LOKALMIX

Von Oscar-Freuden, Außenseitern und dem Geist Siebenbürgens

lw; 11.10.2024, 19:00 Uhr
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Foto: Lars Weber --- Regisseur und Drehbuchautor Jens Kevin Georg ist Gewinner des Student Academy Awards. Den Preis gewannen vorher schon berühmte Regisseure wie Robert Zemeckis (Zurück in die Zukunft), Spike Lee oder (Malcolm X) auch John Lasseter (Toy Story).
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Von Oscar-Freuden, Außenseitern und dem Geist Siebenbürgens

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lw; 11.10.2024, 19:00 Uhr
Wiehl – Mit Jens Kevin Georg wird ein Oberberger für seinen Kurzfilm „Kruste“ den begehrten Studentenoscar bekommen – Bevor die Preisverleihung am Montag in London stattfindet, hat sich der 30-Jährige aus Drabenderhöhe im Wiehlpark mit OA zum ausführlichen Gespräch getroffen.

Von Lars Weber

 

OA: Jens Kevin, nochmal Gratulation zum Studentenpreis der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, dem sogenannten Studentenoscar. Wie hast du davon erfahren, dass du die Auszeichnung in der Sparte „Narrative“ bekommst?

 

Jens Kevin Georg: Der Wettbewerb lief vierstufig. Die Hochschulen haben ein begrenztes Kontingent an Bewerbungsmöglichkeiten pro Kategorien. Wir mussten also erstmal von der Kommission der Hochschule in Babelsberg durchgelassen werden. Dann wurden die Halbfinalfilme bekanntgegeben, das waren 27 Filme pro Kategorie. Und das war schon so: „Oh mein Gott!“ Da steht dann Academy und Oscar in den Mails und das Thema ist plötzlich da im eigenen Leben! Bleib ruhig, bleib ruhig, bleib ruhig, hab ich mir da gesagt…

 

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OA: Wie ging es weiter?

 

Jens Kevin Georg: Bei der nächsten E-Mail für das Erreichen des Finales war ich gerade mit einem Freund bei einem Filmfestival, das war schön, da konnten wir uns gemeinsam freuen. Zuletzt gab es dann eine E-Mail kurz vor der Videokonferenz, die schon was angedeutet hatte. Und da hab ich schonmal dem Team Bescheid gegeben. Nach dem Zoom-Call mit der Leitung des Student Academy Awards konnte ich mich dann zusammen mit dem Team freuen, das war sehr schön.

 

OA: Was hat der Erfolg mit dir gemacht?

 

Jens Kevin Georg: Ich war erstmal in einer Art Schockstarre. Ich hatte das Gefühl, dass jeder in meinem Umfeld das klarer realisieren konnte als ich. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich den Wettbewerb anders betrachte. Es gibt in der Branche schließlich ganz viele Möglichkeiten, so einen Film zu platzieren. Mir wurde dann erst klar, dass wirklich jeder etwas mit den Oscars anfangen kann. Meine Welt, in der ich mich bewege, ist für viele Außenstehende nicht so ganz einfach zu fassen. Und jetzt weiß plötzlich jeder, was dieser Erfolg bedeutet – viele sogar besser als ich (lacht). Es ist eine umgekehrte Welt so ein bisschen.

 

Der Film

 

[Foto: Lasse Frobese --- Auf Fabi wartet im Film eine besondere Herausforderung.]

 

„Kruste“ entstand als Abschlussarbeit für die Filmuniversität Babelsberg in Potsdam. Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" von 1915 diente Jens Kevin Georg als Inspiration zu seiner Geschichte. Darin soll sich der zwölfjährige Fabi auf dem Hof seines Opas endlich als vollwertiges Familienmitglied beweisen. Nur mit der ersten richtigen Wunde wird man akzeptiert. Die Familientradition behagt Fabi aber überhaupt nicht, weshalb er schon lange überfällig ist und seine Familie immer ungeduldiger wird. Für Fabis erste Narbe hat Opa seit Jahren an etwas Besonderem gearbeitet: eine eigene Achterbahn. 25 Minuten ist der Film lang. Er ist hier kostenlos bei 3sat im Rahmen der Reihe KlassiXS zu sehen.

 

OA: Du kommst von zwei Interviews in Köln bei WDR und Deutschlandfunk geradewegs in den Wiehlpark – für das nächste Interview. Wie hat sich dein Leben in den vergangenen Wochen verändert?

 

Jens Kevin Georg: Ich bin vor allem einfach dankbar dafür, dass es nun Menschen gibt, die wissen, dass wir als Filmteam existieren. Dass wir coole Sachen machen können und wollen. Das ist schön. Ich arbeite gerade an meinem ersten Langfilm, da möchte ich die Plattform natürlich gerne nutzen und auch zeigen: Ich möchte daraus meinen Beruf machen! Dabei ist es nicht immer einfach, ich komme aus einer Arbeiterfamilie, die Filmbranche ist aber manchmal etwas elitär und nicht unbedingt auf jemanden wie mich ausgelegt.

 

OA: Du stehst grad richtig im Mittelpunkt, was würden die Protagonisten aus deinen Filmen dazu sagen, die ja eher Außenseiter-Typen sind?

 

Jens Kevin Georg: (überlegt) Jetzt ist die Aufmerksamkeit da und ich weiß, dass das vielleicht nicht für immer so sein wird. Aber ich sehe jetzt auch die Möglichkeit zu sagen: Schaut euch den Film doch mal kostenlos an. Und wenn er euch in irgendeinem Punkt berührt, dann freut mich das einfach. Was jetzt Fabi (Anm.d.Red.: der Protagonist aus „Kruste“) und mich angeht: Wir verstehen uns beide als Außenseiter und haben tief in uns das Bedürfnis, dazugehören zu wollen und gesehen zu werden. Ich bin aber der Meinung, dass ein gesunder Selbstwert eher von innen kommt und nicht von äußerer Bestätigung abhängig gemacht werden sollte. Deshalb versuche ich, dem Fabi in mir als 30-Jähriger, der ich jetzt bin, verantwortungsvoll beizustehen in der Situation. Ich möchte mir mein Außenseitertum nicht nehmen lassen. Es sind auch die Menschen, denen ich mich näher fühle. Ich glaube, mir würde was verloren gehen, wenn ich mich dem Trubel unreflektiert hingeben würde.

 

[Foto: Lasse Frobese ---  "Kruste"-Protagonist Fabi und Jens Kevin Georg verstehen sich beide als Außenseiter.]

 

OA: Deine ersten Schritte als Filmemacher hast du unter anderem auch am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in der Film-AG gemacht, mit 14 Jahren hast du deinen ersten Camcorder bekommen…

 

Jens Kevin Georg: …ja, das stimmt. Ich hab mich davor schon viel fürs Schreiben interessiert, für Geschichten, und hab mich ins Fiktionale geflüchtet. In meine eigenen Welten oder die anderer. Ich hab da eine Sehnsucht hin gefühlt. Meine Cousine und mein Cousin hatten in ihrer Familie einen großen Camcorder, auf den ich immer neugierig geschielt habe. Von meinem Vater hab ich immer heimlich den Fotoapparat genommen, der davon nicht so begeistert war, was ich verstehen kann: In meinen Händen war nicht vieles sicher (lacht). Und von meinem Konfirmationsgeld habe ich mir dann einen eigenen kleinen Camcorder gekauft.

 

OA: Was hast du damit gedreht?

 

Jens Kevin Georg: Lange habe ich erstmal meine Freunde damit gequält. So ein Gerät eignet sich eher zum Draufhalten. Von den Aufnahmen hab ich vor Kurzem welche gefunden, das war spannend. Dann haben wir so Verfolgungsjagden gedreht oder kleine Spielereien, auch Musik- oder Skatevideos. Und dann kamen die ersten Drehbücher und auch die Film-AG oder erste Praktika, zum Beispiel beim WDR.

 

OA: Gab es einen Moment, wo du wusstest, dass du mal Regisseur werden willst?

 

Jens Kevin Georg: Mit 14 sollten wir in der Schule unseren Traumberuf vorstellen und da hab ich tatsächlich gesagt: Ich will Filmregisseur werden.

 

OA: Und warum?

 

Jens Kevin Georg: Ich war zu dem Zeitpunkt sehr doll in Emma Watson (Hermine Granger in der Harry-Potter-Reihe) verliebt und habe mir sehr viele Making-ofs zu den Filmen angeschaut, weil ich sie so toll fand. Und beim Schauen habe ich dann gemerkt, wie toll Filme machen sein kann. Damals hab ich dann so gedacht: Wenn ich es schaffe, dass ich Filmemacher werde, schaffe ich es vielleicht auch irgendwann, dass Emma Watson meine Freundin wird (lacht). Harry Potter 3 ("Der Gefangene von Azkaban") war dann auch der erste Film, wo ich Filmsprache so richtig wahrgenommen hab. Alfonso Cuarón kann Arthaus mit Populärem kombinieren. Ich hab festgestellt, dass es Werkzeuge gibt im Film, mit denen gearbeitet wird und wollte mehr wissen. Danach hab ich nur noch DVD-Extras verschlungen.

 

Der Regisseur

 

[In Wiehl ist Skateboard-Fan Jens Kevin Georg groß geworden.]

 

Jens Kevin Georg ist 1994 geboren. Nachdem er sich schon privat und am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums in Wiehl in der Film-AG mit dem Medium auseinandersetzt, geht es von 2013 bis 2017 an die Technische Universität in Lemgo, wo er Medienproduktion studiert. 2018 nimmt er sein Regiestudium an der renommierten Filmuniversität Babelsberg auf, das er 2022 mit „Kruste“ abschließt. Seit 2022 arbeitet er an seinem Master an der Kunsthochschule für Medien Köln.  Seit einem Jahr wohnt er wieder in seiner alten Heimat in Drabenderhöhe, um unter anderem für seinen ersten Langfilm zu recherchieren.

 

Filmografie: "Es war nicht alles schlecht" (2017), unter anderem Sieger beim Gütersloher Kurzfilmfestival; "Lasse, oder wie man endlich ein Piktogramm wird" (2021), unter anderem Sieger für den „schrägsten Film“ beim Bundesfestival Junger Film; "Scheißwetter" (2022), sein oberbergischster Film, wie der Regisseur selbst sagt, lief wie alle anderen Filme auch bei diversen Filmfestivals im Programm; "Kruste" (2023), unter anderem Sieger der Student Academy Awards oder auch beim Odense International Film Festival

 

OA: Was für Vorbilder hast du heute, eher Arthaus oder Hollywood?

 

Jens Kevin Georg: Ich glaube sehr daran, dass der Film als Kunstform einer der wenigen ist, die es schafft, etwas sehr kunstvoll für viele Leute zu erzählen – also ich bin irgendwie dazwischen, kunstvoll und konsequent. Verbiegen möchte ich mich nicht. Es funktioniert, mit den filmischen Werkzeugen kunstvoll zu kommunizieren. Und Filmemacher, die ich da sehr bewundere, sind zum Beispiel Paul Thomas Anderson, gerade für seine frühen Werke, da ist so viel Energie drin! Oder die frühen Filme von Taika Waititi oder auch Sean Baker. "Kruste" wird gerne mit Ari Aster verglichen, der zum Beispiel "Midsommar" gedreht hat, was ich auch verstehen kann. Gerne bedient hab ich mich in den Kurzfilmen vor "Kruste" auch an der Ästhetik von Wes Anderson, allerdings hab ich bei seinen letzten Filmen einfach nichts mehr gefühlt. Ich suche nach Regisseuren, die liebevoll auf graustufige Menschen schauen, das interessiert mich sehr. "The Banshees of Inisherin" von Martin McDonagh inspiriert mich zum Beispiel sehr für mein nächstes Projekt.

 

OA: …dein erster Langfilm. Worum geht’s?

 

Jens Kevin Georg: Ich bin selbst Siebenbürger Sachse und der Stoff, an dem ich arbeite, ist in Siebenbürgen verwurzelt. Ich wollte in Potsdam einen Film darüber machen, aber ich habe keinen Zugang gefunden. Und jetzt bin ich in Drabenderhöhe umringt vom Thema – und das hilft. Der Film soll in Rumänien 1989/90 spielen, kurz nach der rumänischen Revolution, danach war es vorbei mit Rumänien und Siebenbürgen. Und für dieses Ende interessiere ich mich sehr.

 

OA: Was interessiert dich daran?

 

Jens Kevin Georg: Was es bedeutet für Individuen, die im Kollektiv aufgewachsen sind, mit den gleichen Ritualen und Brauchtümern, wenn dieses Kollektiv aufgesprengt wird. Im Vergleich zu "Kruste" wird es auch da um Rituale gehen, aber ich sehe auch sehr viel tragischen Humor im Siebenbürgischen. Ich erforsche auch grad selbst, wie viel von meinem Humor davon geprägt ist, wenn man von Leuten erzogen wird, die selbst eine Historie haben, wo eben nicht alles geflutscht ist. Oder wie man lernt, mit Humor widrige Bedingungen zu umgehen. Meine Oma sagt immer: „Na was soll man?“ Man muss sich eben manchmal mit der Scheiße arrangieren…ein sehr fatalistischer Humor manchmal.

 

OA: Warst du schon selbst in Rumänien mit deiner Familie?

 

Jens Kevin Georg: Ja, vor kurzem, auf Recherchetour. Da waren wir auch in der Kirche, die für meine Eltern sehr bedeutsam war, waren an dem Ort, wo sich mein Vater vor dem revolutionären Kugelhagel geduckt hat. Und ich durfte an dem Ort, wo Generationen unserer Familie gemeinsam Musik gemacht haben, in der Blaskapelle spielen – und dann haben sie mich nach zwei Songs rausgeschmissen vom Schlagzeug (lacht). Es war berührend und schön, die Reise. Ich hab noch sehr viel, was ich verarbeiten möchte. Vorher hat meine Geschichte in Deutschland gespielt und jetzt weiß ich, wo ich die Geister Siebenbürgens dort gespürt habe, dass die Geschichte auch in Rumänien spielen sollte.

 

Der Preis

 

[Foto von Gia Knight auf Pixabay --- Mit dem Studentenoscar in der Tasche wird sich Jens Kevin Georg auch auf den richtigen Oscar in den Kurzfilm-Kategorien bewerben.]

 

Die Student Academy Awards oder auch Studentenoscars werden ebenso wie die berühmten Oscars von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences vergeben. Der Wettbewerb richtet sich an Filmstudenten in der ganzen Welt. Vier Kategorien gibt es dort: Experimentalfilm, Animation, Dokumentarfilm und Erzählung (Narrative). Für den Wettbewerb in diesem Jahr gingen insgesamt 2.683 Beiträge von 738 Unis und Einrichtungen ein. Zwölf von ihnen, drei je Kategorie, wurden ausgewählt. Bei der Preisverleihung in London am 14. Oktober geht es um Gold, Silber und Bronze. Neben Jens Kevin Georg und seinem Team gehört ein Regisseurenduo aus Tschechien und ein Filmabsolvent der US-Universität Southern California zu den Gewinnern in der Kategorie. Die Auszeichnungen ermöglichen die Bewerbung auf die Kurzfilm-Kategorien beim Oscar – Jens Kevin Georg wird die Gelegenheit nutzen und seinen Hut in den Ring werfen.

 

OA: Wie weit bist du mit deiner Arbeit?

 

Jens Kevin Georg: Seit einem Jahr arbeite ich jetzt daran, ich bin noch in meiner Recherche. Zeit hilft und ist gut und wichtig dafür. Die Dinge können gären. Mein Masterstudium möchte ich dann mit dem Drehbuch abschließen. Falls das jemand liest und Geld investieren will in einen Langfilm, können sie sich gerne melden.

 

OA: Der Erfolg von „Kruste“ könnte da ja vielleicht auch helfen…

 

Jens Kevin Georg: Es warten noch viele unbeantwortete Mails in meinem Posteingang. Aber ich muss erstmal nach London.

 

OA: Dort geht es bei der Preisverleihung darum, ob du Gold, Silber oder Bronze für „Kruste“ bekommst. Was hast du dir für London vorgenommen?

 

Jens Kevin Georg: Wir haben ein tolles Programm von der Academy zusammengestellt bekommen. Ich bin sehr gespannt. Ich will nicht viel, ich will nur einen Moment der puren stressbefreiten Glückseligkeit mit meinem Team. Das ist die eine Sache, die ich mir wünsche. Einen Moment, in dem sich alle in den Armen liegen und wo man einfach sagen kann: Ey, wie toll ist das, dass wir jetzt nach zwei Jahren immer noch hier sind und gemeinsam die Möglichkeit zu haben, hier zu stehen. Das wünsche ich mir von London. Mehr nicht.

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