LOKALMIX
"Wir können in eine kritische Situation kommen"
Oberberg - Die frühe Erkältungswelle ist auch im Oberbergischen angekommen - Hohe Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen.
Derzeit rollt eine Welle an Atemwegserkrankungen über das Land – auch im Oberbergischen. Steigende Fallzahlen aufgrund von Erkältungsviren würden die Mediziner normalerweise erst im Oktober erwarten. „Aber bei uns ging es schon Ende August los“, sagt Dr. Corinna Banek, die als Kinderärztin in Gummersbach praktiziert. Über 200 Viren können eine Erkältung auslösen und sorgen oftmals für Husten, Schnupfen und Heiserkeit. „Die höchsten Fälle verzeichnen wir aktuell bei Kindern und Jugendlichen“, weiß Dr. Ralph Krolewski, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Oberbergischer Kreis. Meistens verlaufe die Erkrankung harmlos, doch auch in Oberberg sei die Belegung auf der Kinderstation für diese Jahreszeit auf einem ungewöhnlichen Hoch.
Laut Banek hänge das mit dem Lockdown zusammen: „Die Immunsysteme der Kinder sind nicht trainiert, sodass jedes Virus jedes Kind krank macht.“ Besonders seien die Drei- bis Fünfjährigen betroffen, die wiederum ihre jüngeren Geschwister anstecken würden. Aber auch bei Grundschülern und Jugendlichen mache sich die frühe Erkältungswelle bemerkbar. Krolewski zufolge sei am klinischen Bild oftmals gar nicht zu erkennen, um welche Virusinfektion es sich im jeweiligen Fall handelt. Klarheit verschaffe ein Abstrich. „Darunter sind auch Covid-Fälle“, so der Allgemeinmediziner. Diese würden jedoch unter den Testergebnissen gegenwärtig am seltensten auftreten. Eine Influenza-Erkrankung wurde Banek zufolge noch nicht festgestellt.
Viele Kinder müssen aufgrund von schweren Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) im Krankenhaus behandelt werden. Laut Robert-Koch-Institut seien in diesem September doppelt so viele Kinder im Alter von ein bis vier Jahren betroffen gewesen als in den Jahren vor der Pandemie. „Die Kinder reagieren oft mit Fieber und fiebern dabei recht hoch – um die 40 Grad“, erklärt Banek. Außerdem würden viele die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit verweigern, sodass eine Einweisung ins Krankenhaus notwendig sei.
Trotzdem sollten die Eltern Geduld haben. So würden die Infekte etwa zehn bis 14 Tage andauern und auch durch einen Arztbesuch nicht schneller abklingen. Zudem solle der Einsatz von Nasensprays, Tabletten, Hustensäften und Brausetabletten, die oftmals bei Erkältungen genutzt werden, wohldosiert sein. „Wir sehen, dass manche Eltern ihren Kindern aus Sorge zu viele Medikamente geben. Dann schäumen die Kinder über“, warnt Banek. Trotz der hohen Fallzahlen spricht sich die Kinderärztin nicht dafür aus, die im vergangenen Herbst und Winter umgesetzten Maßnahmen nun gegen diese Infektionswelle einzusetzen: „Dann schieben wir die Infektionen nur hinaus.“
Mittlerweile werden auch wieder Grippeimpfungen durchgeführt. „Aber die Leute melden sich kaum zu Corona-Impfungen an“, kritisiert Krolewski. „Das kann uns zum Verhängnis werden.“ Der Allgemeinmediziner befürchtet eine Überlagerungssituation, welche nicht zuletzt aufgrund der massiven Einbrüche bei der medizinischen Versorgung fatale Auswirkungen haben könne. „Jetzt haben wir die Infekte. In ein paar Wochen sind sie bei den Hausärzten“, schildert Banek. Allerdings würden die Ärzte bereits an ihrer Belastungsgrenze arbeiten. „Wir kommen in Oberberg an einen Kipppunkt der kritischen Versorgung“, sagt Krolewski, der deshalb mit Sorge auf die anstehende Grippesaison blickt: „Wir können in eine kritische Situation kommen.“
Auch Dr. Guido Weißhaar, Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Oberberg, bestätigt die frühe Erkältungswelle im Oberbergischen.
OA: Bundesweit ist die Erkältungswelle etwa sechs Wochen früher als üblich bei den Kindern angekommen. Beobachten Sie das auch im Oberbergischen Kreis?
Dr. Weißhaar: Ja, die bundesweite Situation spiegelt sich auch in Oberberg wider. Wir verzeichnen seit Ende September bereits ansteigende Fallzahlen. Normalerweise erkranken die Jungen und Mädchen erst im November und Dezember an den Folgen einer Infektion durch das RS-Virus. Die Belegung auf der Kinderstation ist jetzt so hoch, wie sonst im Winter. In anderen Regionen sind die Kinderstationen bereits ausgelastet, sodass wir von dort Patienten übernehmen. Die Situation hat uns aber nicht überrascht, denn die Virologen haben diese Entwicklung schon frühzeitig vorausgesagt. Wir sind auf die erkrankten Kinder vorbereitet.
[Foto: Klinikum Oberberg.]
OA: Warum ist die Erkältungswelle jetzt schon bei den Kindern angekommen?
Dr. Weißhaar: Die Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie haben im vergangenen Jahr dazu geführt, dass es fast keine Infekte bei den Kindern gab. Sie waren nicht nur vor dem Corona-Virus, sondern auch vor Erkältungserregern, Grippeviren und RS-Viren geschützt. Die natürliche Immunisierung hat sich etwas abgebaut. Daher werden jetzt viele Infekte nachgeholt.
OA: Warum sind Erwachsene nicht in gleicher Weise betroffen?
Dr. Weißhaar: Kinder haben in ihrem Spielverhalten einfach mehr Körperkontakt als Erwachsene. Durch die Kontakte, die inzwischen in Kindergarten, Schule und Vereinsleben wieder möglich sind, stecken sich die Kinder jetzt wieder mit Erkältungsviren an. Das RS-Virus verursacht bei Erwachsenen nur ein Kratzen im Hals, bei Kindern kann es schwere Bronchitiden auslösen.
OA: Was raten Sie Eltern und Kindern, wie sollen Sie sich verhalten?
Dr. Weißhaar: Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Erkältungen im Kindesalter sind völlig normal. Der beste Schutz, den wir den Kindern mitgeben können, ist die Impfung all derjenigen, die sich gegen das Corona-Virus und gegen das Grippe-Virus impfen lassen können. Die Impfung gegen das Corona-Virus ist ab zwölf Jahren möglich und schützt die kleinen Kinder, für die es noch keinen Impfschutz gibt.
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