LOKALMIX
Wie sehr blutet das Jeckenherz?
Oberberg – OA hat bei den Vertretern der größten Karnevalsvereine im Kreis nachgehört, wie man mit der de facto Absage der Session umgeht und erhielt unterschiedliche Reaktionen - (Mit Leserumfrage).
Von Leif Schmittgen
Das karnevalistische Herz blutet bei allen Vertretern in Oberbergs Jeckenhochburgen im Kreis nach der de facto Absage der Session am vergangenen Freitag (OA berichtete). Trotzdem planen die Vereine unterschiedlich. Zum einen spielen wirtschaftliche Dinge eine Rolle und zum anderen sorgt man sich um die eigenen Mitglieder. Mancherorts möchte man endgültige Entscheidungen erst treffen, wenn die am Ende der Woche vom Land erwartete Verordnung in Kraft tritt, anderswo hat man mit der kompletten Absage der Session bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Brauchtum und Geselligkeit spielen bei allen Gemeinschaften eine große Rolle. Die Gesundheit steht bei allen Meinungen an erster Stelle. Teilweise sieht man aber auch Chancen, dass durch die Situation überhöhte Künstlergagen sinken könnten und man sich - weg von den Massenpartys - wieder auf das traditionelle Feiern konzentriert. In einer Sache haben die Karnevalisten sogar Planungssicherheit: Dort, wo es Tollitäten gibt, hat man die Amtszeit um ein Jahr verschoben. OA hat sich bei den größten Vereinen umgehört und gibt ein Stimmungsbild.
KG Närrische Oberberger, Engelskirchen
Beim größten Oberbergischen Karnevalsverein, der KG Närrische Oberberger, hält man derzeit noch die Füße still. „Wir möchten erst genaue Anordnungen vom Land abwarten, ehe wir im Vorstand beraten, wie es weitergeht“, sagt KG- Senatspräsident Reinhold Müller. Momentan habe man - rechtlich gesehen - nur eine Teilsicherheit, weiß der Jurist. Der derzeitige Wortlaut gebe noch zu viel Interpretationsspielraum. Aus wirtschaftlicher Sicht - soweit wagt Müller aber schon heute einen Blick in die Zukunft - wird es sicherlich zu einem Kompromiss zwischen Verein, Agenturen, Künstlern und Festwirt bzw. Zeltbetreiber kommen. „Wir alle arbeiten seit vielen Jahren gut zusammen und das soll auch so bleiben“, hat Müller einen klaren Standpunkt.
Viel größere Sorgen machen ihm die eigenen Mitglieder, die man dringend bei Laune halten müsse. „Vereine leben von der Gemeinschaft“, weiß er aus Erfahrung. Acht KG-Tanzgruppen mit meist jungen Mitgliedern gilt es bei der Stange zu halten. „Wenn 50 von 200 aktiven Mitgliedern wegbrechen, ist das für jeden Verein eine Katastrophe“, so Müller. Nachwuchsprobleme gibt es bei den Närrischen Oberbergern zwar nicht, trotzdem gelte es jetzt Konzepte zu erstellen, wie man den Spaß in „der Truppe“ aufrecht erhält. „Das harte Training wird sich in Form von Auftritten in diesem Jahr nicht auszahlen“, weiß Müller schon jetzt.
In einer Sache ist er allerdings ganz sicher: Die Engelskirchener werden Karneval feiern, egal ob Vereinsmitglied oder nicht. „Wir sind Rheinländer und haben das Feiern einfach im Blut“. Ob das in Kneipen oder in kleinem Rahmen auf privater Ebene stattfindet, weiß er noch nicht. 1991, als wegen des Golfkriegs der Zug abgesagt wurde, hatten sich Bürger zusammengetan und privat einen Umzug veranstaltet. „Die Menschen sind sehr kreativ!“, so Müller. Für seinen Verein hofft der Senatspräsident auf eine schnelle Veröffentlichung der Vorgaben, damit man im Vorstand genaue Konzepte ausarbeiten kann.
Ründerother Karnevalsverein
Beim Ründerother Karnevalsverein (RKV) steht man mit den beauftragten Agenturen, welche die Sessionsveranstaltungen mit (Künstler-) Leben füllen, in engem Austausch. „Wir gehen davon aus, dass wir die Buchungen um ein Jahr verschieben“, sagt RKV-Präsident Andreas Heckener. Sollte es anders kommen, sieht er trotzdem keine wirtschaftliche Gefahr auf die Karnevalisten zukommen. „Sobald es eine Verordnung gibt, ist das höhere Gewalt“. Auch in Ründeroth ist man an einer Kompromisslösung mit allen Beteiligten interessiert. Ähnlich wie beim Engelskirchener Nachbarn überlegt man an Konzepten, wie man die Mitglieder regelmäßig zusammenbringen kann. Interne Veranstaltungen sind dabei nicht ausgeschlossen. „Wir werden, wenn es die Lage zulässt, kurzfristig planen“, so Heckener.
KG Rot-Weiß Denklingen
Bei der Karnevalsgesellschaft (KG) Rot-Weiß Denklingen hadert man mit dem Problem, dass es formell noch keine Absage der Session gibt, wie Vereinssprecher Franz Josef Steinfort berichtet. Trotzdem hat man sich bereits dazu entschlossen, den Zug abzusagen und auch die Veranstaltungen im Zelt hinter dem Rathaus fallen ins Wasser. Die meisten Künstler werden in dem Reichshofer Ort über eine Agentur gebucht, in diesem Jahr hatte man unter anderem mit der Kultband „Brings“ aber ein separates Gastspiel vereinbart. Hier steht man in engem Austausch und sucht nach gemeinsamen Lösungen. Ein Ausweichen auf kleinere Sitzungen mit Bühnenprogramm kommt für Steinfort nicht infrage:
„Das würde sich nicht rechnen und zudem müsste man Menschen finden, die bei Alkoholverbot und hohen Hygieneauflagen bereit sind, sich das Bühnenprogramm anzusehen“, so der Sprecher. Sobald es eine Verordnung gibt, möchte man erste Gedankenspiele über mögliche Alternativen im Vorstand ausarbeiten. Möglich wären theoretisch zum Beispiel Kulturveranstaltungen. Sollte die KG in wirtschaftliche Schieflage geraten, überlegt man, Hilfsprogramme in Anspruch zu nehmen, um mögliche finanzielle Lücken zu decken. Auch Steinfort blutet das Herz, wenn er an die Mitglieder denkt, die schon viel Vorarbeit geleistet haben und nun vermutlich in die Röhre schauen.
KG Rot-Weiß Lindlar
Anders als bei den vorgenannten Vereinen wird das Zelt bei der Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß Lindlar nicht durch einen Festwirt, sondern in Eigenleistung betrieben. Deswegen sind die Sorgenfalten bei Sprecher Joachim Stüttem entsprechend groß. „Im schlimmsten Fall könnten wir pleite sein“. Allerdings ist man von einem Untergangsszenario noch meilenweit entfernt. „Der Zeltbauer möchte sein Geld haben, wir sind an langfristige Verträge gebunden“, so Stüttem. Den Künstlern hat man bereits abgesagt, hier sieht Stüttem keine wirtschaftlichen Probleme. Um die rechtliche Lage zu erörtern, wartet man auch in Lindlar sehnsüchtig auf eine entsprechende Verordnung. Denn erst dann möchte man sich - um Planungssicherheit zu haben - im Vorstand zusammensetzten. Rund 9.000 Menschen buchen Eintrittskarten für die fünf Sitzungen der KG, die damit die größten im Kreis sind. Sie sind bereits ein Jahr im Voraus ausgebucht. Überwältigt ist Stüttem von der Solidarität der Gäste.
„Rund 500 Menschen kaufen gleich mehrere Tickets, damit in Gruppen gefeiert werden kann, nur 20 haben bislang ihr Geld zurückgefordert“, berichtet der Sprecher. Wahrscheinlich werden die Karten ihre Gültigkeit für die darauffolgende Session behalten. Der Zug, der sich aus den Sitzungen finanziert, wurde abgesagt. Kleinere Alternativveranstaltungen kommen aufgrund der Größenordnung bei der KG nicht infrage.„Das wäre wirtschaftlich nicht zu stemmen“. Besonders leid tut Stüttem die abgesagte Sessionseröffnung, die erst seit einigen Jahren stattfindet. „Wir haben uns gerade etabliert und viel Unterstützung von Bürgern und befreundeten Vereinen erhalten“, so der Vereinssprecher. Deswegen schmerze der Ausfall besonders.
Karnevalsverein Bielstein
Beim Karnevalsverein Bielstein hat man bereits im Sommer vorsorglich die komplette Session abgesagt, wie Sprecher Wolfgang Wengefeld berichtet. „Es ist illusorisch, in dieser Zeit an Feiern zu denken“, begründet er die frühe Vorstandsentscheidung. Im Wiehler Ortsteil gibt es kein Zelt, man feiert stattdessen in der städtischen Schulaula. „Wir haben Optionsverträge mit den Künstlern vereinbart“, sagt Wengefeld. Auch deswegen stehe man zumindest wirtschaftlich vor keinen Problemen, da ihnen rechtzeitig abgesagt wurde. Außerdem wussten alle aktiven Mitglieder - wie Wagenbauer und Kostümbastler - frühzeitig Bescheid und mussten sich keine unnütze Arbeit machen.
Der Vereinssprecher sieht sogar Zukunftschancen, mit denen man aus der Situation herausgehen könnte. „Vielleicht besinnt man sich wieder mehr auf den traditionellen Karneval“, plädiert Wengefeld für das traditionelle Feiern, weg von Veranstaltungen mit Tausenden Besuchern hin zur gemütlichen Kneipentour. „Außerdem sollte die Zeit auf allen Seiten genutzt werden, um über die in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Künstlergagen nachzudenken und diese wieder auf ein erträgliches Niveau zu senken“, meint der Karnevalist.
KOMMENTARE
1
Eben, statt teurer Künstler könnte man auch wieder selbst Musik machen. Selbstdarsteller gibt es in Zeiten von Social Media ja genügend, warum nicht auf die Kleinbühnen holen?!
Peter Drostloff, 22.09.2020, 12:06 Uhr2
Weil Kleinbühnen einfach keinen Ertrag bringen. Bei den Auflagen für Konzepte etc. Dazu fehlt auch fast schon die Zeit. Karnevalsvereine und Gesellschaften sind mittlerweile Wirtschaftlich mit mittleren Unternehmen gleichzusetzen. Halt alles ( leider) nicht alles so einfach wie früher.
Dä Prinz, 22.09.2020, 14:35 Uhr3
Es ist doch Wurst, ob Kleinbühnen, oder Großevent.
Die Leute sollten mit dem Hintern zu Hause bleiben!
Hätte sich JEDER an die Regeln gehalten, würde es diese Probleme jetzt evtl gar nicht geben.
Ich liebe den Karneval sehr, laufe sogar auf den Zügen mit, aber
es ist das einzig Richtige, wenn wir dieses Jahr nichts machen.
Es sollte auch untersagt werden, in "kleinen" Truppen zu feiern.
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