LOKALMIX
Lehrersituation: „Belastungsgrenze ist mehr als erreicht“
Oberberg – Philologenverband Nordrhein-Westfalen und GEW Oberberg über Schule in Zeiten von Corona, Forderungen an die Politik, das Lüften in Klassenräumen und die Digitalisierung.
Von Lars Weber
Kein Tag vergeht gerade ohne weitere positiv auf Corona getestete Schüler oder Lehrer. Für die Schulen hat das jeweils enorme Auswirkungen. Hunderte Schüler in Quarantäne, Lehrer fallen aus oder sind nur von Zuhause einsetzbar, Unterricht muss umstrukturiert werden oder ganz ausfallen, den Stundenplanern und Schulleitungen qualmen unentwegt die Köpfe, weil sie sich schon wieder auf eine neue Situation einstellen müssen. Dabei hatte man doch gerade erst die vorherige Allgemeinverfügung des Kreises verarbeitet. OA sprach mit Sabine Mistler, Vorsitzende des Philologen-Verbands Nordrhein-Westfalen und aus dem Oberbergischen, sowie Jürgen Schäffler, Vorsitzender des Kreisverbands Oberberg der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Lehrer an der Gesamtschule Marienheide.
So geht’s den Lehrern gerade
Sabine Mistler wird deutlich, wenn es um die Situation der Lehrer geht. „Die Belastungsgrenzen sind mehr als erreicht, das müssen wir sehr ernst nehmen.“ Dabei sei das Wollen keine Frage. Das Ziel sei auch jetzt noch, jeden Schüler maximal zu fördern. Aber das werde immer mehr zum schmalen Grat zwischen der eigenen Gesundheit, der Verantwortung sich selbst und den Schülern gegenüber. Ähnlich sieht das auch Schäffler: „Die Frage ist: Wie lange kann man gesund bleiben unter diesen Bedingungen“. Das Problem dabei: Mit jedem Lehrer, der ausfällt, zischt und ächzt der Schulbetrieb noch mehr, anständiger Unterricht – in der Schule oder digital – wird schwerer und schwerer. Am Ende sind die Leidtragenden natürlich nicht nur die Lehrer und Schulleitungen, sondern vor allem auch die Schüler.
Das lief falsch
Viele der jetzigen Probleme seien vermeidbar gewesen, sagt Schäffler. Lehrer und Schüler hätten schon längst lernen müssen, mit moderner Technik zu arbeiten. Diese Technik hätte schon seit Jahren an den Schulen sein müssen. Zudem wurde sich nicht rechtzeitig um den Lehrermangel gekümmert. Die GEW fordere auch schon seit Jahren eine Initiative, um die Schulen mit ordentlichen Klimaanlagen auszustatten. Die Forderung blieb aber unbeantwortet. „Die Versäumnisse der vergangenen Jahre werden nun sehr deutlich.“
Das fordern Philologen-Verband und GEW
[Foto: Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen --- Sabine Mistler ist seit 2019 Vorsitzende der Interessenvertretung für Lehrkräfte an Gymnasien, Gesamtschulen und Weiterbildungskollegs.]
Die Gewerkschaft fordert unter anderem den Unterricht in kleineren Gruppen. „Bislang traut sich die Landesregierung noch nicht“, sagt Schäffler. Wenn sich das Infektionsgeschehen aber weiter negativ entwickelt, müsse bald darüber entschieden werden. Mistler sieht die dies etwas differenzierter, sie fordert Flexibilität. Vom Land werde ein Orientierungsrahmen benötigt, auf dessen Grundlage die Schulen handeln können. Letztlich seien die räumlichen, personellen und technischen Gegebenheiten überall anders. „Den Schulen ein System überzustülpen wird nicht allen gerecht.“ Es müsse jede Schule für sich angeschaut werden. Als Beispiel nennt Mistler das „Hybridmodell“, also ein Teil der Klasse sitzt in der Schule, der andere Teil verfolgt den Unterricht vor dem heimischen Rechner. „In manchen Teilen Oberbergs scheitert das schon an der Internetleitung.“ Dies sei auch ein Problem vieler Forderungen, die öffentlich diskutiert würden: „Sie sind nicht immer deckungsgleich mit der Realität.“ Der entzerrte Schulbeginn sei so ein Beispiel. Abgesehen davon, dass im Oberbergischen die OVAG die personellen und materiellen Ressourcen dafür haben müsste, hätte ein solches Modell auch enorme Auswirkungen auf die Arbeitszeit der Lehrer.
Über den Infektionsschutz an Schulen
Die Ausstattung der Lehrer mit FFP2-Masken müsse flächendeckend erfolgen. „Der Prozess kommt nicht so richtig in Gang, dabei wären die Masken auch für Kinder und Familien gut“, meint Schäffler. Nicht nur der Schutz sei höher, sondern sie tragen direkt zu einem besseren Schulbetrieb bei. Denn wenn ein Lehrer eine FFP2-Maske trägt, kommt er bei einem positiven Fall in der Klasse nicht mehr in Quarantäne. „So ein einheitliches Vorgehen der Gesundheitsämter in Quarantänefragen ist sehr wichtig“, sagt Mistler. Beim Lüften werden Schüler und Lehrer irgendwie durch den Winter kommen müssen, sagen beide. „Allerdings sollte man auch die Anschaffung flexibler Anlagen nicht aus den Augen verlieren“, fügt Mistler an. Wie andere Technik auch seien Luftfilter Investitionen in die Zukunft.
Präsenzunterricht bleibt das Ziel
[Foto: privat --- Jürgen Schäffler ist Lehrer an der Gesamtschule Marienheide, dort unterrichtet er Mathe und Physik.]
Mistler und Schäffler sind sich einig, dass der Präsenzunterricht beibehalten werden sollte. „Der Zugriff und die Kommunikation sind einfach ganz anders“, sagt Mistler. Sie hat die Sorge, dass einige Schüler ansonsten auf der Strecke blieben. Schäffler nennt praktische Beispiele. Wenn über sensible Themen wie Gewalt gesprochen werde, könnten auch Betroffene dabei sein, diese müssten Lehrer unterstützen. Oder im Physikunterricht, wenn ein Versuch nur per Video gezeigt werde: „Das Begreifen ist eben auch eine Frage der Hände, nicht nur des Kopfes.“
Ausblick
„Am Schluss wird etwas Positives hängenbleiben“, sagt Schäffler mit Blick auf den neuen Schwung in Sachen Digitalisierung. „Aber es ist ein Armutszeugnis, dass dafür erst Corona kommen musste.“ An viel Veränderungen in den kommenden Wochen und Wintermonaten glaubt er aber nicht. „Ich befürchte, dass es so weitergeht.“ Viel werde vom Personal abhängen. „Es dürfen nicht viele Kollegen krank werden.“ An der Moral werde es aber nicht scheitern. „Die Schulleitungen und die Kollegen, alle bemühen sich sehr.“ Mistler möchte Optimistin sein. „Wir brauchen aber schnell Maßnahmen, die Entlastung bringen.“ Eines müsse abgestellt werden: „Die Schuldzuweisungen: Wir müssen alle offener denken.“ Die Situation ist für alle neu, sagt auch Schäffler.
KOMMENTARE
1
Mir kommen die Tränen. Die Lehrer hätten einfach mal Schneid beweisen können und während bzw. nach dem 1. Lockdown Konzepte erarbeiten können, um schnell auf neue Situationen reagieren zu können.
Ich werde in meinem Job gefordert, mich mit der aktuellen Situation schnell auseinander zu setzen. Dies bedeutet auch Homeoffice, etc.
Von den Lehrern kamen im ersten Lockdown zwar wild zusammengewürfelte Arbeitsblätter als PDF, JPG, etc. Eine Korrektur bzw. didaktische Begleitung sollte ich am Besten zeitgleich im Homeoffice leisten. Das ich tatsächlich arbeiten musste, kam den Lehrern nicht in den Sinn.
Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Wir anderen müssen auch unser Päckchen in dieser Situation tragen. Lehrer sind selten über die Schule / Studium hinausgekommen.
2
Beim 1. Lockdown war das noch zu verzeihen, da es ja für uns alle eine neue Situation ist aber der 2. hat gezeigt, dass die (meisten) Lehrer schlichtweg keine Ambitionen haben auch nur das geringste beizutragen.
Gerade für den Berufsstand ist das an Peinlichkeit nicht zu überbieten, dass sie es nicht schaffen sich abzustimmen, Aufgaben zu kontrollieren und Schülern eine regelmäßige und ordentliche Rückmeldung zu geben !
Jeder Lehrer schickt uns wild ausgewählte Aufgaben mit unterschiedlichen Abgabedaten und kontrolliert wird nichts.
Einer macht es auf Papir, der nächste über MS Teams und der Rest per Mail.
Und die Familie sitzt teilweise bis Mitternacht an den Hausaufgaben und versucht alles rechtzeitig zu erledigen.
Was genau machen die Lehrer 8 Stunden lang am Tag!? BEI VOLLEM GEHALT!
3
Jeder der hier über Lehrer lästert, beweist nur, dass er keine Ahnung hat.
Haltet euch mal an Jesus: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie."
4
Die Konzepte sind da ;werden von der Politik nicht angenommen.
Jule, 21.11.2020, 07:29 Uhr5
Ich bin Lehrer an einer weiterführenden Schule. Unglaublich was ich hier lesen muss. Wir haben ganz viele Konzepte entwickelt, die aber nicht umgesetzt werden können, weil die Landesregierung seit Jahren gepennt hat und die Infrastruktur an den Schulen fehlt. Ich sitze mit 25-30 Schülerinnen und Schülern in einem kleinen Raum. Vor den Ferien saßen sogar alle ohne Maske dort. Dann wird überall davon gesprochen, dass pro 10qm nur eine Person in die Geschäfte darf. Jeden Tag gibt es neue positive Fälle in unseren Klassen. Viele Kolleg*innen gehören zur Risikogruppe oder leben mit Menschen aus der Risikogruppe zusammen und müssen in den kleinen Räumen mit so vielen Menschen 8 Stunden lang sitzen. Nebenbei unterrichten wir online und schicken Aufgaben an Schüler, die in Quarantäne sind.
Lehrer , 21.11.2020, 14:52 Uhr6
Bei allem Respekt "kein Lehrer", ich bezweifle das hier Jesus etwas helfen kann. Wir machen das gerade aus erster Hand mit und brauchen wirklich nicht dieses sinnfreie Gerede von überregliiösen Corona-Leugnern.
An "Lehrer": Natürlich hat die Landesregierung versagt, so wie seit Jahren und bei vielen Themen. Was aber hat das damit zu tun, dass unsere Lehrer effektiv nichts tun. Und das spiegeln mir so viele Menschen mit Kindern wieder. Eine Mail zu beantworten ist ja wohl trotz mieser Landesregierung drin. Sich jetzt als gebeutelte Berufsgruppe darzustellen, während andere es deutlich härter haben und weniger verdienen finde (oder Arbeitslos werden) ich nicht fair. Corona ist eine Naturgewalt, da müssen wir leider alle durch. Nur die Beamten in den Verwaltungen sind mal wieder was Besser !
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