Oberberg - Nach dem Lockdown kommt die langsame Öffnung - es bleibt viel Unverständnis. Auto- und Möbelhäuser öffnen, Kirchen und Kneipen bleiben dicht, Schulen gaukeln Normalität vor.
Von Bernd Vorländer
Bislang war das, was die Verantwortlichen an Beschränkungen zur Corona-Krise beschlossen haben, irgendwie nachvollziehbar. Und durchaus auch erfolgreich, wie die Entwicklung der Zahlen ja auch beweist. Doch derzeit dreht sich der Wind, das Verständnis und in ein paar Tagen sicherlich auch die Akzeptanz für die Maßnahmen werden deutlich abnehmen, weil vieles unausgegoren ist und komplett unverständlich bleibt. Wie kommen die Spitzen von Bund und Land eigentlich zu einer 800 Quadratmeter-Grenze, unter der die Läden wieder öffnen dürfen, darüber aber nicht? Warum nicht 600 Quadratmeter oder 1.200 Quadratmeter? Und lassen sich nicht gerade in größeren Läden die Abstandsgebote besser einhalten?
Unverständlich bleibt auch die föderale Interpretation der Maßnahmen. Schleswig-Holstein will ab 3. Mai sogar Veranstaltungen bis 1.000 Teilnehmer erlauben, während in Bayern Nutzer von einer Parkbank gezerrt werden, wenn sie dort ein Buch lesen. Und in Nordrhein-Westfalen öffnen ab dieser Woche wieder die Möbelhäuser. Wie bitte? Der NRW-Arbeits- und Gesundheitsminister betont den NRW-Weg - man habe ein klares Interesse an den Arbeitsplätzen in der Möbelindustrie. Das seien immerhin 35.000 Beschäftigte in dieser Branche.
Abgesehen von der Frage - sollte auch der schwedische Einrichtungsriese IKEA dieser Tage die Pforten öffnen - ob man dann die Kinder im dortigen Småland abliefern kann, kann man angesichts dieser Aussagen eines Mitglieds der Landesregierung nur mit den Augen rollen. Im NRW-Hotel- und Gaststättengewerbe arbeiten über 400.000 Menschen, aktuell stehen hier auch in unserer Region zahlreiche Existenzen auf dem Spiel, aber dazu findet die Landesregierung kein Wort. Dabei wäre es durchaus möglich, bei eingeschränktem Betrieb auch in Gaststätten, Restaurants und Hotels Abstand zu anderen Gästen zu halten.
Ein besonderes heißes Eisen sind derzeit die Schulen, die schnellstmöglich wieder geöffnet werden sollen. Warum eigentlich, wenn dort die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für einen Re-Start bestehen? Es fehlt vielerorts an Elementarem - an Waschbecken im Klassenzimmer, an Hygiene-Vorkehrungen, an Antworten auf die Frage, wie bei einem Abstandsgebot die Schüler angemessen mit Bus und Bahn zur Schule gebracht werden sollen. Oder wie Familien sich verhalten sollen, in denen Schüler, Eltern oder weitere Familienangehörige eine Vorerkrankung haben und sich sorgen, sich bei Fremdkontakten mit dem Corona-Virus anzustecken? Antworten Fehlanzeige.
Stattdessen setzt der offenbar typisch deutsche Reflex ein, dass nun aber unbedingt die Abitur- und weitere Prüfungen abgenommen werden müssen. In Hessen und Rheinland-Pfalz wurden diese Tests sogar in der Corona-Hochzeit angeordnet. Es ist fast so, als sei der Mensch nichts wert, würde ihm dieser Abschlusstest fehlen. Ob das Virus diesen deutschen Hang zu bildungspolitischen Ordnungsprinzipien honoriert und um die Schulen einen Bogen macht, ist doch eher zweifelhaft.
Wenn die Rückkehr zu einer gewissen Normalität den Eindruck von Willkür hinterlässt, wenn es mehr Fragen denn Antworten gibt, wenn Autohäuser geöffnet werden, Kirchen aber geschlossen bleiben, wenn Grundrechte nach wie vor außer Kraft gesetzt sind, dann bedarf es schon guter Antworten - und nicht einer Schmallippigkeit, die zu denken gibt. Deutlichere Fingerzeige zu Ziel und Zweck würde man sich auch von Verantwortlichen in der Region wünschen. In diesem Zusammenhang sei eine Frage gestattet: Wo sind eigentlich derzeit die oberbergischen Abgeordneten in Bund und Land?
KOMMENTARE
1
Zumal aus Bürgersicht man sich Fragen muss: Will man sich jetzt irgendwo anstecken? Ich lasse auf absehbare Zeit alles auf "Sparflamme". Meine Gesundheit ist mir am wichtigsten, zumal ungeklärt ist was Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung sind.
Andreas Reiter, 20.04.2020, 06:54 Uhr2
Treffender Kommentar, Herr Vorländer ! Eine Antwort auf Ihre Schlussfrage würde mich auch interessieren.
Jürgen, 20.04.2020, 10:32 Uhr3
Leider wird aus guter Regel nun Chaos. Es weiß doch niemand mehr wieso, warum, weshalb? Zumal ich es unsäglich finde, dass vor allen Dingen Herr Laschet sich irgendwo gerne profilieren möchte. Ich fand ihn schon nicht gut, aber er macht es noch schlimmer.
Dieser ganze Föderalismus gehört nach dieser Krise auf den Prüfstand, damit nicht mehr jedes Bundesland es so macht wie es ihm passt, sondern einheitliche Regeln gelten.
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Warum nicht eine Maskenpflicht wie in Jena? Natürlich bieten diese keine 100 % Garantie, aber besser als nichts allemal. Irgendwann müssen wir zurück zur Normalität. Die Diskussion darüber, wo und warum genau dort anzufangen, bringt nichts. Nicht alle politischen Entscheidungen sind logisch, das sind sie aber auch sonst nicht.
Petra Welter , 20.04.2020, 19:55 Uhr5
Herr Laumann hat auch beschlossen, dass ab sofort die Fahrschulen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen dürfen. Die Tatsache, dass wir lediglich 40 cm neben den Fahrschülern sitzen und das im Laufe des Tages mit 10 verschiedenen Personen jeweils 45 Minuten oder länger, interessiert anscheinend keinen in Düsseldorf.
Wir sollen Masken tragen, dann kann uns nichts passieren, sagt Herr Laumann.
Ich dachte immer, es gibt bei uns Arbeitsschutz, gerade auch für Mitarbeiter.
Der wird offensichtlich hier mit Füßen getreten!
In anderen Branchen werden Schutzscheiben, Abstandsbarrieren und Markierungen auf dem Boden angebracht, um die Mitarbeiter zu schützen. In den Fahrschulen reicht eine läppische Maske. Das ist gegenüber dem gesamten Umfeld eines Fahrschulbetriebes in hohem Maße verantwortungslos.
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