LOKALMIX

Dunkelstes Kapitel Gummersbachs ausleuchten

lw; 03.03.2020, 17:31 Uhr
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Foto: Lars Weber --- Stadtarchivar Manfred Huppertz, Lehrerin Jessica Leifgen und Bürgermeister Frank Helmenstein.
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Dunkelstes Kapitel Gummersbachs ausleuchten

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lw; 03.03.2020, 17:31 Uhr
Gummersbach – Dokumentation zur Judenverfolgung in der Kreisstadt während der Zeit des Nationalsozialismus wurde fortgeschrieben und ergänzt – Initiative kam von Schülern des Lindengymnasiums - Erste Stolpersteinverlegung.

Von Lars Weber

 

1995 wurde die „Dokumentation zur Judenverfolgung in Gummersbach während der Zeit des Nationalsozialismus“ erstmals publiziert. Autoren damals waren Werner Knabe, Heinrich Mecke, Gerhard Pomykaj und Jürgen Woelke. Ein Vierteljahrhundert später erscheint nun eine überarbeitete Auflage des Dokuments. Dafür hat Stadtarchivar Manfred Huppertz viel recherchiert. Stadtarchive in ganz Deutschland, aber auch in Polen, bekamen Anfragen von ihm, um die Berichte der Dokumentation mit Fakten ergänzen oder Unklarheiten beseitigen zu können. Eine entscheidende Rolle hat dabei das Lindengymnasium gespielt.

 

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Denn den Anstoß für dieses Projekt und auch für die allererste Stolpersteinverlegung in Gummersbach kam vom neunten Jahrgang des städtischen Gymnasiums. „Wir beschäftigen uns bereits seit mehr als zwei Jahren mit dem Thema“, erzählt Jessica Leifgen, Lehrerin für Deutsch und Geschichte. Nach einer antisemitischen Beleidigung auf dem Schulhof wurde „Damals war es Friedrich“ von Hans Peter Richter im Unterricht behandelt. Die Schüler vertieften sich immer mehr in die Thematik der Judenverfolgung. „Sie haben sich gefragt, welche Einzelschicksale hinter den Millionen von Opfern liegen“, sagt Leifgen. Daraus erwuchs das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden.

 

[Foto: Privatbesitz der Familie Simons --- Die Familie Simons (v.li.): Das Ärzteehepaar Alfred und Sophie mit ihrem Sohn Klaus Simons auf einem Foto um 1938. Sie flüchteten nach Australien.]

 

Leifgen kontaktierte Bürgermeister Frank Helmenstein und Stadtarchivar Jürgen Huppertz – mit ihrem Anliegen stieß sie auf offene Ohren. Das dunkelste Kapitel der Geschichte Gummersbachs sollte nicht ausgeblendet, sondern ausgeleuchtet werden, sagt der Bürgermeister. Gerade vor dem Hintergrund des Anschlags in Halle und weiteren Taten habe das Thema höchste Aktualität. „Wichtig ist, dass das Projekt kein bloßes Erinnerungsritual ist.“ Herausgekommen sei nun ein ebenso beeindruckendes wie bedrückendes Dokument, so Helmenstein weiter.

 

[Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln --- Die Geburtsurkunde von Alfred Simons.]

 

Nach der Anfrage der Schule habe er sich ausgiebig mit der Dokumentation von 1995 beschäftigt, sagt Huppertz. Da die Berichte hauptsächlich auf Zeitzeugen fußten, seien ihm einige Ungenauigkeiten und Lücken aufgefallen. „Heute sind ganz andere Recherchemöglichkeiten vorhanden als noch vor 25 Jahren.“ Sein Interesse war geweckt. Also nahm er Kontakt auf. Mit dem NS-Dokumentationszentrum in Köln, aber auch mit vielen anderen Einrichtungen und Stadtarchiven in Deutschland oder auch Polen, wo ihn Dokumente hinführten. „Ziel war es, die vorliegenden Berichte mit Quellen wie Heirats- oder Sterbeurkunden zu belegen.“ Parallel dazu besuchte er auch die fünf Klassen am Lindengymnasium, die so mitforschen konnten und ihre Heimatstadt auf eine andere Weise kennenlernten.

 

Dank der aktualisierten Dokumentation können Interessierte nun das Schicksal der Familien Löwenstein, Heinrich oder Stiletto nachverfolgen. Es finden sich dort Zeitzeugenberichte ebenso wie die Schilderungen des jüdischen Lebens in Gummersbach vor 1933. Sehr zentral ist auch die Geschichte der Familie Simons um das Ärzteehepaar Dr. Alfred und Sophie Simons. Nach ihnen wurde 1995 der alte Marktplatz in der Gummersbacher Altstadt umbenannt. „Bei der Familie Simons stießen wir im Laufe der Recherchen auf ein noch unbekanntes Familienmitglied, Walter Simons“, führt Huppertz aus. Er taucht damit erstmalig in dieser Dokumentation auf. Mit der jetzigen Veröffentlichung sei die Arbeit an der Aufarbeitung auch noch nicht abgeschlossen, betont Huppertz. „Das ist kein statisches Dokument.“ Einige Anfragen stehen noch aus. Sobald neue Informationen vorliegen, möchte er die Arbeit fortschreiben.

 

[Foto: Privatbesitz Familie Hanisch --- Die Familie Simons bewohnte das Haus in der Seßmarstraße 5, bis sie aus Deutschland floh. Vor dem Haus wird der Stolperstein für die Familie verlegt.]

 

Zur Erinnerung an das Schicksal der im Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Familie Simons wird am Dienstag, 17. März, ab 16 Uhr in der Seßmarstraße 5 die erste Stolpersteinverlegung in Gummersbach stattfinden. Die Neuntklässler, die das Projekt auch angestoßen haben, werden das Programm gestalten. Zudem ist ein Vortrag von dem Initiator der Stolpersteine, Gunter Demnig, ab 17:30 Uhr im Lindenforum geplant.

 

Die überarbeitete Dokumentation stellt die Stadt Gummersbach unter diesem Link zum Download bereit.

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