LOKALMIX

Impfungen: Es hakt beim Umschalten in den nächsten Gang

lw; 10.06.2021, 17:00 Uhr
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Symbolfoto: OBK.
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Impfungen: Es hakt beim Umschalten in den nächsten Gang

lw; 10.06.2021, 17:00 Uhr
Oberberg – Hausärzte sind wenig begeistert von der Aufhebung der Impfpriorisierung zu diesem Zeitpunkt – Kaum Impfstoff vorhanden – Oberarzt rät Eltern, geduldig zu sein.

Von Lars Weber

 

Die Aufhebung der Impfpriorisierung und die Möglichkeit, auch Kinder ab zwölf Jahren zu impfen – diese Woche sollte bei der Impfkampagne in Deutschland in den nächsten Gang geschaltet werden. Gerade hakt es bei der Schaltung allerdings noch. Mal wieder ist Impfstoff, egal welchen Herstellers, Mangelware. Im Impfzentrum werden momentan überhaupt keine Erstimpfungen mehr durchgeführt. Zudem gibt die Ständige Impfkommission (Stiko) keine generelle Empfehlung für das Impfen von Kindern ab zwölf Jahren. OA hat sich bei Ärzten umgehört.

 

Claus-Peter Bockhacker ist kein Freund der Aufhebung der Priorisierung zu diesem Zeitpunkt. „Bei einem Mangel an Impfstoff ist dieses Vorgehen einfach nicht sinnvoll“, sagt der Allgemeinmediziner mit einer Praxis in Wiedenest. Erst recht nach der Ankündigung, dass bis auf Weiteres keine Termine für Erstimpfungen im Impfzentrum buchbar sind, steigen die Anfragen bei den Hausärzten extrem. „Ebenso die Unsicherheit bei den Menschen, die sich fragen: Woher bekomme ich denn meine Spritze nun?“ Das wiederum erhöhe den Druck auf die Hausärzte, die in die Situation kommen, Menschen zurückweisen zu müssen. „Das ist sehr schwierig“, sagt Bockhacker.

 

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Inzwischen laufen die Anfragen bei ihm über E-Mail. Dazu hat er die rund 3.500 Patienten in seiner Datenbank priorisiert und ruft diese an. Die Krux: Sie wissen nicht, wer bereits alles geimpft ist oder es gar nicht will. „Pro Impfung brauchen wir sieben Anrufe“, sagt er. Einen besonderen Fokus legt der Mediziner auf Studenten und junge Erwachsene. „Wenn etwas übrigbleibt, rufe ich diese Patienten an.“ Diese Gruppe sei bisher immer vergessen worden, obwohl sie viele Kontakte haben und prozentual den größten Anteil an den Infektionen haben.

 

Viel übrig bleibt aber gerade nicht. Diese Woche gibt es in seiner Praxis 18 Erstimpfungen und damit zum ersten Mal seit einem Monat wieder mehr als zehn. Teils gab es nicht eine Erstimpfung in der Woche. Dabei wäre es Bockhacker möglich, 350 Impfungen wöchentlich zu verteilen. Stattdessen müssen sich die Hausärzte die Impfdosen nun auch mit Betriebsärzten teilen. „Dabei priorisieren die Betriebe natürlich vor allem nach Wichtigkeit des Arbeitgebers, nicht zum Beispiel nach Anzahl der Kontakte.“ Für Menschen in Bergneustadt sei es aufgrund der Hausarztnot dazu besonders schwer, vor Ort an einen Impftermin zu kommen, zumal zwei der niedergelassenen Ärzte auch keine Impfungen vornehmen.

 

Eine Möglichkeit, nun an Impftermine zu kommen, zeigt Markus Althoff, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit einer Praxis in Gummersbach, auf. Er war von Anfang an beim Impfen mit dabei, erst im Impfzentrum, dann auch in seiner eigenen Praxis. „Ich bin ganz dankbar, dass kaum jemand anfangs die Facharztpraxen auf dem Schirm hatte, so konnte ich in Ruhe meine Patienten nach Priorität impfen.“ Nach und nach seien die Anfragen von Menschen, die nicht zu seinen Patienten gehören, durch Mundpropaganda mehr geworden, sodass Althoff und sein Team der Nachfrage anders begegnen mussten. „Erst sind wir auf Mailanfragen umgestiegen, aber auch das wurde zu viel.“

 

"Nicht verleiten lassen"

Dr. Ralph Krolewski, Vorsitzender des Hausärzteverbands Oberberg, warnt angesichts weiterer Lockerungen und niedrigeren Infektionszahlen davor, das Impfen nun zu vernachlässigen. „Wir müssen 30 Leute anrufen, um drei fürs Impfen einbestellen zu können.“ Und das liege nicht nur daran, dass die Menschen bereits woanders Glück gehabt oder falsche Daten angegeben hätten oder sie um den Impfstoff verhandeln möchten – sondern Krolewski merkt eine Abnahme der Impfbereitschaft. „Wenn nicht weiter geimpft wird, wird eine vierte Welle uns einholen. Um dagegen zu wirken, benötige es klare Kommunikation und Zuverlässigkeit seitens der Regierung, aber auch mehr Zuverlässigkeit bei der Bevölkerung. „Wir sollten uns von den Lockerungen jetzt nicht verleiten lassen.“

 

Jetzt verweist Althoff fast ausschließlich auf das Portal Impfpool.de. „Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht.“ Dort können sich sowohl impfende Ärzte als auch Impfinteressenten registrieren. Die Ärzte melden sich dann bei den Registrierten, wenn sie ihre gelieferten Impfstoffdosen verteilen. Aufgrund des größeren Aufklärungsbedarfs stellt Althoff vor allem Astrazeneca und Johnson & Johnson online. Ins Leben gerufen wurde der Impfpool ursprünglich vom Verband der Urologen aus Westfalen-Lippe, registrieren dürfen sich aber alle interessierten Ärzte. Auf der Seite wird auch der aktuelle Bedarf angezeigt. So suchten beispielsweise in Gummersbach am Montag mehr als 1.000 Menschen über den Impfpool nach einem Termin.

 

Neu dabei bei den möglichen Impflingen sind Kinder ab zwölf Jahren, für die bei den Kinderarztpraxen auch bereits Anfragen vorliegen. Der Impfstoff von Biontech hat die Zulassung bekommen, die Stiko ihre Empfehlung heute offiziell abgegeben. Demnach gibt es keine generelle Impfempfehlung für Kinder, sondern nur für jene Kinder und Jugendliche, die Vorerkrankungen haben (zum Beispiel Herzkranke, Trisomie 21 oder auch Diabetes), deren nahe Angehörige nicht geimpft werden können, oder bei denen der Wunsch nach einer Impfung sehr groß ist, wenn zum Beispiel große Angst vor Covid besteht.

 

Dr. Guido Weißhaar, Oberarzt an der Kinderklinik am Klinikum Oberberg, kennt solche Fälle aus der Praxis. Die Empfehlung der Stiko kann er im Rahmen der verfügbaren Datenlage sehr gut nachvollziehen. Noch etwas unklar in der Risikobewertung bei an Covid19 erkrankten Kindern sei beispielsweise Long Covid, da die Daten dazu noch keine Wertung zulassen. „Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie sammelt dazu gerade Informationen.“ Je nach Ergebnis könnte sich dann auch die Empfehlung der Stiko verändern.

 

„Wer sein Kind impfen lassen möchte, kann dies ruhigen Gewissens machen“, sagt Weißhaar. Vorher sollte die Impfung aber individuell mit Eltern und Kind besprochen werden. Dazu gehöre auch darauf hinzuweisen, dass Langzeitfolgen noch nicht ausgeschlossen werden können. Jenen Eltern, bei denen die Kinder nicht unter die Empfehlung der Stiko fallen, rät der Mediziner aber zum Abwarten, vor allem aufgrund der derzeitigen Impfstofflage. „Man sollte sich lieber in Ruhe beraten lassen, wenn ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht.“ Jetzt die Kinderarztpraxen zu stürmen, davon hält er nichts. Ob Impfungen auch im Kreiskrankenhaus möglich sein werden, werde momentan geprüft.

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