teil." Die dummen Sprüche, die sie schon erfahren musste, wischt sie zur Seite. Was sie nervt, ist der Kampf mit Krankenkasse und Behörden. Ein neuer Rollstuhl? Abgelehnt. Ein Handbike, um Sport zu treiben? Abgelehnt. Eine behindertengerechte Wohnung? Schwierig. Aufzüge gibt es nicht überall, und das ebenerdige Angebot ist begrenzt.

 

Und schließlich die Jobsuche. Gerne würde Tanja Platz eine Ausbildung als Industrie, Groß- oder Einzelhandelskauffrau machen. Aber auch hier sind Barrieren aufgebaut. Etliche Bewerbungen hat sie schon geschrieben, aber meistens scheitert eine Anstellung, weil es etwa keine behindertengerechte Toilette gibt. Aber die 18-Jährige ist alles andere als mutlos. "Ich habe in den vergangenen drei Jahren vor allem das Kämpfen gelernt." Ihr Leben sei ja nicht zu Ende, nur weil sie eine Behinderung habe, fügt sie hinzu. Also geht die Suche weiter.

 

Und wie ist ihr Bezug zum Mountainbiken? Hasst Tanja jetzt den Sport, der ihr ein Leben im Rollstuhl beschert hat? Ganz im Gegenteil. Nach wie vor fährt sie zu Veranstaltungen und fiebert an der Strecke mit. Ganz besonders stolz ist sie auf ein Trikot der Welt-Spitzenfahrerin Tahnee Seagrave, das sie vor kurzem geschenkt bekam. Und was kommt jetzt? Ihr Optimismus ist grenzenlos und die Kraft, aus der Tanja Platz schöpft. Es müsse ja weitergehen und es gebe noch viel zu erleben, sagt sie und fügt hinzu: "Der liebe Gott schmeißt uns nur die Steine in den Weg, mit denen wir ein neues Haus bauen können."

KOMMENTARE

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Hey Tanja, wir kennen uns zwar nicht..aber du bist eine tolle Persönlichkeit! Einige Menschen sollten von dir eine Scheibe abschneiden. Weiter so optimistisch sein.

Liverpool Handball , 19.10.2020, 22:29 Uhr
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