LOKALMIX

Long-Covid mit Anfang 20: Erst Ohnmacht, jetzt Hoffnung

lw; 12.04.2021, 16:40 Uhr
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Fotos: Lars Weber --- Mit viel Training - in Kombination mit begleitenden Therapien - kämpft sich Finn Heren zurück. Von seinem Körper fühlte er sich zuletzt im Stich gelassen. Nun bekommt er langsam das Vertrauen wieder zurück.
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Long-Covid mit Anfang 20: Erst Ohnmacht, jetzt Hoffnung

lw; 12.04.2021, 16:40 Uhr
Reichshof – Finn Haren leidet seit acht Monaten an den Langzeitfolgen einer Coronainfektion – Symptome: Schnelle Erschöpfung, Gliederschmerzen und Gedächtnislücken – Reha in Mediclin-Klinik in Eckenhagen.

Von Lars Weber

 

Finn Haren ist ein fröhlicher junger Mann. Der Chemiestudent aus Wuppertal ist gerade einmal 20 Jahre jung und scheint eigentlich immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, soweit das unter der Maske zu erkennen ist. Doch Haren ist im Moment nicht umsonst in der Mediclin-Klinik in Eckenhagen anzutreffen. Vor rund acht Monaten wurde Haren mit dem Coronavirus infiziert. Als genesen galt er nach wenigen Tagen. Gesund war er aber nicht. Sein Leidensweg sollte sogar erst richtig beginnen. Finn Haren leidet unter dem sogenannten Post-Covid-Syndrom oder auch Long-Covid. Jetzt, nach fast einem Monat Reha, sieht er endlich wieder Licht am Ende des Tunnels, wie er selbst sagt. Ihm ist es wichtig, dass die Menschen erfahren, wie gefährlich Corona sein kann – nicht nur für ältere Menschen.

 

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Der Ausbruch

 

Bei einem Treffen mit Bekannten wird Haren angesteckt. Der Raum war klein und einer der Anwesenden trug unwissentlich das Virus in sich. „Alle, die sich in dem Raum befanden, waren anschließend infiziert“, erzählt Haren. Die ersten Symptome folgen schnell. Erst ein leichtes Kratzen im Hals, dann Husten, Fieber. „Ich habe mich direkt isoliert.“ Mit starken Kopf- und Gliederschmerzen liegt der 20-Jährige erstmal flach. „Ich habe teils bis zu 16 Stunden geschlafen.“ Nach rund sieben Tagen klingen die Symptome ab, nach 14 Tagen endet die Quarantäne.

 

Haren möchte sein Leben in Wuppertal wieder aufnehmen. Doch er bleibt erschöpft, die Gliederschmerzen in den Beinen gehen nicht weg. Der Arbeitsweg in die Uni, dort hat er eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft, setzt ihm körperlich zu. Dort angekommen, kann er sich nicht konzentrieren, an Arbeit ist nicht zu denken. „Ich habe mich nur noch nach Hause geschleppt.“ Er versucht es noch ein paar Mal. Aber es wird nicht besser. Stattdessen bekommt er Schlafstörungen, sein Gedächtnis hat Aussetzer, er vergisst Termine mit Familie, Freunden und Kollegen einfach.

 

Erfahrungen mit Long-Covid

 

Rund 300 Patienten sind seit Beginn der Pandemie in der Mediclin-Klinik in Eckenhagen behandelt worden. Die meisten von ihnen absolvierten dort eine Reha nach einem längeren Krankenhausaufenthalt. Die Zahl der Long-Covid-Patienten schätzt Chefarzt Dr. Matthias Schmalenbach auf etwa 50. Der Anteil dieser Patienten nehme aber zu. Viele von ihnen hätten einen milden Krankheitsverlauf ohne Krankenhausaufenthalt gehabt und sind zwischen 30 und 50 Jahren alt. Dadurch waren typische Folgen nach einer Langzeitbeatmung auszuschließen.

 

Die Ohnmacht

 

Der Hausarzt hilft Haren wenig. Es fehlten die Erfahrungen. Der Mediziner setzt darauf, dass die Erscheinungen wie nach anderen Viruserkrankungen auch bald von selbst verschwinden. „Sitzen sie es aus“, habe er gesagt, erinnert sich der Wuppertaler. Doch bei Haren macht sich mehr und mehr ein Ohnmachtsgefühl breit, er zieht sich zurück, bekommt depressive Verstimmungen. „Als ich merkte, dass ich vom Kopf her in keine gute Richtung unterwegs bin, habe ich mir psychologische Hilfe geholt.“ Das war Mitte Oktober. Eine Krankschreibung jagt die nächste. „Ich bin dankbar, dass die Uni mir bis heute den Rücken freihält.“

 

[Spaziergänge im Kurpark gehören für Finn Haren zum Alltag. Gerade am Anfang der Reha strengen ihn diese Wege noch sehr an.]

 

Ein Umzug zu Freunden bringt ihm zumindest das Verständnis und die Geduld, die er psychisch dringend benötigt und bei seinen diversen Ärztegängen vermisst. Einzig: Körperlich und kognitiv tritt er auf der Stelle. Richtung Weihnachten werden die Gliederschmerzen sogar noch schlimmer. Die Schmerzmittel helfen zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon nicht mehr, sagt Haren. Er hat zwar keine Atemnot, mehr als kleine Spaziergänge sind trotzdem nicht drin. Er lernt, die Ansprüche an sich herunterzuschrauben. „Es war schon ein Erfolg, wenn ich die Spülmaschine ausräumen konnte.“

 

Symptome

 

Das Virus befällt neben der Lunge auch andere Organe wie Herz, Nieren, Leber und Gehirn. Was die Patienten laut Dr. Schmalenbach eint: „Sie kommen nach ihrer Corona-Erkrankung zunächst nicht wieder ins Leben zurück.“ Die Symptome seien unterschiedlich ausgeprägt. Die körperliche Fitness ist eingeschränkt, die Patienten haben Luftnot, sind abgeschlagen, haben Gliederschmerzen oder Kribbeln in den Extremitäten, dazu können Konzentrations- und Gedächtnisschwächen kommen. Auch unter Geruchs- und Geschmacksveränderungen litten viele Menschen.

 

Der Hoffnungsschimmer

 

Bewegung in den Heilungsprozess kommt erst wieder Ende Februar. Bis dahin wird unter anderem ein MRT gefertigt und Haren stellt sich beim Orthopäden vor. Sogar Demenztests macht er. Dann schaut er einen Beitrag beim NDR zum Thema Long-Covid und wird auf die Idee einer Reha gebracht. Der Antrag ist ebenso schnell gestellt wie bewilligt. Dass das nicht schon viel früher passierte, da möchte Mediclin-Chefarzt Dr. Matthias Schmalenbach seinen hausärztlichen Kollegen keinen Vorwurf machen. „Das Wissen über die Krankheit ist noch nicht weit verbreitet.“ Für Finn Haren ist die Aufnahme in Eckenhagen Mitte März ein Hoffnungsschimmer. „Das war ein super Gefühl, dass endlich wieder etwas passierte.“

 

[Chefarzt und Pneumologe Dr. Matthias Schmalenbach zusammen mit Finn Haren.]

 

Der Heilungsprozess

 

Die Lungenfunktionstests zeigen schnell, dass diese in der Funktion in Ordnung ist. Haren macht zwar auch Atemübungen, aber seine körperliche Fitness und seine kognitiven Fähigkeiten stehen im Mittelpunkt der Reha. Und gerade sein Körper reagiert sehr gut auf die neuen Reize. Haren merkt, wie sein Akku wieder länger durchhält. Anfangs reichen noch wenige Minuten auf dem Laufband, dann machen seine Beine und auch sein Kopf nicht mehr mit. Inzwischen nimmt er die Anstrengung gerne in Kauf. Das Training wird flankiert von einer Schmerztherapie, aber auch von Massagen oder Muskelentspannungsübungen. „Vor drei Tagen hatte ich meinen ersten richtigen Muskelkater seit Langem. Das war ein schöner Moment!“ So gespürt hat er seinen Körper lange nicht.

 

So wird in Eckenhagen behandelt

 

Die Mediziner befinden sich in einem Lernprozess, die eine Behandlung gibt es ebenso wenig wie einen klassischen Verlauf. In Eckenhagen wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. Lungenspezialisten, Neurologen und Psychologen schauen sich die Patienten gemeinsam an und entscheiden dann, welche therapeutischen Ansätze verfolgt werden. Die Behandlung erfolgt dementsprechend sehr individuell. In der pneumologischen Behandlung sind zum Beispiel das Training der Atemhilfsmuskulatur und insgesamt die Kräftigung wichtig.

 

Nicht so schnelle Fortschritte macht sein Gedächtnis. Beim Gespräch mit OA hat er ein Blatt mit Notizen angefertigt, damit er nichts vergisst. Die Therapie läuft viel am Computer. Erinnerungstraining, Konzentrations- und Entspannungsübungen wechseln sich ab. Wie gut er abschneidet, sei noch sehr tagesformabhängig.

 

Die Zukunft

 

Wenn Finn Haren nach seiner Reha nach Wuppertal zurückkehrt, möchte er seinem alten Leben "Guten Tag" sagen. Er möchte wieder arbeiten. Mit der Uni hat er die Abmachung, dass er von Zuhause forschen kann. Auch die Aufgaben sind andere, leichtere. Daneben muss er weiter an sich arbeiten. Kopf und Körper wollen beide weiter gefördert werden. „Er hat hier einen großen Schritt nach vorne gemacht“, sagt Chefarzt Dr. Schmalenbach. „Nun muss er die Lösungen, die er hier erlernt hat, auch in Wuppertal anwenden.“

 

Die größte Hoffnung des 20-Jährigen? „Dass es keine weiteren Rückschläge gibt. Dass alles bald wieder normal ist.“ Er habe aber auch Angst, dass irgendeine Mutation des Virus seinen ohnehin geschwächten Körper angreift, weshalb er sich impfen lassen möchte, sobald dies möglich ist. „Als ich mich infizierte, dachte ich: Das stehe ich durch und gut ist.“ Acht Monate später hat er es noch immer nicht durchgestanden. Er fühlt sich aber auf einem guten Weg. Und sein Lächeln ist zurück.

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