BLAULICHT
15-Jährigen mit Messer bedroht und vergewaltigt: Täter muss in Haft
Gummersbach/Köln - Am Landgericht Köln wird ein 23-Jähriger zu einer dreijährigen Jugendstrafe verurteilt, der in seiner Kindheit Opfer sexueller Übergriffe war und nun selbst zum Täter wurde - Nach der Tat aß man gemeinsam noch einen Döner.
Von Peter Notbohm
Wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung wurde am Freitag Amir T. (Anm.d.Red.: Name geändert) am Landgericht Köln zu einer dreijährigen Einheitsjugendstrafe verurteilt. Ein Schöffengericht der 2. Großen Strafkammer um den Vorsitzenden Christoph Kaufmann sah es als erwiesen an, dass der heute 23-jährige Gummersbacher im August 2021 als Heranwachsender in seiner Wohnung einen damals 15-jährigen sogenannten Systemsprenger zweimal anal vergewaltigt hat. Zudem muss der junge Mann eine Schadensersatzzahlung von 15.000 Euro an sein Opfer leisten.
Zunächst hatte es sich aus Sicht des Gerichts um einen typischen Tag in der Gummersbacher Drogenszene am Steinmüllergelände gehandelt, zu der Amir T. als sogenannter Läufer gehört habe. Dort sei gechillt, getrunken und gekifft worden. Später am Abend seien der Gummersbacher, ein Bekannter von ihm, das spätere Opfer sowie eine Freundin in dessen Wohnung weitergezogen, um dort weiterzufeiern. Irgendwann sei es in der Wohnung zu sexuellen Avancen in Richtung der jungen Frau gekommen. Von wem, das konnte das Gericht nicht feststellen. Die Stimmung sei anschließend gekippt, auch weil die Frau in eine kaputte Whiskeyflasche getreten war.
Nachdem sie verarztet worden war, brachten Amir T. und das spätere Opfer sie in den frühen Morgenstunden zu einer Bushaltestelle. Doch während für die junge Frau die Partynacht damit beendet war, versprach der 23-Jährige dem Jugendlichen nun sein Gras-Depot zu zeigen, verbunden mit dem vermeintlichen Angebot für ihn als Läufer zu arbeiten. In der Wohnung kam es stattdessen aber zu sexuellen Annäherungsversuchen, die der damals 15-Jährige vehement ablehnte.
Amir T. zog daraufhin ein martialisch aussehendes Klappmesser, bedrohte den Jugendlichen und es kam zu den beiden Vergewaltigungen, die sich über einen längeren Zeitraum hinzogen. Aus Sicht des als extrem erfahren geltenden Richters auch für die Kammer absolut kein alltäglicher Fall: „Wir haben es hier ständig mit sexuellen Straftaten zu tun, aber eine anale Vergewaltigung mit vorgehaltenem Messer ist eine besonders dramatische und schwere Tat.“
Untypisch sei auch das Verhalten nach der Tat gewesen. Der Gummersbacher hatte seinem Opfer noch Schuhe geschenkt und ihm einen Döner ausgegeben, ehe sich die Wege trennten. „Nur schwer verständlich, aber so verhalten sich Opfer sexueller Gewalt manchmal“, so der Vorsitzende.
Der jugendliche Systemsprenger habe sich anschließend aufgrund seiner Verletzungen im Intimbereich, an denen er bis heute noch leidet, der Freundin und ihrer Mutter anvertraut, habe aus Angst in der Szene als schwul zu gelten, aber auf eine Anzeige und eine ärztliche Behandlung zunächst verzichtet. Erst zwei Monate später hatte er sich einem Sozialarbeiter im Rahmen einer Maßnahme anvertraut, der ihn in ein Krankenhaus brachte, wodurch der Fall auch gegen den Willen des Jugendlichen ins Rollen kam.
Amir T. habe noch Glück gehabt, betonte Kaufmann. Hätte er die Tat nur vier Monate später begangenen, wäre er nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden – Mindeststrafe: fünf Jahre. Ob Jugendstrafe anzuwenden sei, war aus Sicht der Kammer hier aber nie fraglich. Das lag vor allem an der deutlichen Reifeverzögerung und der massiven Fehlentwicklung des Gummersbachers in seiner psychosozialen Entwicklung.
„Wir haben es hier häufig mit hochproblematischen Schicksalen zu tun. Das Maß an Brüchen, an Vernachlässigung und Traumata in ihrer Biografie geht aber deutlich über das hinaus, was wir hier üblicherweise zu sehen bekommen“, wendete sich der Richter im Rahmen seiner etwa 45-minütigen Urteilsbegründung direkt an den 23-Jährigen.
Als ältestes von vier Kindern in Afghanistan geboren, musste Amir T. mit fünf Jahren kriegsbedingt mit seinen Eltern in den Iran fliehen. Dort wurde er nicht nur vom streng religiösen Vater mehrfach misshandelt, sondern musste auch früh Kinderarbeit verrichten. Er wurde im Alter von neun Jahren das Opfer schwerer sexueller Übergriffe und war bereits mit 13 Jahren Heroinabhängig. Kaufmann sprach von heftigen Narben, von denen der Körper des Afghanen übersäht sei.
Um den Sohn aus der Drogenszene herauszubekommen, wurde er ein Jahr später allein auf den Flüchtlingstreck nach Europa geschickt. Aber auch in Deutschland kam Amir T. schnell mit Drogen in Kontakt und es kam fast täglich zu Alkoholmissbrauch - eine Integration misslang. „Es war fast zwangsläufig, dass sie häufiger mit Polizei und Justiz in Kontakt kamen, wenn sie sich in dieser Szene bewegen“, so Kaufmann.
Dass es am Ende trotzdem nur bei einer dreijährigen Jugendstrafe blieb, lag auch an seiner Bereitschaft zu einer Therapie und vor allem am Geständnis des Verurteilten, das laut dem Richter in buchstäblich allerletzter Sekunde – nämlich unmittelbar vor der Vernehmung des Opfers – kam. Am ersten Verhandlungstag hatte er noch geschwiegen. Überrascht sei die Kammer von der Qualität des Geständnisses gewesen: „Dass ein junger afghanisch stämmiger Mann das Ganze im wesentlichen nicht nur abnickt, sondern über mehrere Stunden berichtet, was passiert ist, hat uns wirklich überrascht.“
Die Aussagen hätten sich zudem weitgehend mit den Worten des Opfers gedeckt. Eine Entschuldigung des Gummersbachers hatte der Systemsprenger zwar abgelehnt. Dass Amir T. aber bereits 1.500 Euro der insgesamt eingeforderten 15.000 Euro Wiedergutmachung gezahlt hat, bewertete das Gericht trotzdem als positiv: „Vielleicht nur ein hilfloser Versuch, aber mehr als nur Worte.“
Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre und sechs Monate gefordert; die Verteidigung auf eine bewährungsfähige Strafe plädiert. Ein Monat der dreijährigen Strafe wird Amir T. als bereits verbüßt angerechnet, weil sich das Verfahren aufgrund der Überlastung der Kammer stark verzögert hatte. In das Urteil wurden auch zwei weitere Verurteilungen des Amtsgerichts Gummersbach mit einbezogen. Eine Bewährungsstrafe war aus Sicht der Kammer nicht möglich, da die Schwere der Schuld dies nicht rechtfertige.
Kaufmann richtete sich am Ende seiner Urteilsbegründung noch einmal an den Angeklagten und riet ihm, auf eine Revision, die sich über Jahre hinziehen kann, zu verzichten: „In ihrer Biografie ist ein weiterer Bruch notwendig. Sie brauchen eine Betreuung in einem stationären Setting in einer sozialtherapeutischen Vollzugsanstalt, in dem sie die eigenen Traumata und ihre vielen anderen Defizite bearbeiten können.“
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