LOKALMIX
Oberberg FAIRsorgt: „Das Leben ist wieder lebenswerter geworden“
Oberberg – Pilotprojekt ist gestartet – Die ersten Patienten werden versorgt – Viel Lob für die Abläufe.
Von Lars Weber
Ein kurzer Draht zu einem Fallmanager, der sich viel Zeit für den Patienten nimmt. Eine digitale Plattform, auf der gesichert sämtliche medizinische Daten hinterlegt sind und die Ärzte sogar miteinander sprechen können. Das Pilotprojekt Oberberg FAIRsorgt versucht die medizinische Versorgung älterer Menschen, die so lange in den eigenen vier Wänden leben möchten wie möglich, ganz neu zu denken. Doch die Pandemie machte es den Verantwortlichen um Projektleiterin Dr. Jessica Möltgen nicht einfach, Ärzte zu finden, die sich abseits von Corona auch noch in eine neue Aufgabe hineinfuchsen wollten. Auf der Kippe, so betont Dr. Möltgen, stand Oberberg FAIRsorgt nie. Der Start verlief nun trotzdem anders als ursprünglich geplant, dafür aber sehr erfolgreich. Das sagen nicht nur die Verantwortlichen, sondern auch Patienten, die von dem Programm profitieren.
Die allererste Patientin, die „fairsorgt“ wird, ist die 80-jährige Heidi Schröder. Sie habe sich stets um sich selbst kümmern können. Die Kinder der Gummersbacherin wohnen etwas weiter weg und können nicht jeden Tag da sein. Ein Schlaganfall, mehrere Brüche, Schulterprobleme, Asthma und „100 andere Krankheiten“ hätten ihr das Leben aber nicht gerade erleichtert. Da kommt ihr Hausarzt Dr. Ralph Krolewski auf sie zu mit der Idee zu Oberberg FAIRsorgt. „Er hat sich viel Zeit genommen, um mir alles zu erklären.“
Dr. Krolewski erläutert ihr die Grundidee, Beteiligte aus den medizinischen und pflegerischen Bereichen miteinander zu vernetzen, um die bestmögliche Versorgung des Patienten sicherzustellen. So wird der Patient anfangs noch einmal komplett auf den Kopf gestellt. Unter anderem wird die Medikamenteneinstellung überprüft. Fallmanager stehen die ganze Zeit beratend an der Seite der Patienten, auch um bei Anträgen oder Arztterminen oder Fragen rund um den Pflegegrad zu helfen. Die Fallmanager wissen: „Es gibt viele Bereiche, in den Patienten allein gelassen werden“. Auf einer digitalen Plattform werden alle Informationen zum Patienten zusammengeführt. Dort können die Ärzte direkt in Kontakt miteinander treten und sogar der Rettungsdienst hat im Notfall Zugriff auf unter Umständen lebensrettende Informationen. Zudem sichert eine erweiterte Erreichbarkeit, dass die Patienten auch außerhalb von Sprechzeiten einen Arzt anrufen können.
[Für die allererste Patientin des Projekts gab es Blumen: Heidi Schröder.]
Im Oktober vergangenen Jahres startete das Programm für Schröder – und sie möchte es nicht mehr missen. Besonders die Arbeit von Gabriele Grümer lobt sie in höchsten Tönen. Sie ist ihre Fallmanagerin, wovon es fünf im gesamten Projekt gibt und die allesamt ausgebildete Pflegekräfte mit Zusatzqualifikationen sind. Besonders zum Start war Grümer häufig bei Schröder, um alles individuell einzustellen und damit man sich kennenlernt. Denn Vertrauen ist im Verhältnis zwischen Patienten und Fallmanager ein wichtiger Aspekt. Zunächst ginge es darum, Versorgungslücken zu erkennen und diese zu schließen. Ist dieser Schritt geschafft, wird trotzdem weiter regelmäßig telefoniert.
Geholfen hat Grümer (Foto) ihrer Patientin zum Beispiel bei der Suche nach einer passenden Physiotherapie. „Ursprünglich sollte es mehrere Monate dauern, bis ich drankommen sollte“, erzählt Schröder. Dann übernahm Grümer. Dank des Netzwerkes innerhalb des Projekts wurde schnell eine Lösung gefunden, bei der auch die Behandler nicht bei jedem Termin wechseln. Und bald steht die nächste OP für Schröder an. „Da kümmern wir uns wieder“, so Grümer. „Man bekommt den Rücken gestärkt – und auch für die Psyche ist das Programm sehr gut“, meint Schröder, die schon viel Werbung dafür gemacht habe.
Das steckt hinter dem Projekt
Neben dem Oberbergischen Kreis sind das Klinikum Oberberg, die AOK Rheinland-Hamburg, die Uni Köln und das Projektmanagement HRCB dabei. Hinzu kommen Ärzte, Geriatrien, ambulante Pflegedienste, Ergo- oder Physiotherapeuten oder auch Apotheken, die mitmachen können und sich miteinander vernetzen, um dem demografischen Wandel, dem Ärzte- und Fachkräftemangel in ländlichen Regionen und der teils defizitären Versorgung einen neuen Weg der Patientenversorgung entgegenzuhalten. 2018 wurde ein Förderantrag beim Innovationsfonds des Bundes eingereicht, der Anfang 2019 positiv beantwortet wurde. Das Fördervolumen beträgt 11,2 Millionen Euro.
Weitere Informationen über das Projekt und auch über die Anmeldung gibt es hier.
Reklame kann Oberberg FAIRsorgt weiter gut brauchen. Ursprünglich sollten rund 850 akut oder latent pflegebedürftige Patienten mitmachen, die in drei Phasen versetzt ins Projekt starten. Nach den Problemen, genügend Ärzte für das Projekt zu finden, gebe es nun mehr Flexibilität bei den Zahlen. Zehn Teilnehmer gab es in der Testphase, die im Oktober gestartet ist. Nun habe das Programm Anfang Januar für rund 100 Patienten begonnen. Im April und Juli starten weitere. Die Patientenstärke soll mindestens ähnlich hoch sein. Zwischen zwölf und 15 Monaten läuft die Betreuung, alles wird genau dokumentiert und anschließend in der Evaluationsphase der Uni Köln bewertet. Wie Dr. Jessica Möltgen betont, können weitere Interessierte mitmachen. Für die wissenschaftlichen Ergebnisse sei die im Moment anvisierte Anzahl von Teilnehmern aber schon ausreichend.
17 Hausärzte im Kreis beteiligen sich momentan bei Oberberg FAIRsorgt. Diese Zahl habe man in den vergangenen Wochen erhöhen können, sagt Dr. Möltgen, die sich aber über weitere Praxen – auch Fachärzte oder Therapeuten – freue. „Auf dieses Engagement sind wir angewiesen.“ Vor allem die Fallmanager hätten ihren Aufgabenbereich schon erweitert, um den Ärzten so viel wie möglich abzunehmen, beispielsweise bei der zeitlich aufwendigen Aufklärungsarbeit.
Das bestätigt auch der Vorsitzende des Hausärzteverbands Oberberg, Dr. Ralph Krolewski. Dass die Menge an anfänglichen Papieren – erst recht während einer Pandemie – auf Kollegen abschreckend wirken könne, versteht er zwar. „Von einer Teilnahme abhalten sollte dies aber nicht.“ Er selbst hat schon neun Patienten an das Projekt vermittelt, von dem er überzeugt ist, dass es auch für Ärzte sinnvoll ist. Über die digitale Plattform als das „Herzstück“ sei ein „optimales Management“ der Patienten möglich – „mit einem besseren Versorgungsergebnis“. Dr. Krolewski denkt aber auch noch weiter: „Das Programm ist ein Alleinstellungsmerkmal für den Oberbergischen Kreis, das Kollegen in die Region locken könnte.“ Der Hausärztemangel sei schließlich kein Geheimnis.
Bis Ende März 2024 wird Oberberg FAIRsorgt zunächst laufen. Was danach kommt, hängt laut Dr. Möltgen auch von der Evaluation ab. Die Hoffnung ist, dass Oberberg FAIRsorgt zur Regelversorgung wird. Zudem sollen natürlich auch jene Menschen, die nun an dem Projekt teilgenommen haben, weiter in diesem Umfang betreut werden. „Dazu wird es frühzeitig Gespräche geben“, so Dr. Möltgen.
[Ulrike Henkel-Zwinge ist die Fallmanagerin von Katharina Karres.]
Über eine Verlängerung der Versorgung würden sich die Gummersbacherin Katharina Karres und ihre Tochter Gerlinde Zehschnetzler sicherlich nicht beschweren. Die 95-Jährige ist sehr dankbar über die Möglichkeiten, die sich ihr seit Januar bieten. „Es ist so schön. Ich kann immer jemanden anrufen, immer ist jemand da.“ Für ihre Tochter sei Oberberg FAIRsorgt eine „irrsinnige Erleichterung“. Denn Zehschnetzler lebt in Bonn. Vor dem Projekt hing sie bei Besuchen in Gummersbach teils mehr am Telefon, um für ihre Mutter bei Ärzten anzurufen und Termine zu organisieren. Diese Aufgaben hat Fallmanagerin Ulrike Henkel-Zwinge ihr abgenommen. Jetzt könne sie sich viel besser um ihre Mutter kümmern, wenn sie sie besucht. Sogar in den Urlaub sei sie nach vielen Jahren mal wieder gefahren, weil sie wusste, dass ihre Mutter in guten Händen ist.
Doch auch Katharina Karres ist in der kurzen Zeit der Versorgung schon viel gelungen. Dank einer gezielten Physio sei sie zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder raus vor ihre Wohnung gegangen. Ein großer Erfolg für die 95-Jährige. „Das Leben ist wieder lebenswerter geworden.“
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