LOKALMIX

Projekt zum Infektionsschutz: Raus aus einem Dilemma

lw; 30.01.2024, 17:00 Uhr
Symbolfoto: Angelo Esslinger auf Pixabay
LOKALMIX

Projekt zum Infektionsschutz: Raus aus einem Dilemma

lw; 30.01.2024, 17:00 Uhr
Oberberg – Kreis weit hinten beim Impf-Ranking – Auch deshalb wurde Leuchtturmprojekt an Kitas gestartet – Auf Augenhöhe sollen jene Familien angesprochen, die ihre Kinder bislang wenig impfen und geringe Gesundheitskompetenz aufweisen.

Von Lars Weber

 

Der Masern-Ausbruch ein Jahr vor der Pandemie und Corona selbst haben das Gesundheitsamt des Kreises in den vergangenen Jahren ordentlich beschäftigt. Beide Male wurde der Kreis hart getroffen. Auch mit Hilfe von außen begab man sich auf Spurensuche (OA berichtete). Das Ergebnis: Es gibt einige Sozialräume im Oberbergischen, in denen gesundheitliche Kompetenzen, hygienisches Wissen und die Impfbereitschaft aufgrund verschiedener Faktoren – sei es Herkunft, Religion, Bildung oder Einstellung – gering sind und das Ausbruchsgeschehen beeinflussen. Dies korreliert damit, dass die Oberberger im NRW-Vergleich bei der abgeschlossenen Grundimmunisierung jeweils im unteren Bereich liegen, ebenso wie bei den Quoten bei den empfohlenen Kinder- und Säuglingsimpfungen (siehe Kasten). Der Kreis möchte das Problem nun gezielter angehen und hat deshalb ein vom Land unterstütztes Projekt in Kitas gestartet, das in NRW noch einzigartig ist. Heute ist es im Kreishaus vorgestellt worden.

 

WERBUNG

Mit klassischen Impf- oder Aufklärungskampagnen soll das Projekt nichts zu tun haben. „Wir wollen den Menschen auf Augenhöhe begegnen“, sagt Ralf Schmallenbach, Kreisgesundheitsdezernent, der das Angebot gemeinsam mit Gesundheitsamtsleiterin Kaija Elvermann, dem Projekt-Team und Dr. Sebastian Thole vom Landeszentrum für Gesundheit NRW vorstellte. „Infektionsschutz mit dem Peer-to-Peer-Ansatz“ überschreibt der Kreis die Idee. Vereinfacht gesagt soll eben nicht der Amtsarzt in die Kitas gehen und den Eltern an einem Abend etwas über Impfungen erzählen, sondern Erzieher und Erzieherinnen, aber auch engagierte Eltern oder andere der Kita nahestehenden Personen sollen mit den Kindern das Thema Gesundheit und Hygiene in den Fokus nehmen. 

 

Die Schuleingangsuntersuchungen bestätigten das schlechte Abschneiden des Kreises, so Elvermann. „Dabei bleiben Impfungen eine der wirksamsten präventiven Maßnahmen, sich selbst und andere zu schützen.“ Geimpft werden soll im Rahmen des Projekts aber nicht, sondern die Aufklärung, das Vermitteln von gesundheitlichem Wissen steht im Vordergrund. „Schon einfache Hygienemaßnahmen können viel bewirken“, sagt Elvermann, und das sollen Kinder und Eltern sehen. Auch das Wissen um die Krankheiten und wann man sein Kind daheim lassen sollte, gehört dazu.

 

„Kitakinder verstehen schon sehr viel“, sagt Dr. Sebastian Thole, Fachbereichsleiter für Infektionsschutz beim Landeszentrum für Gesundheit NRW, das den Oberbergischen Kreis mit 85.000 Euro im Projektzeitraum von September 2023 bis Frühjahr 2025 unterstützt. Er lobt den modernen Ansatz des Kreises und erhofft sich Erfahrungen und Erkenntnisse, die anderen Kreisen als Vorbild dienen können. Denn in NRW sei diese Herangehensweise einzigartig.

 

[Foto: Lars Weber --- Sie informierten über das Projekt (v.li.): Ralf Schmallenbach (Kreisgesundheitsdezernent), Kaija Elvermann (Leiterin Gesundheitsamt), Dr. Sebastian Thole (Landeszentrum für Gesundheit NRW) und das Projekt-Team bestehend aus Rabea Riesewieck, Kübra Bidil und Sarah Leisner.]

 

Damit man auch die richtige Zielgruppe anspricht, seien die Sozialräume sehr sorgfältig ausgewählt und analysiert worden. Herauskristallisiert haben sich dabei Orte in Gummersbach, Bergneustadt, Waldbröl und Radevormwald. Damit möchten die Beteiligten einen Ausweg finden aus dem „allgemeinen Präventionsdilemma“, dass jene Menschen, die von Präventionsmaßnahmen profitieren sollen, keinen Zugang zu den Angeboten finden.

 

In den Kommunen hat das Projekt-Team – Projektleiterinnen Rabea Riesewieck und Sarah Leisner sowie Projektkoordinatorin Kübra Bidil – 30 Kitas angeschrieben. Sechs seien in der gerade laufenden Rekrutierungsphase bereits an Bord gegangen. Einige Absagen gebe es aber ebenso, vor allem aufgrund der personellen Lage in den Kitas.

 

Denn: Auch wenn die Rolle der „Peers“ auch von anderen übernommen werden könnte wie engagierten Eltern, so seien es bislang hauptsächlich Erzieherinnen und Erzieher oder die Leitungen, die sich für diese Aufgabe gemeldet haben. Sie durchlaufen dazu eine eintägige Schulung beim Gesundheitsamt, bei der ihnen alles wichtige rund um die gesundheitlichen Themen, aber auch für eine „motivierende Gesprächsführung“ beigebracht werden soll, um dann aktiv in ihren Einrichtungen auf Kinder und ihre Eltern zugehen zu können.

 

Manuela Heß wird eine dieser „Peer“-Personen sein. Sie arbeitet im Familienzentrum Kindertreff Eichen in Waldbröl. „Ich freue mich schon auf die Aufgabe.“ Die Pandemie im Speziellen habe gezeigt, wie groß das Thema Impfen sei. Abgesehen von der vorgeschriebenen Masernimpfung bliebe vieles auf der Strecke, sagt Heß. Sie selbst sei auch schon Arzthelferin gewesen. Dort war sie nah dran, wenn Kinder Krankheiten erwischt haben, die sich mit einer Impfung oder auch besseren Hygienemaßnahmen verhindern ließen. Da setze das Projekt an. „Ich möchte das unterstützen.“

 

Vor allem freue sie sich auf die Aktionstage, zu denen der Kreis eigenes Personal stellt, um die Kitas zu entlasten. An diesen Tagen möchte man über spielerische Gesundheitschecks, zum Beispiel mit einer Rallye oder einem Picknick, das Verständnis der Kinder ab vier Jahren wecken. Auch eine ärztliche Einschätzung soll dazugehören. Die Aktionstage sollen im Sommer stattfinden, anschließend geht es in die Evaluationsphase bis März 2025.

 

Der Erfolg, so sagen die Beteiligten, ist später nicht allein daran messbar, ob sich in den Sozialräumen in den kommenden Jahren mehr Menschen impfen. „Es geht auch um den Aufbau von Kontakten, von Vertrauen, das sind wichtige Schritte zu einem besseren Infektionsschutz“, so Thole.

 

Luft nach oben

 

Zweimal Letzter und Vorletzter, gleich fünf Mal Drittletzter: Im NRW-Ranking von 2019 bei den Impfquoten  bei von der Stiko empfohlenen Säuglings- und Kinderimpfungen steht der Oberbergische Kreis nicht gut da. Besonders gegen das Rotavirus waren nicht einmal die Hälfte der Oberberger geimpft (46,6 Prozent). Bundesweit liegt der Schnitt bei 69,3 Prozent. Bei 63,1 Prozent liegt der Wert bei der Pneumokoken-Impfung in Oberberg (Bundesschnitt: 74,8 Prozent). Mit am besten waren Menschen aus dem Kreis mit der Dreifach-Impfung gegen Diphterie, Tetanus und Pertussis versorgt (88 Prozent). Im NRW-Vergleich reicht aber selbst das nur für den sechstletzten Platz.  

WERBUNG