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„Impfen ist auch eine Frage der Solidarität“

lw; 19.02.2021, 10:58 Uhr
Foto: DoroT Schenk auf Pixabay
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„Impfen ist auch eine Frage der Solidarität“

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lw; 19.02.2021, 10:58 Uhr
Oberberg – Dr. Johannes Schlechtingen, Ärztlicher Leiter des Impfzentrums in Gummersbach, über den AstraZeneca-Impfstoff, Nebenwirkungen und Erkenntnisse - Hausärzteverband nimmt Stellung (AKTUALISIERT).

Von Lars Weber

 

Minderwertig, eine geringe Wirksamkeit, schlimme Nebenwirkungen: Die Diskussion um den AstraZeneca-Impfstoff hat seit dem Wochenende ordentlich an Fahrt aufgenommen. Und direkte Folgen gehabt. Wie berichtet kam es auch im Gummersbacher Impfzentrum zu „massenhaft“ Absagen der ausgemachten Termine, wie Felix Ammann, stellvertretender Leiter des Impfzentrums, gestern im Kreisgesundheitsausschuss sagte (OA berichtete). Im Detail bedeutet „massenhaft“, dass laut Kreis momentan „deutlich weniger“ als 50 Prozent der möglichen 200 Dosen pro Tag verimpft werden. Dies bestätigt auch der Ärztliche Leiter des Impfzentrums Dr. Johannes Schlechtingen. Vor allem Personal von ambulanten Pflegediensten machten einen Rückzieher. Die Debatte wird längst sehr emotional geführt. OA sprach mit Dr. Schlechtingen über die Kritikpunkte.   

 

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Mit welchen Nebenwirkungen muss gerechnet werden?

 

Sehr häufig sei ein Schmerz an der Einstichstelle. Weniger häufig, aber ungleich heftiger sind mögliches Fieber oder auch Gliederschmerzen. „Da kann es vorkommen, dass man einen Tag nicht arbeiten kann“, so Dr. Schlechtingen. Statistisch gesehen treten diese Nebenwirkung bei bis zu zehn Prozent der Menschen in der Altersgruppe zwischen 18 und 64 Jahren auf. Es gebe auch Zahlen, die höher liegen. So konnte es vorkommen, dass aufgrund der Impfungen mit einem Schlag bis zu 30 Prozent des Personals eines Betriebs ausfielen, weil alle auf einmal die Spritze bekommen haben. Davon rät auch Dr. Schlechtingen ab. Um einen Ausfall von Personal in medizinischen Bereichen durch auftretende Nebenwirkungen handhabbar zu machen, werden für Beschäftigte des gleichen Arbeitgebers auch Impftermine an unterschiedlichen Tagen angeboten, so der Kreis dazu.

 

Muss man sich Sorgen machen?

 

Ein klares Nein vom Spezialisten. „Die Nebenwirkungen sind eine absolut erwünschte Impfreaktion“, so Dr. Schlechtingen (Archivfoto). „Diese zeigen: Die Geimpften haben ein gutes Immunsystem.“ Heftiger fielen die Reaktionen aus, weil das Immunsystem der Jüngeren schlicht besser in Schuss ist als bei älteren Menschen. Und auch wenn die Nebenwirkungen heftig erscheinen mögen, schwere Nebenwirkungen seien dies nicht, weil sie zu erwarten waren. Übrigens sehen laut Dr. Schlechtingen die Nebenwirkungen bei jüngeren Menschen bei einer Impfung mit dem Biontech-Wirkstoff ebenso aus wie bei einer Impfung mit AstraZeneca. Sie treten aber eher bei der Zweitimpfung auf.

 

Was kann über die Wirksamkeit der Impfstoffe gesagt werden?

 

Die Entwicklungen von Biontech oder auch Moderna besitzen eine Wirksamkeit von bis 95 Prozent, jene von AstraZeneca „nur“ bis zu 70 Prozent. Allerdings gibt es zum letzteren Wirkstoff auch eine neue Studie, die nach der zweiten Impfung von bis zu 82 Prozent Wirksamkeit ausgeht. Aber was steckt überhaupt hinter diesen Werten? Dr. Schlechtingen versucht das zu vereinfachen: Bei den Untersuchungen zu den Impfstoffen wurden Zehntausende Menschen in zwei vergleichbare Gruppen geteilt. Eine bekam den Impfstoff, eine ein Placebo. Dann wurde geschaut, wie viele Menschen positiv auf Covid19 getestet wurden und mindestens ein Symptom wie Kratzen im Hals, Schnupfen oder Durchfall aufwiesen.

 

Das Ergebnis: Bei allen zugelassen Impfstoffen waren die Menschen in den Impfstoffgruppen weit weniger von Covid19 betroffen, alle sind also wirksam. Bei Biontech beispielsweise ergaben die Studien, dass 95 Prozent der Impflinge keine Symptome bekommen und keinen positiven Test aufweisen sollten. Für den Wirkstoff Astrazeneca hieße das laut Dr. Schlechtingen, dass einige Menschen durchaus Symptome bekommen könnten. Allerdings sei ein Kratzen im Hals oder Schnupfen eben kaum relevant. Relevant sei stattdessen etwas anderes: „Alle Impfstoffe schützen vor einem schweren Verlauf der Krankheit und auch vor dem Tod.“

 

Warum sollte man sich auch den AstraZeneca-Impfstoff spritzen lassen?

 

Laut einer neuen Studie sei der AstraZeneca-Impfstoff der erste, bei dem nachgewiesen wurde, dass man nach der zweiten Impfung auch tatsächlich nicht mehr ansteckend ist, sagt Dr. Schlechtingen. Das ist aber nicht der einzige Grund, der für den Wirkstoff spreche. „Wie gesagt: Er schützt die Menschen und ist sicher.“ Dabei redet der Mediziner nicht nur von den Impflingen selbst. „Wer sich impft, egal mit welchem Impfstoff, schützt die älteren Menschen in der Gesellschaft.“ Während es laut RKI fast keine Todesfälle bei Menschen bis 35 Jahren in Deutschland gebe und bei Menschen bis 60 auf 100.000 Einwohner nur wenige, sei die Sterblichkeit bei Menschen über 80 bis zu 250 Mal höher als bei Menschen, die jünger sind als 60. „Impfen ist also auch eine Frage der Solidarität.“

 

Was passiert mit den AstraZeneca-Dosen, die gerade nicht abgerufen werden?

 

Diese verkommen nicht. Sie besitzen eine Haltbarkeit von vier Monaten. Die Kreisverwaltung spricht auf Nachfrage von einem dynamischen Geschehen bei den Impfterminen. Mit anderen Worten: „In der nächsten Woche können die wegfallenden Termine schon deutlich durch andere priorisierte Berufsgruppen kompensiert werden.“ Der Oberbergische Kreis und die Kassenärztliche Vereinigung Kreisstelle Oberberg bitten alle Impflinge, die bereits einen Termin für die Impfung vereinbart haben, diesen wahrzunehmen oder bei Verhinderung frühzeitig auf dem Weg abzusagen, auf dem der Termin vereinbart wurde.

 

Hausärzteverband: Jetzt auf Impfungen in Praxen vorbereiten

 

Auch der Hausärzteverband Oberberg macht sich für den Wirkstoff von AstraZeneca stark. „Im Vergleich zum BionTec/Pfizer-Impfstoff wurden in den Zulassungsstudien unterschiedliche Endpunkte zur Beurteilung der Wirksamkeit beim Impfstoff von AstraZeneca verwendet, sodass eine scheinbare geringere Wirksamkeit sich darstellt, während aber schwere und tödliche Verläufe verhindert werden wie bei allen zugelassenen Impfstoffen“, heißt es unter anderem in einer Mitteilung.

 

Außerdem sei nun es wichtig, die entscheidende Phase in der Pandemiebekämpfung mit den Impfungen in den Praxen organisatorisch vorzubereiten. Zum Beispiel gehe es um die Frage, wie den Anspruchsberechtigten auf Impfung nach Impfverordnung die Berechtigung zur Impfung übermittelt wird. Im Oberbergischen Kreis könnten Hausarztpraxen nach eigenen Ermittlungen bis zu 16.000 Impfungen pro Woche gegen schwere und bedrohliche Covid-19-Verläufe durchführen, ist Dr. Ralph Krolweski, Vorsitzender des oberbergischen Hausärzteverbands, überzeugt. Impfungen seien momentan die einzige Chance, die Pandemie zu bekämpfen – und zwar weltweit.

KOMMENTARE

1

An die Terminvergabe des Oberbergischen Kreises , meine Familie ist aufgrund der Corona Beschränkungen zeitlich flexibel. Sie können sich gerne kurzfristig bei uns melden. Wir nehmen die Termine samt Impfstoff und möglicher Nebenwirkung gerne. Da wir in der Impfnahrungskette gaaaanz am Ende stehen, freuen wir uns über einen früheren Termin.
Deutschland - Luxusproblemland, daran wird sich wohl nie etwas ändern. Echt traurig, dass es Leute gibt die ein Impfangebot ablehnen.

DC, 18.02.2021, 17:20 Uhr
2

Es war von Anfang an bei einigen Pflegediensten ein Unverständnis das wir als Pflegepersonal mit einem Impfstoff geimpft werden sollen, der nur eine 70% Wirkung hat. Die Impfbereitschaft war bei uns sehr hoch, allerdings war sie auf Null als bekannt wurde das wir mit AstraZeneca geimpft werden sollen. Sicher auch aus Enttäuschung das wir nicht mit dem sicheren Impfstoff geimpft werden sollen, bei mir war es auch so. Wenn dann noch solche Nachrichten über Nebenwirkungen kommen, ist keiner mehr zu überzeugen. In einigen Pflegediensten ist die Personaldecke sicher auch nicht so groß das es aufgefangen werden kann wenn einer nach dem anderen für 2-3 Tage Krank ist. Um dieses Risiko auszuschalten dürfte dann nur einer in der Woche geimpft werden. Was sich dann über Wochen hinziehen würde.

Uwe Zwick, 18.02.2021, 19:25 Uhr
3

Es ist schon putzig. Erst wird rumgenörgelt, dass der RMNA-Impfstoff von Biontec nicht ausreichend erprobt sei und man sich daher nicht damit impfen lassen wolle. Nun gibt es einen Impfstoff, der auf der bewährten Vektor-Technik basiert und der soll es nun auch nicht sein?

Mir soll es recht sein. Die Pflegeheim-Bewohner sind so gut wie durchgeimpft. Soll also jeder sich so entscheiden, wie er will. Nur, liebe Spät-Skeptiker, blockiert im Nachhinein bitte keine bereits an Euch vergenen Impftermine, sondern sagt diese rechtzeitig wieder ab! Es gibt genug Impfwillige, die sich über jeden Tag freuen, den sie durch Euren Rückzieher früher an der Reihe sind!

Andreas Kinas, 19.02.2021, 10:26 Uhr
4

An Uwe Zwick: Es ist ziemlich traurig, dass ausgerechnet Pflegepersonal nicht versteht, dass auch eine 70% Wirksamkeit einen mehr als ausreichenden Schutz bietet. Der Impfstoff von AstraZeneca ist wirksam und sicher. Alle Pflegekräfte, die eine Impfung mit dem Wirkstoff von AstraZeneca ablehnen, haben aus meiner Sicht klar ihren Beruf verfehlt. Ich wäre auch dafür, dass die Rosinenpicker sich ganz ans Ende der Schlage anstellen sollten, sorgen sie mit ihren Absage doch für Verzögerungen im Ablauf.

Andre, 19.02.2021, 17:08 Uhr
5

An Andreas Kinas: Das Problem bei den Pflegeheimbewohnern ist leider, dass eben nicht jeder Bewohner geimpft werden kann, bzw. nicht bei jedem Bewohner die Impfung auch wirkt. Es gibt z.B. Bewohner mit geschwächten Immunsystem. Dies vergessen leider viele. Umso wichtiger ist es, dass das Pflegepersonal vollständig geimpft ist. Darum habe ich kein Verständnis für diese Absagen.

Andre, 19.02.2021, 22:41 Uhr
6

Ich bin Andres Meinung. Eine Grippeschutzimpfung hat wieviel Prozent und wird anerkannt...? Wer sich nicht impfen lassen möchte, soll das doch einfach nicht tun, ist doch völlig ok. Aber viele Mensche warten sehnsüchtig und möchten geimpft werden und können eine unnötige Verzögerung durch nachträgliche Absagen daher nicht nachvollziehen. Man sollte in der Berichterstattung auch mal genauer zwischen tatsächlichen Nebenwirkungen und Anzeichen der körpereigenen Abwehr differenzieren, die eine natürliche Reaktion auf jede bekannte Impfung sein kann und eben zeigt, dass sie im Körper arbeitet. Vor dem Meckern bitte etwas gründlicher informieren und nicht durch so viele irreführenden Panikmachern oder unwissenden Gemotze im Netz anstecken oder irritieren lassen. Sowas finde ich schlimm.

Maiki, 20.02.2021, 08:34 Uhr
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