LOKALMIX
Zusammen gegen die Kilos der Kinder
Bergneustadt – Der Oberbergische Kreis und die Stadt starten mit „Gesundes Aufwachsen in Bergneustadt“ ein neues Peer-to-Peer-Projekt.
Bevor es für die i-Dötzchen in die Schule geht, steht für alle die Schuleingangsuntersuchung an. Und dabei ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden, dass die Bergneustädter Kinder im Vergleich zu den Kindern aus anderen oberbergischen Kommunen im Schnitt mehr auf die Waage bringen. Viele Kinder der Stadt seien auffällig übergewichtig oder sogar adipös und würden auch hinsichtlich der Körperkoordination schlechter abschneiden. Eine Differenz habe es bereits vor der Coronapandemie gegeben, doch seit 2022/23 würden sich die Werte der jungen Bergneustädter gravierend verschlechtern.
„Wir haben erst eine Fehleranalyse gemacht und unsere eigenen Daten angezweifelt“, sagte Kaija Elvermann als Leiterin des oberbergischen Gesundheitsamtes gestern bei einer Pressekonferenz im Bergneustädter Rathaus. Doch daran lag es nicht. Stattdessen sei die postpandemische Entwicklung in der Stadt extrem unglücklich gelaufen. Ob der Wegfall von Sportangeboten oder Ehrenamtlern oder zu viel Zeit vor Bildschirmen: die Gründe dafür seien noch nicht klar. „Wir können nur sagen, dass es so ist“, meinte Elvermann.
Bereits in der Pandemie seien manche Bereiche im Oberbergischen durch hohe Infektionszahlen aufgefallen. Damals habe man sich beim Kreis gefragt, warum man bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht habe erreichen können. Durch ein Projekt mit der Uni Bonn habe man dann einen neuen Begriff gelernt, erklärte Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach: die soziale Deprivation. „Es gibt Gemeinden und Stadtteile bei uns, die völlig andere Herausforderungen und auch Chancen haben als andere“, sagte Schmallenbach, wo aber auch die Kommunikation zwischen Behörde und Bürger an ihre Grenzen komme.
[Kübra Bidil ist als Projektkoordinatorin beim Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises tätig.]
Um das Problem anzugehen, hat der Oberbergische Kreis zusammen mit der Stadt Bergneustadt das Projekt „Peer to Peer bewegt das Quartier – Gesundes Aufwachsen in Bergneustadt“ ins Leben gerufen. Wichtig sei dabei, dass niemand stigmatisiert werde, sondern dass den Menschen Anregungen geboten werden. Und auch wenn dieser Versuch aufwendig sei, sei er doch lohnenswert. „Die Idee hat Innovationscharakter“, sagte Schmallenbach. Dabei sei die Ansprache auf Augenhöhe „vielleicht die letzte, vielleicht die einzige Chance, um die Menschen zu erreichen.“
Angelegt ist das Präventionsprojekt über einen Zeitraum von drei Jahren. Finanziell unterstützt wird es vom GKV-Bündnis für Gesundheit in NRW. Zunächst sollen die Ursachen für das schlechte Abschneiden der Bergneustädter Kinder aufgedeckt werden, ab 2025 sollen – gemeinsam mit den Menschen vor Ort – Maßnahmen für Familien mit Kindern im Alter von null bis zehn Jahren entwickelt werden. Langfristig gehe es darum, Bewegung und gesunde Ernährung im Alltag der Familien zu implementieren und gesundheitsfördernde Strukturen aufzubauen.
Barbara Hütt (Bild) ist in Bergneustadt als Kinderärztin tätig. Dass viele Kinder übergewichtig seien und sich zu wenig bewegen würden, sei in der Praxis längst bekannt. Umso wichtiger sei es, dass das Thema nun auf den Tisch komme. „Wir können an die Kinder nur rankommen, wenn wir die Eltern mit ins Boot holen“, ist Hütt überzeugt. Doch viele würden von Sportangeboten nichts wissen oder hätten kein eigenes Fahrzeug, um die Kleinen zur Frühförderung zu bringen. Auch sprachliche Barrieren würden es erschweren, Bedarfe zu vermitteln. Reha-Maßnahmen zum Abspecken bezeichnete Hütt als „nicht effektiv“ – auch wenn viele Kinder dort einige Kilos verlieren würden: „Wir haben die Familie und das Kind aus ihrem Lebensraum rausgenommen. Zuhause schleicht sich aber dann das gleiche Verhalten wie vorher ein.“
Als „kultursensible“ Projektkoordinatorin ist Kübra Bidil im Einsatz. Seit März ist sie damit beschäftigt, Menschen in Kitas und Schulen, Jugendzentren, Vereinen oder auch bei Religionsgemeinschaften für das Projekt zu gewinnen. Diese sollen dann als Vermittler auf Augenhöhe fungieren. Fünf Peers sind bereits dabei, weitere werden gesucht. Fachliche Kenntnisse brauche man nicht, sagte Kaija Elvermann. Das Mitmachen sei auch unabhängig von Alter und kulturellem Hintergrund. Was man aber mitbringen sollte, sind Engagement, Ortskenntnisse und Zeit. Anschließend werden die Peers darin geschult, nachhaltig niederschwellige Angebote in den Quartieren durchzuführen.
Einige Ideen dafür gebe es bereits. So sei schon über eine Familien-Koch-Aktion bei der Tafel, Ernährungsworkshops für werdende Eltern, Bewegungspausen an der Moschee sowie gesunde Picknicks und Sportspiele im Quartier gesprochen worden. Bürgermeister Matthias Thul ist dankbar für die Möglichkeit, zusammen mit dem Oberbergischen Kreis und weiteren Partnern etwas für die Gesundheit der Kinder zu tun: „Das ist etwas, was die Kommune gar nicht selber leisten kann.“ Wenn das Projekt, wie auch schon das Peer-to-Peer-Projekt zum Infektionsschutz in Kindertagesstätten, erfolgreich läuft, soll es auf andere Kommunen ausgeweitet werden.
Weitere Informationen zum Projekt sind auf der Website des Oberbergischen Kreises zu finden. Wer sich im Rahmen des Projektes engagieren möchte, kann sich an Kübra Bidil unter Tel.: 02261/88 53 93 oder per Mail an kuebra.bidil@obk.de wenden.
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